Das entscheidende Argument: «menschliche biologische Hauptbedürfnisse».
Am Nachmittag des 21. Juni 2022 parkierte ein heute 51-jähriger Schweizer sein Auto am Zähringerplatz in Zürich auf einem gebührenpflichtigen Parkfeld. Dort gibt es eine zentrale Parkuhr, die zulässige Parkzeit beträgt zwei Stunden. Der Mann, der ein Auto mit Zuger Kontrollschildern fuhr, kam zu spät zum Parkplatz zurück.
Der Automobilist wurde per Strafbefehl des Zürcher Stadtrichteramts mit einer Busse von 40 Franken und 90 Franken Gebühren bestraft. Der Tatbestand lautete: fahrlässiges Überschreiten der zulässigen Parkzeit bis zu zwei Stunden auf einem gebührenpflichtigen Parkfeld. Doch der Mann akzeptierte den Strafbefehl nicht.
Er zog den Fall weiter und erklärte einem Einzelrichter am Bezirksgericht, er sei durch «menschliche biologische Hauptbedürfnisse» daran gehindert worden, sein Fahrzeug rechtzeitig abzuholen. Trotzdem wurden der Schuldspruch und die Busse von 40 Franken bestätigt. Zusätzlich wurde der Mann dazu verpflichtet, 440 Franken Untersuchungskosten und 600 Franken Gerichtsgebühr zu bezahlen. Auch das liess der Automobilist nicht auf sich beruhen.
Weiterzug bis ans Obergericht
Deshalb musste sich nun auch das Obergericht mit dem Fall befassen. Weil es sich nur um einen Übertretungstatbestand handelt, ist das Verfahren schriftlich durchgeführt worden. Eine öffentliche Verhandlung fand nicht statt.
Hier, in dritter Instanz, zahlte sich die Hartnäckigkeit des Automobilisten schliesslich aus: Das Obergericht sprach ihn vom Vorwurf der Verletzung der Verkehrsregeln frei. Dieses Urteil ist bereits rechtskräftig. Die Kosten der beiden Gerichtsinstanzen werden auf die Staatskasse genommen, jene des Stadtrichteramtes werden abgeschrieben.
Wie dem Obergerichtsurteil zu entnehmen ist, blieb mangels entsprechender Erwägungen der Vorinstanz unklar, ob und inwiefern diese vom Beschuldigten ins Feld geführte «Notsituation» in der Urteilsfindung berücksichtigt worden war.
In seiner Berufungserklärung machte der Automobilist nicht nur «biologische Hauptbedürfnisse» geltend. Er argumentierte auch, dass er sich ohne sein Verschulden verspätet habe, aber trotzdem innerhalb von 10 Minuten nach Ablauf der bezahlten Parkzeit bei seinem Auto gewesen sei. Er stellte «die aktuelle Praxis der Bussenausteilung in der Stadt Zürich» infrage und beantragte die juristische Überprüfung derselben sowie die Rückkehr zu den früheren Toleranzwerten von mindestens 10 bis 15 Minuten bei den bezahlten Parkplätzen.
Das Berufungsgericht fühlte sich in seinem Urteil allerdings nicht zuständig, sich mit der generellen Angemessenheit der geltenden «Kulanzzeitregelung» der Stadt Zürich oder mit deren Auswirkung auf den angefochtenen Entscheid zu befassen.
Toilettengang nicht widerlegbar
Die II. Strafkammer des Obergerichts erwog im schriftlichen Urteil jedoch, dass es «im Allgemeinen nicht abwegig» sei, sich wegen einer persönlichen «Notsituation» um wenige Minuten zu verspäten. Zugunsten des Beschuldigten erachtete es die Kammer daher als gegeben, dass es ihm nicht zuzumuten war, das besagte Fahrzeug innert der bezahlten Parkdauer vom Parkplatz wegzufahren, und er sich deshalb um wenige Minuten verspätete. Unter diesen Umständen sei der subjektive Tatbestand nicht erfüllt.
Der Beschuldigte habe die Parkzeit beispielsweise nicht aus Nachlässigkeit überschritten, wie ihm in der Anklage vorgeworfen worden war. Vielmehr habe er geltend gemacht, seine Rückkehr zum Auto habe sich verzögert, da er dringend eine Toilette habe aufsuchen müssen. Dieses Vorbringen habe ihm nicht widerlegt werden können.
Die Frage bleibt freilich, ob das Obergericht mit seinem Freispruch eine Steilvorlage für andere verspätete Automobilisten geliefert hat, deren Vorbringen in Zukunft wohl auch nicht widerlegt werden kann.
Urteil SU230029 vom 8. 11. 2023, rechtskräftig.