Dienstag, Oktober 8

Mehr als 30 Millionen Bücher verkaufte der Satiriker auf Deutsch. Sein Erfolg als Jude im «Land der Täter» war für ihn eine Ironie.

Den Nobelpreis hat er nie bekommen. Nein, das ärgere ihn nicht, pflegte Ephraim Kishon lachend zu sagen, warum auch? Das war natürlich nur die halbe Wahrheit, bestenfalls. Eigentlich, das liess er in koketter Unbescheidenheit durchblicken, hätte er ihn verdient. Schliesslich war er einer der meistgelesenen Autoren der Welt. Über 40 Millionen Bücher hatte er verkauft, darauf wies er immer wieder hin. Seine Kurzgeschichten und Romane wurden in jedem Bahnhofkiosk angeboten und jedem Lesezirkel geteilt. Seine Theaterstücke wurden weltweit gespielt, die Filme, für die er das Drehbuch schrieb und selbst Regie führte, waren fast ausnahmslos Kassenschlager.

Kishon erreichte alles, was ein Schriftsteller erreichen kann. Mehr als das. Und er wusste, was er konnte: schreiben. So, dass die Menschen berührt waren, dass sie lachten. Der Vorwurf, er verfasse Gute-Laune-Bücher, liess ihn kalt. Dass die Literaturkritik einen Bogen um ihn machte, ärgerte ihn. Wenn sich Kritiker äusserten, taten sie es von oben herab: Das Werk «dieses israelischen Humoristen» sei nicht unter literarischen Aspekten zu beurteilen, liess der Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki verlauten. In den Feuilletons wurde Kishon als «Humorfabrikant» bezeichnet, die «Zeit» schmähte seine Satiren als «Radiergummi fürs Gehirn».

Dem hielt Kishon entgegen, Satire werde von der Literaturkritik zu wenig ernst genommen, und wer Erfolg habe, werde sowieso bestraft. Doch statt lange zu diskutieren, schrieb er lieber an seinem nächsten Buch. Mit eiserner Disziplin. In vier Jahrzehnten entstanden rund vierzig Bände mit Kurzgeschichten, drei Romane, ein Dutzend Theaterstücke und sieben Filme. Die «New York Times» feierte «Drehn Sie sich um, Frau Lot» 1961 als «Buch des Monats», zwei Jahre später wurde «Arche Noah, Touristenklasse» zum internationalen Bestseller, und spätestens ab «Der seekranke Walfisch» (1965) garantierten Kishon-Titel volle Kassen.

Die Tücken des Alltags

Trotz dem Erfolg blieb bei Ephraim Kishon ein leises Ungenügen zurück: «Ich will eine hohe Auflage, ich will anerkannt sein, ich will gute Kritiken bekommen», sagte er in einem Interview – 1980, auf der Höhe seines Erfolgs. Die Auflagen stimmten, der Anerkennung seiner Leserinnen und Leser konnte sich Kishon sicher sein. Und Kritiker hielten ihm zumindest eines zugute: dass er die Leser zum Lachen brachte – und dass es keinen deutschen Autor gab, der das so gut konnte. Zufrieden war Kishon damit nicht. Er fühlte sich verkannt. Es gelinge ihm nicht, sich selbst davon zu überzeugen, dass er keinen Grund habe, schlecht gelaunt zu sein, hat er einmal gesagt. Das ärgere ihn oft.

Für die gute Laune waren seine Geschichten da. Auch wenn sie von Missgeschicken erzählten, von den kleinen Problemen des Alltags. Von sturen Beamten, Ehestreitigkeiten, korrupten Politikern, Kommunikationspannen: Das eigene Familienleben bot Kishon ein unerschöpfliches Repertoire an Szenen und Missverständnissen, die er aufnahm und ins Absurde kippen liess. Seine zweite Frau Sara ging als «beste Ehefrau von allen» in die Bücher ein, die Kinder sind immer wiederkehrende Protagonisten.

Rafi, der älteste Sohn, der beim ersten Besuch im Supermarkt zielgerichtet eine Pyramide von Konservendosen zum Einsturz bringt und für den erlittenen Schock getröstet werden muss. Amir, der unglücklich ist, weil seine Eltern ohne ihn nach Amerika fahren – und sie am Ende regelrecht zur Abreise drängt, weil sie versprochen haben, ihm gestreiften Kaugummi mitzubringen. Und die Tochter Renana, die ihre Puppe im Sofa versteckt, um anschliessend in mörderisches Gebrüll auszubrechen und die ganze Familie mit der Suche nach der Puppe zu beschäftigen.

Im Land der Täter

Das war Humor, wie ihn die deutschsprachigen Leserinnen und Leser mochten: ironisch, manchmal leicht sarkastisch, aber doch so liebevoll, dass es nicht weh tut. Wenn es lustig sein sollte, dann war das in Deutschland ab den sechziger Jahren Ephraim Kishons Domäne. Dabei war es alles andere als selbstverständlich, dass ein Autor, der in Israel lebte und über den israelischen Alltag schrieb, in Deutschland ein solches Echo fand. Und noch erstaunlicher, dass ein jüdischer Schriftsteller ausgerechnet im «Land der Täter» seine grössten Erfolge feierte.

Lachen, um zu überleben. Ephraim Kishon Doku (2017)

Mehr als 30 Millionen seiner Bücher verkaufte Kishon allein in Deutschland. Er selbst sah darin eine ironische Pointe der Geschichte: Als junger Mann hatte er in Ungarn unter der Verfolgung durch die Nazis gelitten, 1944 war es ihm gelungen, aus einem Arbeitslager zu fliehen, er überlebte unter falschem Namen, hielt sich in Budapest im Keller eines Hauses versteckt, lebte von einem Vorrat von Tomatensaft, den er dort fand, und begann zu schreiben. Nach dem Krieg geriet er in einen Gefangenentransport in den Gulag, dem er mit Glück und Geschick entkam.

Zwei Jahrzehnte später brachte er deutsche Leserinnen und Leser dazu, über die Unzulänglichkeiten zu lachen, die das Leben in Israel mit sich brachte. Kishon sprach aus Erfahrung. 1949 war er mit seiner ersten Frau Chawa nach Israel ausgewandert. Hier wurde der vor hundert Jahren, am 23. August 1924, geborene Ferenc Hoffmann zu Ephraim Kishon.

In Budapest hatte er sich selbst den Namen Kishont zugelegt, um im kommunistischen Ungarn nicht mit einem «bürgerlichen» Namen aufzufallen. Bei der Einreise nach Israel änderte der Einwanderungsbeamte den Nachnamen in Kishon, weil er das «t» unnötig fand. Und Ferenc? Das gebe es nicht, entschied der Beamte und setzte «Ephraim» ins amtliche Dokument.

Aus Ferenc wurde Ephraim. Und aus dem gelernten Goldschmied und diplomierten Metallbildhauer Hoffmann der Schriftsteller Kishon. Er lernte Hebräisch und begann für «Maariv» zu schreiben, eine der grössten Tageszeitungen Israels. Eine tägliche Kolumne. Daneben verfasste er Bücher und Theaterstücke, die bald übersetzt wurden. Kishon wurde bald zu einer Marke, zu einem Erfolgsprogramm. Der Band «Familiengeschichten» gilt bis heute als das meistverkaufte hebräische Buch nach der Bibel.

Goebbels am Autoradio

Israel wurde zu Kishons neuer Heimat. In Tel Aviv fühlte er sich heimisch, soweit er sich überhaupt irgendwo zu Hause fühlen konnte. 1980 kaufte er ein Haus in der Nähe von Appenzell. Weshalb? Wegen der Schweizer Toiletten, wie er später in einem Interview mit Anne Will sagte: «Eine Schweizer Toilette, das ist ein Traum, man würde am liebsten einziehen!» Bis zu seinem Tod im Januar 2005 verbrachte er einen grossen Teil seiner Zeit in der Schweiz.

Dass die «Enkel seiner Henker» in Deutschland für seine Lesungen Schlange standen, empfand er als Genugtuung. Kishon war konservativ und stiess mit seinen dezidiert zionistischen Positionen immer wieder auf Ablehnung, besonders bei Schriftstellerkollegen wie Amos Oz oder David Grossman. Aber er machte es den Deutschen leicht, über Juden zu lachen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.

Die Themen Krieg, Nazis und Holocaust sparte er in seinen Büchern aus. In seinen Geschichten bemühte er sich, zu zeigen, dass es in Israel wieder einen jüdischen Alltag gab, und dass dieser eigentlich ganz normal war, abgesehen von den kleinen Problemen, die auch die Deutschen plagten. Wie tief er von seiner Vergangenheit als Holocaust-Überlebender geprägt war, war an Kishons öffentlichen Auftritten nur selten spürbar. Meist schien es, als sei ihm seine eigene Geschichte zu einer Sammlung von Anekdoten geworden.

In einem 2017 produzierten Dokumentarfilm erzählt Kishons Sohn Rafi, wie er nach dem Tod des Vaters in dessen Auto Tonbandkassetten fand und überrascht war, darauf Reden von Goebbels und Hitler zu finden. Kishon hörte sie, wenn er allein mit dem Auto unterwegs war. Aus Erleichterung darüber, den Nazis entkommen zu sein? Vielleicht. Aber auch als Mahnung, dass dereinst wieder alles von vorn beginnen könnte.

Zu Kishons 100. Geburtstag ist eine neue Biografie erschienen: Silja Behre: Ephraim Kishon. Ein Leben für den Humor. Langen-Müller-Verlag, München 2024. 416 S., Fr. 37.90.

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