Mittwoch, Oktober 9

Die US-Konsumenten ärgern sich sehr über die stark gestiegenen Lebensmittelpreise. Davon profitiert Aldi Süd: Der deutsche Discounter ist in den USA auf strammem Wachstumskurs.

Sonntagabend, 20 Uhr, eine halbe Stunde vor Ladenschluss. Die Sonne geht bereits unter, als die letzten Kunden den Aldi in Flatbush, im Süden New Yorks, betreten. Draussen an der Flatbush Avenue, der Lebensader des auch als Little Haiti bezeichneten Quartiers, wird gehupt und herumtelefoniert.

Drinnen ist die Stimmung ruhig und aufgeräumt; es wird scharf gerechnet. Junge Familien erledigen hier noch ihren Wocheneinkauf, bevor der Alltag wieder losgeht. Die riesigen Einkaufswagen sind bis unter den Rand gefüllt mit Hühnerbrust, Pastasaucen, Windeln und Frühstücksflocken. An der Kasse kommen so rasch 300 Dollar zusammen – auch bei Aldi.

Kontinuierliches Wachstum

Sonst läuft hier aber einiges anders als in amerikanischen Quartierläden. Die hohen grauen Decken und die vielen Kartonschachteln, die Aldi-typisch aufeinandergestapelt sind, verströmen den Charme einer Lagerhalle.

Die Einkaufswagen lassen sich, wie in Europa üblich, nur mit einer Münze lösen. Sonst könnte ja jeder kommen. Hinter der Kasse ist kein Platz für die Einkäufe, welche die Verkäuferin in grosser Geschwindigkeit übers Band jagt. Um Zeit zu sparen, legt sie die Produkte gleich in den Einkaufswagen zurück. Der Kunde hat den Kassenbereich, sobald er gezahlt hat, rasch zu verlassen und muss die Ware im Ausgangsbereich selbst einpacken.

Das Erlebnis entspricht überhaupt nicht dem, was sich Amerikaner traditionell unter einem «Grocer» vorstellen. Aber sie haben die deutsche Sparsamkeit mehr und mehr zu schätzen gelernt.

Aldi ist zwar schon lange in den USA; der erste Laden wurde 1976 in Iowa eröffnet. Doch über Jahrzehnte blieb der deutsche Discounter eine Randerscheinung, von der die Mehrheit der Amerikaner nicht viel mitbekam. Die Läden befanden sich oft in weniger wohlhabenden Gegenden. In den reicheren Suburbs dominierten Walmart, Kroger und regionale Ketten das Geschäft.

In den vergangenen 15 Jahren veränderte sich das schrittweise. Aldi eröffnete rund hundert neue Läden pro Jahr und wählte dafür zusehends Standorte in den Vorstädten, wo die amerikanische Mittelschicht wohnt. Eine Mittelschicht – das darf man nie vergessen –, die im Schnitt deutlich mehr Geld verdient als jene etwa in Deutschland oder Frankreich.

Die Amerikaner reagierten auf die deutsche Billig-Initiative zunächst etwas perplex: Ist das nun ein Dollar-Store, also ein billiger Ramschladen, oder ein Supermarkt? Niemand stand hinter der Kasse bereit, um ihre Einkäufe einzupacken. Andernorts übernimmt das die Kassierin oder gar ein «Grocery Bagger», der einzig für diese Tätigkeit beschäftigt wird. Die Auswahl ist klein, viele bekannte Marken fehlen bei Aldi. Kreditkarten akzeptiert der Händler in den USA zudem erst seit 2016.

Doch haben viele Amerikaner ihre anfängliche Scheu abgelegt. Aldi ist der am schnellsten wachsende Retailer in den USA. Anfang Jahr betrieb der deutsche Discounter 2400 Läden im Land, Ende 2028 sollen es 3200 sein. Zum Vergleich: Weltweit betreibt Aldi Süd, der in 11 Ländern tätig ist, derzeit 7400 Läden. Für Aldi Süd sind die USA neben Deutschland und Grossbritannien schon jetzt der mit Abstand wichtigste Markt, sie liefern einen wichtigen Beitrag an die zuletzt 83 Milliarden Euro Jahresumsatz. Die Bedeutung dürfte noch zunehmen.

Im Mittleren Westen und Nordosten, wo der Discounter heute die stärkste Präsenz aufweist, verdichtet Aldi sein Netzwerk weiter. Um die boomenden Südstaaten Georgia und Florida abzudecken, kaufte man 2023 die regionalen Ladenketten Winn-Dixie und Harveys Supermarket. Viele dieser Läden sollen mit der Zeit in Aldis umgewandelt werden. Aldi will zudem den Westen erobern und die noch eher spärliche Präsenz in Kalifornien oder Arizona ausbauen. Auch Las Vegas soll bald seinen ersten Aldi erhalten.

Die deutsche Konkurrenz zieht nach

Auch Lidl, der ewige Konkurrent von Aldi, wagte 2017 den Markteintritt in den USA und betreibt mittlerweile gemäss der Plattform Scrapehero 175 Läden an der Ostküste. An manchen Orten vermag Lidl nun denselben deutsch-deutschen Preiskampf loszutreten, den man sich mit Aldi auch in Europa liefert. Aldi bleibt aber mehr als zehnmal so gross. Ohne Zukäufe wird Lidl viele Jahre und eine gute Strategie brauchen, um den Rückstand aufzuholen.

Tiefe Preise, wie überall

Aldi Süd setzt in den USA im Kern auf dieselbe Strategie wie in anderen Ländern: Man führt ein sehr schmales Sortiment mit durchschnittlich etwa 2000 Produkten, während die Konkurrenten ein Vielfaches davon anbieten. Das vereinfacht die Logistik und ermöglicht es Aldi, deutlich kleinere Läden zu führen als Walmart oder Kroger, die beiden grössten Lebensmittelhändler in den USA. So lassen sich Mietkosten und Personal sparen.

Aldi setzt zudem überwiegend auf Eigenmarken, anstatt sich mit den bekannten Markenherstellern um Preise zu streiten.

All das führt dazu, dass die Lebensmittel im Aldi günstiger sind als in den meisten anderen Läden. Avocados gibt es für weniger als einen Dollar das Stück – in den Quartierläden, wie man sie in den teureren Gegenden Brooklyns findet, kosten sie meist 2 Dollar und mehr. Zwei Pfund griechischen Joghurts gibt es für 4.30 Dollar statt für 7 oder 8 Dollar. Ein Pfund Bananen kostet 74 Cent.

Die Inflation lässt Aldi gut dastehen

Viele Amerikaner geben jedoch nur einen kleinen Teil ihres Einkommens für Lebensmittel aus, vor der Pandemie waren es im Schnitt etwa 5 Prozent. Anders als die Deutschen galten sie denn auch nicht als grosse Sparfüchse, was den Wocheneinkauf anbelangt. Richtig zum Tragen gekommen ist Aldis Preisvorteil erst in den vergangenen drei Jahren, als hohe Teuerungsraten das Land heimsuchten: Die Lebensmittelpreise liegen in den USA heute um 27 Prozent höher als vor der Pandemie.

Die Preise stiegen zunächst wegen unterbrochener Lieferketten und steigender Herstellungskosten. Die amerikanische Linke argwöhnt aber, dass die Lebensmittelhändler die Inflation als Vorwand nutzten, um ihre Gewinnspanne auszuweiten. Tatsächlich konnten sie gemäss einer Studie der Branchenorganisation FMI ihre Margen in den Pandemiejahren etwas erhöhen, aber auf weiterhin sehr tiefem Niveau, von 1 auf etwa 3 Prozent. 2023 ist die Marge bereits wieder unter 2 Prozent gefallen.

Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris, seine mögliche Nachfolgerin, haben sich diese Kritik an den Lebensmittelkonzernen aber zu eigen gemacht. Harris hat im Wahlkampf versprochen, gegen «Wucher» in der Nahrungsmittelbranche vorzugehen, unter anderem mit einer Form von Preiskontrollen. Wie und wie scharf diese ausfallen sollen, ist noch unklar. Aber das Vorhaben ist schon jetzt stark umstritten, denn ein eigentliches Marktversagen ist im Lebensmittelhandel nicht auszumachen.

Die Kunden haben nämlich begonnen, sich gegen Preissteigerungen zur Wehr zu setzen. Sie kaufen weniger Markenprodukte oder suchen günstigere Läden auf. Dieses Abwehrverhalten beeinträchtigt bereits die Umsätze der Hersteller bekannter Lebensmittelmarken wie Mondelez (Oreo-Kekse) oder Kellanova (Pringles-Chips). Aldi ist ideal positioniert, um diese verärgerten, preisbewussten Kunden bei sich willkommen zu heissen.

Noch lange keine deutsche Dominanz

Aldi wächst, so viel ist klar. Gemäss Zahlen des Umfrage- und Beratungsunternehmens Numerator soll Aldi 2023 unter den reinen Lebensmittelhändlern die Nummer acht im Land gewesen sein, mit einem Marktanteil von 3 Prozent, gegenüber 2,8 Prozent im Jahr 2021. Walmart konnte derweil seinen Marktanteil von 21,9 auf 23,6 Prozent ausbauen. Die Nummer zwei im Ranking, Kroger, will derweil Albertson kaufen, die Nummer vier.

Wie viel Gewinn das Unternehmen auf dem gewonnenen Umsatz erzielt, ist indes offen. Aldi Süd befindet sich noch immer im Besitz der Familie Albrecht und weist die Profitabilität des US-Geschäfts nicht aus.

Der Discounter hat ohnehin noch einen weiten Weg vor sich, wenn er zu den Branchenführern in den USA aufschliessen will. Nur auf die hohe Zahl der Läden abzustellen, führt in die Irre. Denn weil Aldi viel kleinere Läden als die Konkurrenz betreibt und tendenziell günstigere Produkte anbietet, fällt auch der Umsatz pro Laden geringer aus.

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