Donnerstag, März 6

Im amerikanischen Exil führte Thomas Mann einen publizistischen Kampf gegen das «Dritte Reich»: Die Rundfunkreden «Deutsche Hörer!» sind brillante Hasspredigten – und Podcasts avant la lettre.

Mit der rechten Hand arbeite er an seinem Roman, schrieb Thomas Mann im Juli 1943: «Mit der linken werfe ich unermüdlich Steine in Hitlers Fenster.» Seit bald sechs Jahren lebte er in Amerika. Im Exil, in das er von den Nazis gezwungen worden war. Dort war er der prominenteste deutschsprachige Exilant, Sprachrohr des intellektuellen Widerstands gegen das Hitlerregime.

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Und Wanderprediger in Sachen Demokratie. «Unter uns gesagt», schrieb er dazu, «es ist eine Rolle – mit der ich mich so weit identifiziere, wie ein guter Schauspieler sich mit der seinen identifiziert». Der Autor der «Buddenbrooks», des «Zauberbergs» und des «Joseph»-Romans – das amerikanische Publikum nahm ihn vor allem als politischen Schriftsteller wahr. Als Public Intellectual, der offen gegen den Nationalsozialismus Stellung bezog.

Gesucht hatte er diese Rolle nicht. Allein durch die Umstände sei er «ins Politische getrieben worden», sagte er einmal – und dies «sehr gegen meine Natur und gegen meinen Willen». Aber die Greuel der Naziherrschaft verlangten nach klaren Worten. Hitler hatte ihn vertrieben, ausgebürgert, zum Exilanten gemacht. Im Exil galt Thomas Mann als Repräsentant des «guten Deutschland», das hinter der Fratze des Nationalsozialismus kaum mehr erkennbar war. Dem konnte und wollte er sich nicht entziehen.

«Wo ich bin, da ist Deutschland»

Auch wenn er eine Rolle spielte: Verstellen musste er sich nicht. Sein Urteil über den Nationalsozialismus stand von Anfang an fest. Das über Hitler sowieso. «Der Bursche ist eine Katastrophe», hatte er 1938 geschrieben, und schon früher hatte er öffentlich gegen ihn und seine Entourage angeschrieben: dezidiert und giftig. Aus Amerika setzte er den Kampf fort. Auch Tausende von Kilometern von Deutschland entfernt fühlte er sich seinem Land nahe.

«Wo ich bin, da ist Deutschland», sagte er Journalisten 1938 bei seiner Ankunft in New York. Das hiess zweierlei: dass er der Nazibarbarei zum Trotz an dem Deutschland festhielt, das er als Heimat empfand. Und dass er bereit war, sich auch im Exil der Verpflichtung zu stellen, für dieses Deutschland zu kämpfen. Und für die Deutschen, die bereit waren, aus dem Albtraum des «Dritten Reiches» wieder zu erwachen.

Dafür scheute er keinen Aufwand. Und er übernahm dafür Aufgaben, die er sich kaum hätte träumen lassen. Zwischen 1940 und 1945 bestritt Thomas Mann insgesamt neunundfünfzig Radiosendungen, in denen er sich an die Deutschen in Deutschland wandte, sie über das Kriegsgeschehen informierte, gegen Hitler vom Leder zog und zum Widerstand gegen das Regime aufrief.

Von Kalifornien zum Volksempfänger

«Deutsche Hörer!» hiessen die Sendungen, die ab Oktober 1940 jeden Monat ausgestrahlt wurden. Auftraggeber war die BBC, und Thomas Mann nahm die Aufgabe gern an. Sie gab ihm, der in Deutschland als «unerwünschter Autor» galt, die Möglichkeit, sich endlich wieder auf Deutsch an seine Landsleute zu wenden. Und sich zumindest von weitem im Widerstand zu engagieren.

Freilich auf Umwegen. Der German Service der BBC war der meistgehörte «Feindsender» im Deutschen Reich. Es war verboten, ihn zu hören. Aber man konnte ihn mit dem Volksempfänger empfangen. Bis die Sendungen ausgestrahlt werden konnten, mussten die Texte allerdings in einem komplizierten Verfahren über Kontinente hin- und hergeschickt werden.

Am Anfang schrieb Thomas Mann die Texte und telegrafierte sie nach London, wo sie von einem deutschsprachigen BBC-Mitarbeiter verlesen und anschliessend ausgestrahlt wurden. Ab März 1941 las er sie selbst in Kalifornien auf eine Schallplatte ein, die Tonspur wurde von New York aus per Telefon nach London übertragen und dort zum zweiten Mal auf eine Vinylplatte gepresst. Von dieser aus wurde die Aufnahme dann ausgestrahlt. Auf Langwelle, um Störversuche der Deutschen zu vermeiden.

Goebbels hört mit

Wohlweislich. Goebbels’ Propagandaministerium hörte Thomas Manns Brandreden mit Verärgerung. In den fünf- bis achtminütigen «messages», wie Mann selbst sie nannte, nahm er kein Blatt vor den Mund. Die Sendungen waren keine ausgewogenen Stellungnahmen, wie man sie vom etwas altdeutsch steifen Nobelpreisträger erwartet hätte, sondern von Gift und Galle triefende Invektiven, die den Deutschen klarmachen sollten, welches Unheil der Naziwahnsinn über die Welt brachte.

Auf Thomas Manns 150. Geburtstag hin sind die Texte jetzt in einer Neuausgabe aufgelegt worden: Gelegenheit, Mann so kennenzulernen, wie man ihn aus den Romanen, Erzählungen, Essays und Tagebüchern nicht kennt. Als Podcaster avant la lettre gewissermassen, der den Deutschen mit eingängigen Botschaften einheizt. Manchmal auch als Bussprediger, der ihnen vor Augen führt, wie radikal sie sich aus der Gemeinschaft der Völker verabschiedet hatten.

In diesen Texten gibt es nichts Prätentiöses, keine doppelbödige Ironie. Es geht zur Sache. Thomas Mann gibt seinem Ekel über die Nazis, seinem Entsetzen über die Barbarei und seiner Verachtung für die aufgeblasen-lächerlichen und zugleich so gefährlichen Rädelsführer ungefiltert Ausdruck. Er warnt die Deutschen. Als Freund, wie er sagt, der ihnen nur das vorhalte, was sie im Grunde selbst wüssten: «Euch warnen, Deutsche», schliesst er die Sendung vom März 1941, «heisst, euch in euren eigenen schlimmen Ahnungen bestärken. Ich kann nicht mehr tun.»

«Hass, Gewalt und Unsinn»

Hitler nennt er «die abstossendste Figur, auf die je das Licht der Geschichte fiel», einen «kümmerlichen Erzschwindler». Er bezeichnet ihn als «krankhaft verlogen», «widerwärtig», «schäbig», «idiotisch obszön», als «hohle Null» und «intellektuellen und moralischen Minderwert». Bisweilen ging sein Ton sogar der BBC zu weit, die den Propagandalügen der Nazis nicht mit Polemik, sondern mit einer «Strategie der Wahrheit» entgegentreten wollte.

Begriffe wie «Mordgesindel», «blutige Schmierentruppe» oder «apokalyptische Lausbuben» wurden vom zuständigen Redaktor auf den Index gesetzt. Thomas Mann kümmerte sich nicht darum. Und man liess es ihm durchgehen. Den Kern der NS-Ideologie entlarvt er als «Gewalt und Niedertracht», «Völkervernichtung und Rassenausrottung». Und betont, dass die Radikalität der Nazis von Anfang an zu erkennen war. Der Krieg, sagt er im Januar 1942, habe nicht 1939, sondern 1933 begonnen: mit der Abschaffung der Menschenrechte.

Im August 1942 kommt er auf König Midas aus der griechischen Sage zu reden, der alles, was er berührt habe, in Gold verwandelt habe. Dem Nationalsozialismus sei eine ähnliche Gabe eigen, sagt er. Nur ins Negative gewendet: «Was hat der umgekehrte Midas, der Nationalsozialismus, aus dem Golde der Vaterlandsliebe gemacht? Nun, Dreck, selbstverständlich. Blöde Überheblichkeit, rasenden Rassedünkel, Hass, Gewalt und Unsinn. Und auf die vollendete Niedertracht will er die ‹Neue Ordnung›, will er Europa bauen.»

Da spricht einer, der Deutschland liebt. Oder der es lieben möchte. Aber kaum mehr kann. Der zusehen muss, wie die Deutschen «die Welt in Nacht und Grauen» hüllen. Immer wieder versucht er, zwischen Deutschland und Nazideutschland zu unterscheiden. Es fällt ihm, der ab 1944 amerikanischer Staatsbürger war, zusehends schwerer. Es werde kein Vergnügen sein, nach diesem Kriege ein Deutscher zu sein, sagt er im September 1941 resigniert.

«Wisst ihr Deutschen das?»

Schon im Januar 1942 berichtet er von «Probevergasungen» an niederländischen Juden und verwahrt sich dagegen, das als «Gräuelgeschichte» beiseitezuschieben. Er erinnert an Goebbels, der am Radio gesagt hatte: «Es ist unser Ziel, die Juden auszurotten», listet auf, wie viele Menschen exekutiert oder in Konzentrationslager deportiert wurden. Und schliesst zynisch: «Wisst ihr Deutschen das? Und wie findet ihr es?»

Thomas Manns Statements sind keine Lageberichte, keine Analysen des Kriegsgeschehens. Es sind moralische Aufrufe. Er appelliert an die Deutschen, sich dem Unrechtsregime zu widersetzen, das alles mit sich in den Abgrund reissen werde. Er wurde gehört. Unter anderem von den Mitgliedern der Weissen Rose, in deren Flugblättern sich enge Anlehnungen an Manns Formulierungen finden.

Zur Auflehnung, zu der Thomas Mann aufrief, ist es nicht gekommen. Deutschland raste in den Untergang. «Wie bitter ist es», sagte er am 10. Mai 1945, «wenn der Jubel der Welt der Niederlage, der tiefsten Demütigung des eigenen Landes gilt!» Und schloss: «Es ist trotz allem eine grosse Stunde, die Rückkehr Deutschlands zur Menschlichkeit.»

Thomas Mann: Deutsche Hörer! Radiosendungen nach Deutschland. Mit einem Vorwort und einem Nachwort von Mely Kiyak. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2025. 272 S., Fr. 34.90.

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