Donnerstag, Januar 23

Für die einen ist er ein moderner Schwerverbrecher, für die anderen der Held der Bitcoin-Ära. Tatsächlich sagt die Begnadigung von Ross Ulbricht viel über Trumps Verhältnis zur Krypto-Industrie aus.

Eine Lawine aus Begnadigungen hat sich in den vergangenen Tagen über Washington ergossen. Losgetreten wurde sie durch Joe Biden, dann hat sie Nachfolger Donald Trump weitergeführt. Hellhörig macht insbesondere der Fall von Ross Ulbricht, gilt er doch als Märtyrer der Kryptoindustrie, dessen Fall 2021 gar verfilmt wurde. Nun erhalte er eine «vollumfängliche und bedingungslose Begnadigung», verkündete Trump am Dienstag auf Truth Social.

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Ulbricht selbst mag kaum jemandem ein Begriff sein, seine Handelsplattform hingegen schon. Die «Silk Road» schrieb Geschichte als erster moderner Drogenumschlagsplatz. Von 2011 bis 2013 wurden auf der Plattform Heroin, Kokain und LSD gehandelt, ebenso gefälschte Ausweise und Pornografie. Zu finden war sie im Darknet – also einem Teil des Internets, auf den man nicht mit Suchmaschinen, sondern mit spezieller Software stösst. Dank dem Verschlüsselungsdienst Tor war die Anonymität der Besucher garantiert.

Die Seite war nutzerfreundlich aufgebaut: Verkäufer priesen ihre Ware mit Fotos an, sorgfältig in Kategorien wie «Ecstasy» und «Opiate» sortiert, Käufer bewerteten die jeweiligen Produkte. Bald galt die Plattform als «Ebay für Drogen».

Ulbricht wiederum gab sich den Spitznamen «Dread Pirate Roberts», in Anlehnung an einen Fantasy-Film der achtziger Jahre – und achtete penibel darauf anonym zu bleiben. Seine wahre Identität wurde zu einem immer grösseren Mysterium, der Pirat des Darknet war legendär.

Kaum jemand hätte gedacht, dass hinter dem mächtigen Drogenhändler ein 26-jähriger Musterstudent aus Austin, Texas stammte. Herzliches Lachen, schmächtige Figur – auf Fotos aus jenen Jahren sieht Ulbricht aus wie der nette Nachbar von nebenan. Als Kind hatte er den Pfadfindern angehört, später studierte er Physik und Ingenieurwissenschaften mit einem Vollstipendium.

Während der Studienzeit hatte Ulbricht Interesse an der libertären Bewegung in den USA gezeigt, diese setzt sich für eine möglichst kleine Rolle des Staates ein. Er trat auch dem libertären Klub seiner Universität bei und gewann den wohl bekanntesten Libertären des Landes, den Senator Rand Paul, als Gastredner.

Wie Ulbricht später vor Gericht behauptete, hatte er die Plattform vor allem aus politischer Überzeugung geschaffen: Er wollte angeblich einen Ort schaffen, an dem sich Nutzer frei von jeglicher staatlicher Kontrolle bewegen könnten. Es liege schliesslich in der Eigenverantwortung jedes Einzelnen, Drogen zu konsumieren oder nicht.

Seine Handelsplattform traf den Zeitgeist. Es stellte sich heraus, dass Konsumenten in jenen Jahren nicht nur vermehrt Schuhe und Bücher, sondern auch Drogen online kaufen wollten. Auf «Silk Road» wurden in den drei Jahren ihres Bestehens Hunderte von Kilogramm an Drogen verkauft. Mehr als 100 000 Kunden gaben dort etwa 213 Millionen Dollar in Bitcoin aus.

Ulbricht selbst verdiente mit dem Drogenhandel Millionen von Dollar an Kommission. Gleichzeitig war er ein Wegbereiter für Kryptowährungen: Als eine der ersten Handelsplattformen verwendete «Silk Road» Bitcoins, die als Zahlungsmittel schwer bis gar nicht nachzuverfolgen sind.

Zweimal lebenslängliche Haftstrafe

Doch auch amerikanische Strafverfolger wurden hellhörig. Nach jahrelangen Ermittlungen nahmen sie Ulbricht 2013 in San Francisco fest, als er in einer öffentlichen Bibliothek sitzend gerade die Plattform verwaltete.

2015 wurde er vor einem Bundesgericht in sieben Anklagepunkten für schuldig befunden, darunter des Rauschgifthandels, der Geldwäsche und der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Vorwürfe, er habe zudem Morde an fünf Personen in Auftrag gegeben, wurden nie zur Anklage gebracht.

Die Bundesrichterin verwies darauf, dass Ulbrichts Taten sich nicht von denen anderer professioneller Drogenringen unterschieden. Auch seien mindestens sechs Personen durch Überdosen gestorben, nachdem sie auf der Plattform Drogen gekauft hatten. Es gelte, Nachahmungstäter abzuschrecken. Er erhielt zwei Mal Lebenslänglich ohne Chance auf Bewährung.

Ulbricht legte Berufung gegen das Urteil ein, doch ein Bundesgericht bestätigte es 2017 und der Supreme Court lehnte es ab, den Fall anzuhören.

Ulbricht stieg zur Galionsfigur der libertären Bewegung auf – und der Krypto-Industrie. «Free Ross» wurde zum Schlachtruf einer ganzen Bewegung. Bei der Bitcoin-Konferenz 2021 sprach Ulbricht aus dem Gefängnis zu den Besuchern.

Ross Ulbricht speaks at the 2021 Miami Bitcoin Conference

Trump wiederum hatte im Wahlkampf die libertäre Partei wie auch die Kryptoindustrie umgarnt; letztere unterstützte seinen Wahlkampf mit Spenden von 100 Millionen Dollar. Auch an der Bitcoin-Konferenz in Nashville trat er auf und versprach, Ulbricht «am ersten Tag zu begnadigen». Es war ein mächtiges Versprechen, denn für viele Krypto-Anhänger war Ulbrichs Zukunft inzwischen zum wahlentscheidenden Thema geworden. Trump war ihr neuer Hoffnungsträger.

Jubelrufe aus der Kryptoindustrie

Doch als Trumps erster Amtstag am Montag endete, hatte der neue Präsident zwar 1600 Aufständische des 6. Januar begnadigt, aber nicht Ulbricht. Nervosität brach aus. «Wartet nur ab», beschwichtigte Elon Musk die Kryptogemeinde in den sozialen Netzwerken.

Am Dienstag dann verkündete Trump Ulbrichts Begnadigung; er habe dessen Mutter persönlich informiert. «Der Abschaum, der an seiner Verurteilung mitgewirkt hat, gehörte zu denselben Verrückten, die die Regierung zu einer modernen Waffe gegen mich gemacht hatten», schrieb Trump auf Truth Social.

Dass der inzwischen 40-Jährige Ulbricht nun nach elf Jahren und drei Monaten Haft frei kommt, sehen manche Beobachter als faire Strafe an. Andere wiederum kritisieren, dass mit Ulbricht ein verurteilter Drogenhändler freikommt, und befürchten, dass Trump seinen Begnadigungsfeldzug fortsetzen wird: Musk hat bereits verlauten lassen, er habe bei Trump auch ein gutes Wort für den «Bitcoin Jesus» Roger Ver eingelegt. Der Unternehmer kam vergangenes Jahr wegen Betrug und schwerer Steuerhinterziehung ins Gefängnis. Der Eindruck entsteht, dass Wirtschaftsverbrechen aus der Kryptoindustrie bald als Kavaliersdelikte gelten könnten.

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