Donnerstag, Oktober 3

In der internationalen Zusammenarbeit verlangt der Ständerat vom Bundesrat ein forscheres Auftreten. Der Aussenminister zeigt sich wenig begeistert.

Bei Alliance Sud, der Dach-NGO der Schweizer Entwicklungsorganisationen, ist man empört. Man sieht den humanitären Ruf der Schweiz gefährdet. Dass der Bundesrat in den kommenden vier Jahren 1,5 von insgesamt 11,27 Milliarden Franken für die Ukraine-Hilfe vorsieht, gehe gar nicht.

Das sei mehr Geld als für die Entwicklungszusammenarbeit für Subsahara-Afrika aufgewendet werde, warnte Alliance Sud vor der laufenden Herbstsession. Dazu drohten aufgrund der klammen Bundesfinanzen weitere Kürzungen. Alliance Sud will deshalb Alarm schlagen und mit «Vor-Ort-Anlässen» in Schweizer Städten auf Tour gehen.

Die Organisation lobbyiert schon seit geraumer Zeit gegen den politischen Bedeutungsverlust. Mit Steuer- und Spendengelder versteht sich. So hat man unter anderem die PR-Agentur Farner engagiert, um allfällige Sparforderungen bei der Entwicklungshilfe zu zerstreuen. Es ist sozusagen Entwicklungshilfe in eigener Sache – dass es um den Ruf der Hilfswerkindustrie schlecht bestellt ist, zeigte sich am Mittwoch im Ständerat.

«Klartext sprechen»

Die Kleine Kammer hat die bundesrätliche Strategie der internationalen Zusammenarbeit (IZA) zwar verabschiedet, machte aber gleichzeitig deutlich, dass es ein «Weiter wie bisher» nicht mehr geben soll. Wenn sich die Welt ändere, müsse sich auch die internationale Zusammenarbeit ändern, lautet ein in der Debatte mehrfach geäussertes Credo. Die Schweiz soll nicht mehr nur geben, sondern auch einfordern.

Die bürgerliche Mehrheit im Ständerat sprach sich deutlich (mit 29 zu 11 Stimmen bei zwei Enthaltungen) dafür aus, dass der Bundesrat künftig Bedingungen stellen soll. Demnach soll er bilaterale Hilfsprogramme kürzen, wenn die Regierungen der Empfängerländer nicht «ausreichend bereit» seien, bei Migrationsfragen zu kooperieren. Dabei geht es in erster Linie um die Rücknahme illegaler Migranten.

Länder, denen der Schweizer Steuerzahler mit Entwicklungsgelder unter die Arme greift, sollen ihre abgewiesenen Landsleute zurücknehmen. «Wir müssen mit diesen Staaten auch Klartext reden können», sagte Mitte-Ständerat Benedikt Würth, der die Idee einbrachte. Der Appell galt implizit vor allem dem Staatssekretariat für Migration (SEM), das für die Rückweisungen zuständig ist.

Soll der Schweizer Staat plötzlich auch seine eigenen Interessen in die Waagschale werfen? Auf der linken Ratsseite gab man sich angesichts dieses sich abzeichnenden Paradigmenwechsels konsterniert.

Mit dieser «negativen Konditionalität» nehme die Schweiz die Bevölkerung im globalen Süden in «Geiselhaft», alarmierte SP-Ständerätin Franziska Roth. Zudem würden sich die Machthaber in den Entwicklungsländern nicht von den helvetischen Drohgebärden beeindrucken lassen. Es sei den Herrschern in Burkina Faso egal, ob der Bundesrat das Programm kürzen und statt wie jetzt 29 Millionen Franken jährlich nur noch 20 Millionen für die Zivilbevölkerung bereitstellen würde.

An der Mimik der bürgerlichen Ständeräte war abzulesen, dass die Linke um Roth den neuen Meccano noch nicht ganz durchdrungen zu haben scheint. Der Bundesrat, so die eigentliche Idee, könnte im gegebenen Fall die Hilfsgelder ganz streichen, wenn – um bei Roths Beispiel zu bleiben – Burkina Faso seine 13 Landsleute, die derzeit aus der Schweiz ausreisen müssten, nicht zurücknehmen würde.

Der zuständige Bundesrat Ignazio Cassis zeigte sich offen für die Neuerung, begeistert wirkte er indes nicht. Der Aussenminister wollte den Eindruck vermeiden, wonach die Regierung die Interessen der Schweiz zu wenig resolut verfolge. Cassis war es wichtig zu betonen, dass der Bundesrat die Hilfsgelder heute schon mit Bedacht und den nötigen Gegenleistungen verteile.

Aber auch hier sprachen die Gesichter der bürgerlichen Ständeräte Bände. Gemessen an den gerunzelten Stirnen und verdrehten Augen schien man die Selbsteinschätzung des Aussenministers nicht ganz zu teilen. Alliance Sud hat wohl allen Grund dazu, alarmiert zu sein. Zumindest im Ständerat ist man mit der Geduld am Ende.

Hüftschuss hallt nach

Uneinigkeit gab es in den bürgerlichen Fraktionen lediglich mit Blick auf Vorgehen. So hatte FDP-Ständerat Benjamin Mühlemann einen Antrag gestellt, um die IZA-Strategie mit seinen Verpflichtungskrediten an den Bundesrat zurückzuweisen. Dies, weil der Ständerat in der vorherigen Sommersession noch beschlossen hatte, einen Teil der Mehrausgaben für die Armee bei der Entwicklungshilfe einzusparen. Zuerst kürzen, dann doch an den IZA-Krediten festhalten? Bei aller Logik kam Mühlemanns Antrag nicht durch.

Ebenso wenig Erfolg hatte ein Antrag von SVP-Ständerätin Esther Friedli, die sofort mit dem Sparen beginnen wollte und eine Reduzierung des Kredits von insgesamt 800 Millionen Franken forderte. Die Mehrheit um die Mitte-Ständeräte mussten zwar eingestehen, dass der Entscheid vom Sommer «ein bisschen aus der Hüfte geschossen war», wie es Würth zusammenfasste. Die finanzpolitische Gesamtschau soll dann unter anderem bei der Vernehmlassung des Gaillard-Berichts erfolgen. Die IZA-Ausgaben kamen bei den Sparvorschlägen der Expertengruppe äusserst glimpflich davon. Dies könnte sich ändern.

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