Samstag, Februar 22

Von einem, der seine bodenständigen Gefilde verliess, um in der Welt des Luxus und der Schönheit viel Geld zu verdienen. Und am Ende das der anderen ausgegeben hat.

Der Mann ist eine adrette Erscheinung.

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Hellblau das Hemd, dunkel der Anzug, angegraut die Schläfen – der Prototyp eines erfolgreichen Geschäftsmannes. Statt zu sitzen, steht er vor der Anklagebank des Bezirksgerichts Zürich. Bis ihm der Richter erlaubt, sich zu setzen. Höflich erteilt er Auskunft, er bestreitet nichts.

«Ich habe vielleicht Sachen gemacht, die ich nicht hätte tun sollen», sagt er. «Ich war damals nicht so bodenständig unterwegs.»

Reto Holzhausen (Name geändert) – 46, Verkäufer und Geschäftsmann – hat unstete Jahre hinter sich. Mal lebte er in Zürich, mal im Tessin. Dann zog es ihn für ein Jahr nach Spanien oder nach Dubai.

Seine Geschäfte macht er in der Welt des Luxus und der Schönheit. Er handelt mit Sportwagen, eröffnet Schönheitskliniken und verkauft Wellnessprodukte. Holzhausen scheint einen Riecher für die Trends der mondänen Branche zu haben.

Was kaum jemand ahnt: Es sind nicht allein die Geschäfte, deretwegen der Unternehmer so fleissig seinen Wohnort wechselt. Dahinter stecken andere Gründe: eine Flut von Betreibungen.

Seit dem Jahr 2008 liefen 176 Betreibungen gegen ihn. Die Gläubiger fordern über 810 000 Franken von ihm. Meist gehen sie leer aus. In 104 Fällen müssen Verlustscheine ausgestellt werden, die Gläubiger verlieren über 200 000 Franken.

Aber trotz seinem zweifelhaften Werdegang findet Holzhausen immer wieder Leute, die bei ihm einsteigen. Seine Business-Ideen überzeugen derart, dass Investoren neue Investoren mit ins Boot holen. Sie vertrauen ihm Hunderttausende von Franken an.

Holzhausen nimmt das Geld gerne. Nur steckt er es nicht ins Geschäft. Vielmehr gibt er es für sich selber aus. Das geht gut – bis im März 2024.

Holzhausen wird am Morgen bei sich daheim im Tessin festgenommen. Die Zürcher Kantonspolizei durchsucht sein Haus. Er kommt für über zwei Monate in Zürich in Untersuchungshaft. Er sagt: «Ich habe heute noch Albträume aus dieser Zeit.»

Ein Jahr später steht der Mann in Zürich vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft hat mit ihm einen Deal eingefädelt. Der Plan: Holzhausen bekennt sich schuldig und akzeptiert die 24 Monate Freiheitsstrafe, deren Vollzug auf vier Jahre Probezeit aufgeschoben wird.

Dafür erhielte er seinen Pass zurück, ohne den sein internationales Business mit Luxuswagen nur schwer funktioniert. Auch wird die Öffentlichkeit in einem solchen abgekürzten Verfahren auf Distanz gehalten.

Alles, was Holzhausen tun muss, ist, die Abmachung vor Gericht zu akzeptieren. Doch dazu später mehr.

Irgendwann die Bodenhaftung verloren

Holzhausens Biografie ist typisch für viele Schweizer seiner Generation. Kindheit auf dem Land in einer «bodenständigen katholischen Familie», in der schon in jungen Jahren mitgearbeitet wird. Nachdem er einen handwerklichen Beruf gelernt hat, sattelt er bald einmal in den Verkauf um. Daneben absolviert er eine Management-Ausbildung im Selbststudium.

Zuerst kauft und verkauft er Wellnessartikel für einen Importeur. Weil dieser mit den Resultaten so zufrieden gewesen sei, habe er angeboten, gemeinsam eine Firma zu gründen, erzählt Holzhausen vor Gericht.

Aber nicht immer laufen die Geschäfte wie am Schnürchen. Eine andere Firma von Holzhausen, die Massageprodukte verkauft, gerät in Liquiditätsprobleme. Wegen Betreibungen verschiebt Holzhausen deren Sitz einfach in einen anderen Kanton. Es dauert nicht lange, dann trudeln auch dort Betreibungen ein.

Ein andermal gibt es Krach, weil Holzhausen den Auftrag einer externen Firma nicht korrekt ausgeführt haben soll. Die Firma zweifelt, ob von Holzhausen versprochene Werbeaktionen auch tatsächlich durchgeführt worden sind. Als sich ein Verfahren abzeichnet, versucht Holzhausen, jemanden zu überreden, als Zeuge wahrheitswidrig auszusagen. Der andere will aber nicht mitmachen.

Es ist am Ende ein anderes Geschäft, das ihm zum Verhängnis wird: eine Praxis für Zahnmedizin und -kosmetik im High-End-Bereich, gelegen im Tessin an prestigeträchtiger Lage.

Investoren sind schnell gefunden, ein IT-Profi, den Holzhausen von früheren Geschäften kennt, steigt ein. Dieser überredet noch zwei Jugendfreunde mitzumachen. Zusammen beteiligen sich die drei mit über 330 000 Franken in bar an dem Geschäft.

Wenn der vielbeschäftigte Geschäftsmann ab und zu die Geldgeber in der Zürcher Agglomeration besucht, erzählt Holzhausen in optimistischen Worten von der Zukunft. Das Vorbild sei eine ähnliche Klinik in Deutschland. Deren Konzept könne gegen Gebühr übernommen werden.

Geschäftsräume im Tessin werden gemietet und umgebaut. Weil es aber Probleme mit kantonalen Bewilligungen gibt, müssen neue Räume her. Auch diese finden sich: 246 Quadratmeter und ein unkündbarer Mietvertrag über fünf Jahre.

Holzhausen verspricht seinen Investoren, ihr Geld für den Umbau der Räume, für den Kauf der zahnmedizinischen Einrichtung sowie für die Lizenzgebühr auszugeben.

Überschuldet und eine geschönte Bilanz

Was dieser Fall zeigt: Oftmals ist es bei Wirtschaftsdelikten schwierig, eindeutig festzustellen, was noch als unternehmerisches Risiko gilt und wo bereits kriminelle Machenschaften beginnen. Wann ist es eine Fehlinvestition, wann Betrug?

Im Fall mit der Zahnmedizin-Praxis im Tessin gibt es offensichtlich Schritte in eine kriminelle Richtung.

So bespricht sich Holzhausen etwa mit dem Geschäftsführer und Lizenzinhaber in Deutschland. Er erfährt, dass die Lizenzgebühr nur 25 000 Euro im Jahr kostet statt 150 000 Franken, wie ursprünglich gedacht. Seinen Investoren sagt er davon aber nichts.

Statt deren Geld in die Firma zu stecken, zahlt Holzhausen damit ein eigenes Darlehen zurück. Dieses hatte er auf eigene Rechnung der Tessiner Zahnmedizin-Klinik gewährt. Ausserdem braucht er das fremde Geld, um eigene Kosten zu decken. Weil er Geschäftsführer und Verwaltungsrat in Personalunion ist, schaltet und waltet er beim Geschäftskonto, wie es ihm beliebt.

Auch ein Jahr nach der Gründung 2018 generiert die Klinik keinen Ertrag. Dafür türmen sich die Rechnungen für Umbauten, Miet- und Lohnkosten. Holzhausen sieht, dass die Klinik bereits mit 20 000 Franken überschuldet ist. Er müsste sich an die Sanierung der Finanzen machen oder das Konkursgericht benachrichtigen. Er tut weder das eine noch das andere.

Die Überschuldung steigt Monat für Monat. Aber erst nach fünf Monaten informiert Holzhausen seine Investoren. Er lädt sie zur «Generalversammlung mit Sanierungsversuch». Zuvor bedient er sich aber noch eines Tricks.

Praktischerweise ist Holzhausens Bruder Buchhalter von Beruf. Mit dessen Expertise werden nun Erfolgsrechnung und Bilanz geschönt. Die Staatsanwaltschaft findet Buchungen von 65 500 Franken, die «nicht den wahren wirtschaftlichen Tatsachen» entsprechen. Es werden «Restzahlungen» verbucht, die nie geflossen sind, etwa weil eine Patientin die Zahnbehandlung längst abgebrochen hatte.

An der Generalversammlung Anfang 2020 präsentiert Holzhausen in den Büchern zwar noch aktive Posten von 57 000 Franken, die angeblich in Aussicht stünden. Aber am Ende nützt alles nichts mehr: Im April 2020 wird der Konkurs eröffnet.

Ein Trickser wird zum Büsser

Das zentrale Problem bei Wirtschaftsstraffällen ist, dass die Verfahren langwierig und komplex sind. Gemessen am Aufwand der Verfahren ist die Absturzgefahr hoch, die Strafen bleiben oft moderat. Gleichzeitig nehmen die Anzeigen wegen Wirtschaftsdelikten landesweit seit Jahren zu.

Was macht Verfahren bei Wirtschaftsstraftaten so aufwendig? Nadine Zurkinden, Assistenzprofessorin für Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Zürich, begründete es vergangenes Jahr in der NZZ folgendermassen: Die Grenze zwischen erlaubtem Risiko und strafbarem Verhalten sei bei vielen Fällen fliessend. Je nach Abmachungen, Statuten und Verträgen müsse sie bei jedem Fall aufs Neue bestimmt werden.

Zudem, so Zurkinden, müsse einem Betrüger nachgewiesen werden, dass er sein Opfer nicht nur getäuscht habe, sondern das mit «Arglist» getan habe, also zum Beispiel ein eigentliches Lügengebäude erstellt habe.

Holzhausen kommt man erst nach Jahren auf die Schliche. Das Konkursamt Zürich erstattet im November 2021 Anzeige. Dann übernehmen die Ermittler für Wirtschaftskriminalität. Sie liefern Mitte 2022, rund ein halbes Jahr später, ihren Bericht. Bis Holzhausen festgenommen wird, dauert es nochmals länger, es vergehen fast zwei Jahre.

Sechs verschiedene Verbrechen werden ihm zur Last gelegt, darunter Veruntreuung, ungetreue Geschäftsbesorgung und Urkundenfälschung. Betrug dagegen wird ihm nicht vorgeworfen. Er sagt dazu: «Manchmal geht es sehr schnell, dann ist man auf einem falschen Weg.»

Holzhausen, der Trickser und Hasardeur. Mit dem Mann, der vor Gericht innehalten muss, weil ihm die Tränen kommen, scheint diese Version wenig gemein zu haben. Er sagt: «Ich möchte mich bei den Involvierten entschuldigen.»

Er sei jetzt ein anderer Mensch als dazumal. Die Haft sei einschneidend gewesen, zudem sei er an Krebs erkrankt. Holzhausen, der reuige und geläuterte Büsser.

Man könnte das als Show eines Schlitzohrs abtun, aber Holzhausen liess tatsächlich auch Taten folgen. Ab einem bestimmten Punkt war er geständig. Er kooperierte, und was überrascht: Er hat bereits 500 000 Franken Schaden wiedergutgemacht.

Der gescheiterte Unternehmer hat fast alle seine Rechnungen beglichen. Die Forderungen aller Gläubiger, wie er vor Gericht sagt. Dafür verscherbelte er etwa seinen BMW für 60 000 Franken. Holzhausen sagt: «Jetzt kann ich wieder normal durch die Gegend laufen.»

Auch der Staatsanwalt ist voll des Lobes für Holzhausens strafmilderndes Verhalten. Er sagt: Zwei Jahre Freiheitsstrafe wirkten zwar sehr mild, seien aber in dem Fall angemessen.

Also kommt der Deal zustande. Und Holzhausen bekommt seinen Pass zurück. Er ist jetzt ein freier Mann auf Probezeit. Der Richter fragt ihn noch nach seinen Zukunftsplänen. «Familie und Gesundheit», antwortet dieser. «Und nicht zu bescheissen und zu lügen.»

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