Freitag, Oktober 25

Der Journalist Bob Woodward analysiert in «War», wie Joe Biden die Kriege in Israel und der Ukraine anging. Dabei drängt sich Donald Trump dauernd in seine Recherche.

Jedes Mal, wenn Bob Woodward ein Buch veröffentlicht, der Mit-Enthüller des Watergate-Skandals um Richard Nixon, lassen sich zwei Reaktionen voraussagen. Sein Buch wird erstens in den amerikanischen Medien gross besprochen, obwohl der 81-Jährige nicht mehr die besten Quellen kennt und sich oft in Details verliert. Aber Woodward hat über fünfzig Jahre Erfahrung als Rechercheur des Weissen Hauses. Zweitens schiesst entsprechend schnell sein jeweils neues Buch die Bestsellerliste der «New York Times» hoch, der bekanntesten Hitparade für Alphabeten.

Und wieder hat uns Woodward viel zu erzählen in «War» (Krieg), seinem neuesten, fast 500 Seiten starken Buch, das am Dienstag erschienen ist. Einiges daran ist neu, manches auf interessante Weise bestätigend. Anderes erläutert die Hintergründe des Bekannten, wieder anderes macht skeptisch, was auch sein Gutes hat. Wenn alle mit einer Recherche einverstanden sind, hat sie keinen Wert.

Biden hat Putin ermutigt

Bob Woodward hat sein Buch aus über hundert Interviews destilliert. Dazu kommen zusätzliche ungenannte Quellen. Das neue Material ist in seinen Kenntnissen des Weissen Hauses grundiert. Und seinen Begegnungen mit dessen temporären Bewohnern, von Richard Nixon über Vater und Sohn Bush bis Barack Obama und Joe Biden. Daraus lässt sich das Folgende schliessen.

Der Ukraine-Krieg hat insofern mit den USA zu tun, als Barack Obama Wladimir Putin nicht ernst nahm, was nach Ansicht seines damaligen Vizepräsidenten Joe Biden ein Fehler war. Biden selbst hat mit dem hastigen Abzug der amerikanischen Truppen den Taliban nicht nur Waffen mit Milliardenwert zurückgelassen, sondern zugleich Putin ermutigt, die Ukraine zu überfallen. Woodward hält diesen Rückzug für den schwersten Fehler des Präsidenten, dem er sonst wohlgesinnt ist.

Joe Biden mag kein populärer Präsident gewesen sein und wirkte zunehmend wie das Gespenst einer stillgelegten Geisterbahn. Aber Woodward rehabilitiert ihn als Leader, der den Krieg der Ukraine gegen Russland und den Kampf Israels gegen die Hamas mit Waffenlieferungen und Geheimdienst-Informationen beeinflusst habe, ohne amerikanische Truppen dorthin zu schicken.

Mit dieser Zurückhaltung widerspricht Biden dem Klischee, wonach Demokraten eine möglichst kleine Armee überallhin senden und die Republikaner ihre grosse Armee am liebsten daheim halten wollten. «I believe Biden and his team will be largely studied in history as an example of steady and purposeful leadership», schliesst das Buch im englischen Original. Biden und sein Team würden künftig als Beispiel beständiger und zielgerichteter Führung gelehrt. Mit Biden hat Woodward für dieses Buch nicht gesprochen.

Netanyahu ist an allem Schuld

Wie viele Abertausende von bombardierten, erschossenen oder sonst wie getöteten Frauen, Kindern und zivilen Männern aus Gaza die israelische Armee zum Kollateralschaden ihrer Attacken verharmlost: Dafür macht Joe Biden, ohne damit das Massaker der Hamas zu relativieren, Benjamin Netanyahu verantwortlich.

Der amerikanische Präsident hasst den israelischen Ministerpräsidenten, zumindest macht Bob Woodward das deutlich. Wie schon Richard Nixons vulgäre Sprache in den «Watergate Papers» die amerikanische Öffentlichkeit schockierte, erfährt sie jetzt mit Erstaunen, wie ihr Präsident über den israelischen Premier spricht: «He’s a fucking liar, a fucking asshole». Dasselbe sagt Biden auch über Donald Trump. Kamala Harris findet in Woodwards Buch wenig statt. Dafür wird sie mit dem lustigsten Satz zitiert: Biden möge sie, sagte sie einmal, «weil keiner das Wort ‹Motherfucker› so gut ausspricht wie ich.»

Donald Trump, der sich als Thema genauso in Woodwards Buch drängt wie als abgewählter Präsident in Joe Bidens Präsidentschaft: Er wird von politischen Experten im Weissen Haus, von Kaderleuten im Militär und den Geheimdiensten noch vehementer abgelehnt als bislang angenommen. Darum bezeichnet Bob Woodward die kommenden US-Wahlen als Gefahr für Amerika, sollte Trump diese Wahl gewinnen. «Er ist nicht nur der falsche Mann für dieses Amt», schreibt er, «er ist auch nicht fit genug, das Land zu führen.» Als Präsident habe Trump «weit schlimmer regiert» als Nixon.

Die Absicht des Buches ist offensichtlich: Woodward schreibt Biden hoch und Trump herunter. Warum Millionen von Amerikanerinnen und Amerikanern den cholerischen Ex-Präsidenten wieder wählen werden, dessen Impulsivität in den letzten Wochen noch düsterer und inkohärenter klangen, kümmert den Journalisten nicht. Bob Woodward ist nicht an seinen Landsleuten interessiert, sondern daran, wer sie als Präsident regiert. Ihn fasziniert die Macht weit mehr als die Demokratie.

Watergate, dieser Bauklotz in Washington

Selbstverständlich vergisst der Rechercheur nicht, uns an seinen ersten Hit zu erinnern, den ihm mit seinem damaligen Kollegen Carl Bernstein gelang. Das Wort «Watergate» kommt schon im ersten Satz des neuen Buchs vor, das Woodward konsequenterweise seinem «lebenslangen Freund und journalistischen Partner Carl Bernstein» widmet. Watergate, so heisst ein hässliches Gebäude am Ufer des Potomac-Flusses in Washington.

Was Woodward und Bernstein einte, waren ihre Gegensätze. Robert Woodward ist ein protestantischer Republikaner aus der Kleinstadt Geneva westlich von Chicago und diente mehrere Jahre in der Marine, bevor er in den Journalismus wechselte. Carl Bernstein ist ein jüdischer Demokrat aus einer liberalen Familie in der Hauptstadt Washington. Woodward ist der bessere Rechercheur, Bernstein der bessere Schreiber. Die beiden arbeiteten als Lokaljournalisten bei der Washington Post, als sie eines Morgens erfuhren: In der Parteizentrale der demokratischen Partei im Watergate-Gebäude war ein Einbruch versucht worden. Nach einem Hinweis des Wachmanns hatte die Polizei fünf Männer festgenommen. Das war am 17. Juni 1972.

Sein erstes Interview mit Trump

Die beiden Journalisten begannen, die Hintergründe des Einbruchs zu recherchieren. Am Ende ihrer Ermittlungen und unzähligen Artikeln musste Richard Nixon als Präsident zurücktreten. Er und seine Leute hatten die Verwanzung der demokratischen Parteizentrale angeordnet.

Dass zwei Lokaljournalisten ohne Pressepass einen Präsidenten zu Fall brachten, war für die Journalisten im Weissen Haus eine enorme Demütigung. Und mit ein Grund, warum sie die Artikel der beiden Kollegen so lange ignorierten. Die Watergate-Affäre wurde von Alan Pakula als «All the President’s Men» (1976) mitreissend verfilmt, Robert Redford und Dustin Hoffman spielten Woodward und Bernstein.

An einer Dinnerparty in New York, schreibt Bob Woodward in seinem neuen Buch, seien er und Carl Bernstein Donald Trump erstmals begegnet. Das war im Februar 1989, Trump war damals 42 Jahre alt. Wäre es nicht toll, fragte der Immobilienmakler, wenn Woodward und Bernstein einmal ihn interviewen würden? Man traf sich anderntags im Trump Tower.

In der Folge verlor Woodward sowohl die Kassette wie auch das Transkript des Interviews, das zumindest behauptet er. Und dass er sie erst vor kurzem nach langem Suchen gefunden habe. Gerade rechtzeitig für das neue Buch also.

Dann zitiert er lange Passagen aus dem Gespräch und sagt, in diesem ersten Interview seien ihm schon alle Charakterzüge, Widersprüche, Selbstüberschätzungen und Prahlereien von Donald Trump aufgefallen, welche die ganze Welt an ihm erlebt, seit er in die Politik wechselte. Und jetzt kandidiert er zum dritten Mal als amerikanischer Präsident. Mit wieder steigenden Wahlchancen, wie die letzten Zahlen andeuten.

Nun ist Kritik an Trump das Letzte, was die amerikanischen Wählerinnen und Wähler nicht mitbekommen haben. Doch wird man Woodward attestieren, dass er Donald Trump kennt. Über 20 Mal hat er ihn getroffen und insgesamt 8 Stunden lang interviewt.

Als sei das Buch eine Strafaufgabe

Die amerikanischen Medien, von CNN bis zur «New York Times», haben Bob Woodwards Buch lang und breit besprochen. Nur klangen einige Rezensenten so, als schrieben sie eine Strafaufgabe.

Ihre schlechte Laune hat mehrere Gründe. Am meisten gibt erneut zu reden, wie Woodward mit seinen Quellen umgeht. Zwar weist er Hunderte von Akteuren mit ihren Zitaten nach und vermerkt sie in seinem Quellenverzeichnis.

Aber ausgerechnet die beunruhigende Aussage, wonach Donald Trump nach seiner Abwahl sieben Mal mit Wladimir Putin telefoniert habe – diese Aussage kann Woodward nur mit einer einzigen Quelle belegen, die noch keine amerikanische Zeitung bestätigen konnte. Er nennt einen Angestellten («a Trump aide»), der für Trumps private Residenz in Florida arbeitete. Wenn die Aussage stimmt, ist Trump auch nach seiner Abwahl und vor seiner erneuten Präsidentschaftskandidatur ein Kumpel Putins geblieben, einem der grössten Feinde der USA. Er hat ihm sogar heimlich Covid-Tests zum eigenen Gebrauch geschickt. Was der Kreml inzwischen bestätigt hat.

Wie alle politischen Journalistinnen und Journalisten wissen, lässt sich eine kritische Recherche ohne anonyme Quellen kaum realisieren. Weil nämlich die Befragten oft den Chefs unterstehen, die sie kritisieren.

Der amerikanische Politwissenschafter Greil Marcus verfolgt die Karriere von Bob Woodward seit Watergate mit Interesse, aber auch mit Misstrauen. Woodwards Probleme seien weniger die Quellen als ihre Verortung, schreibt er auf Anfrage.

Als Beispiel nimmt Marcus das Zitat des ehemaligen Generals Mark Milley, dessen Aussage viele Zeitungen übernahmen: «Trump ist ein Faschist durch und durch» («a fascist to the core»). Aus dem Kontext gerade dieses Zitats werde aber nicht klar, sagt Marcus, wann Milley es Woodward gegeben habe: «Mark Milley diente Trump als General und war bereit, sich von ihm auf eklatante Weise manipulieren zu lassen.» So gesehen könne seine Distanzierung auch als späterer Versuch angelegt sein, einen früheren Makel zu tilgen. Doch dann sei seine Aussage wertlos.

Wie eine endlose Tagesschau

Erschwerend kommt für Bob Woodward hinzu, dass er mit «War» sein zwanzigstes Buch über das Weisse Haus veröffentlicht oder mitgeschrieben hat. Nur gerade seine harsche Biografie des Komikers John Belushi bleibt frei von Politik. Über Barack Obama und Bill Clinton hat Woodward zwei, über George W. Bush und Donald Trump drei Bücher geschrieben. Schon das hält die Erregungskurve der Kollegen flach.

Schliesslich liest sich das Buch wie eine endlose Tagesschau mit wechselnden Talking Heads, wie Amerika seine Nachrichtensprecher am Fernsehen nennt – und was die coole New Yorker Band auf ihren Namen brachte. Obwohl Woodward sich immer wieder um szenische Beschreibungen bemüht, wirken sie eingeklebt. Bob Woodward kann vieles, schreiben kann er nicht. Der Sog seiner Bücher entsteht aus der Brisanz der Recherchen. Die beliebte Erzähltechnik des «in the room journalism», wie CNN das nennt, das Schreiben, als sei man beim jeweiligen Gespräch dabei gewesen, funktioniert bei Woodward nicht.

Das Schlimmste an seiner Behauptung, Trump habe auch privat mit Putin telefoniert, ist nicht die unbestätigte Quelle. Sondern wie plausibel ihre Aussage klingt. Donald Trump hat Wladimir Putin öffentlich als Genie bezeichnet und bei jeder Gelegenheit gelobt. Er ist bekannt dafür, Schmeichlern zu glauben. Wladimir Putin ist bekannt dafür, Menschen zu manipulieren.

Bob Woodward: Krieg. Aus dem Englischen von Hella Reese, Sylvia Bieker, Annika Domainko, Gisela Fichtl und Stephan Kleiner. Hanser-Verlag, München. 480 S., Fr. 38.90.

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