Mittwoch, November 27

In «Beteigeuze» folgt Barbara Zeman der inneren Welt einer Frau, die aus einer Klinik flüchtet und ihre Medikamente absetzt. Man weiss bei diesem finster funkelnden Roman nie genau, ob man Zeuge eines Unglücks oder eines grossen Glücks wird.

Er ist so etwas wie die flackernde Glühbirne in der Weite des Alls. Beteigeuze, der Rote Riese im Sternbild des Orion, strahlt nicht immer gleich hell. In vielleicht hunderttausend Jahren wird er enden, wie es irdische Leuchtkörper auch tun: mit einem grossen Knall.

«Beteigeuze» nennt die österreichische Schriftstellerin Barbara Zeman ihr zweites Buch, das sich als überaus schönes, irrlichterndes Stück Literatur inmitten routiniert realitätsgesättigter Romane zu behaupten versucht. Die Hauptfigur ist dabei, buchstäblich aus der Welt zu fallen. Theresa heisst die junge Frau, die aus der Klinik getürmt ist und ihre Medikamente nicht mehr nimmt. Mit ihrem Freund Josef lebt sie in einer winzigen Wohnung mit blauen Wänden. Diese Behausung ist wie ein prekärer Kosmos für sich, ein Ort der Flucht aus der Welt und in die eigene Welt hinein. Was man nicht weiss und was dem Roman seine subtile Doppelbödigkeit gibt: ob man hier Zeuge eines Unglücks oder eines grossen Glücks wird.

Häuser stehen da «wie Schaulustige»

«Beteigeuzes veränderliches Leuchten, das ist meines. Gleich wie mein Stern strahle ich hell und manchmal strahle ich finster», sagt Theresa, aber das ist auch schon der deutlichste Hinweis darauf, wie die Geschichte des Romans zu lesen ist. Bei ihren Gängen durch Wien scheint diese Figur noch die banalsten Dinge zu illuminieren. Das Becken eines gewöhnlichen Hallenbades verwandelt sich in eine flirrende Unterwelt, wenn Theresa ihre Tauchübungen macht. Der Sitz eines Kettenkarussells wird zur Abschussrampe eines aeronautischen Abenteuers: «Kann noch höher werden, immer höher hebt mich das Karussell, dreht mich gut, dreht sich schnell, ich reisse die Augen auf, Taumel setzt ein. Abrupter Wunsch, auf der Stelle die Füsse voran ins glitzernde All hineingeschleudert zu sein, durch Cosmic Latte zu rauschen, bis ich genug habe davon.»

Die Häuser stehen unter der Flugbahn der Erzählerin «wie Schaulustige». Sorgsam verteilt der Roman seine Wirklichkeitspartikel und vermischt sie mit rauschhaften Zuständen. Es gibt eine Familiengeschichte, die als Trauma in die Gegenwart ragt. Die Mutter hat die Kinder früh verlassen, ihre Schwester musste sie ersetzen. In Theresa wächst ein gutartiger Tumor, ein Myom.

Der Tumor «leuchtet in vollster Kugeligkeit». Er ist da und wächst, während rundum alles zu verschwinden droht. Die Beziehung zu Josef hat etwas Phantomhaftes. Der Freund nähert sich nur noch wie aus der Ferne. Theresas Kellnerjob in einem Café ist durch ihre Wunderlichkeiten gefährdet, aber gleichzeitig entsteht neben alledem eine solide Parallelwelt der Phantasie und wahnhafter Einbildungen. Ein bisschen ist es mit «Beteigeuze» wie im Beatles-Song «Lucy in the Sky with Diamonds», ein bisschen wie in Ingeborg Bachmanns «Malina». Einmal mehr erweist sich Wien als guter Ort für Zwischenwelten, für etwas hellwach Somnambules.

Gibt es denn nicht Grund, verrückt zu werden?

Über uns das grosse All, unter dem «die Unerheblichkeit des Erdenbrösels» ganz nichtig erscheint, wer sollte da nicht verrückt werden? Barbara Zeman liefert eine sanfte und zugleich philosophische Tonspur zu dieser Frage. Ihr Roman ist ganz in der Stimme seiner Hauptfigur geschrieben. Bei Theresas Selbstgesprächen und in ihren aberwitzigen Dialogen durchwandelt man eine Welt aus Sprache, die sanft ist und die Wirklichkeit beharrlich herausfordert. «Bist du wirklich verrückt?», fragt einmal das Nachbarskind, und Theresa fragt zurück: «Weisst Du, wer wirklich verrückt ist?» Dann führt sie das Kind ans Bett des schlafenden Josef, als wäre dieser Schlaf schon ein Beweis dafür, dass die Menschheit nicht ganz richtig ist im Kopf.

Was ist überhaupt richtig, und wie gross ist die kreatürliche Angst vor dem Falschen? «Wie die Länge eines Igels messen, wenn er sich zu einer Kugel rollt, wenn er sich fürchtet», heisst es einmal. Barbara Zemans zweites Buch besteht aus lauter Partikeln, die in ihrer Beobachtungsschärfe fast aphoristisch sind. Szene für Szene setzt sich eine Tragik zusammen, die für die Literatur allerdings ein grosses Glück ist. Finster funkelt der Stern Beteigeuze, und finster funkelt auch dieser Roman.

Barbara Zeman: Beteigeuze. Roman. dtv, München 2024. 304 S., Fr. 35.90.

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