Freitag, Februar 7

Wie beendet man eine Karriere? «Hurry Up Tomorrow» ist zwar ein würdiges Finale. Es klingt aber so opulent, dass Übersättigung droht.

Das Ende kommt langsam. The Weeknd nimmt sich Zeit fürs Sterben. Mit hitziger Stimme singt und seufzt er in zwanzig Songs von quälenden Empfindungen und Nahtoderfahrungen. Der Schlaf überwältigt ihn, in der Badewanne glaubt er zu ertrinken, an einem Konzert verliert er die Stimme, und immer wieder fühlt er sich wie gelähmt.

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Vor dem Tod ist das Fieber am höchsten. Da passt es, dass die Schwächegefühle auf «Hurry Up Tomorrow» mit klanglichem Pomp und rhythmischer Power aufbereitet sind. Das neue Album, das auch das letzte sein soll, wie der Künstler selbst verlauten lässt, erweist sich so als wuchtiges, melodramatisches Finale.

Die Last des Erfolgs

Ganz so schlimm, wie man befürchten könnte, steht es nicht um den Musiker. Denn zum einen ist «Hurry Up Tomorrow» auch als Soundtrack eines morbiden Thrillers gedacht, der unter gleichem Titel veröffentlicht werden soll. Zum andern hat die Endzeitstimmung weniger mit biologischer Mortalität zu tun als mit dem Abschluss eines künstlerischen Projekts. Abel Makkonen Tesfaye, so der echte Name des Kanadiers, möchte sich zwar von The Weeknd verabschieden – die Kunstfigur und der Künstlername sind ihm zur Last geworden. Der Musik hingegen will er treu bleiben.

Er ist erst 35-jährig. Dennoch scheinen Todestrieb und Sterbenssehnsucht gut bei The Weeknd aufgehoben. Schon immer wirkte er wie ein weinerlicher Engel, der am Firmament der Musikszene seiner Verdammnis harrte. Seine Höhenflüge waren vom High diverser Drogen vernebelt. Der Erfolg war eine Ernüchterung, in der sich die Gefahr des Niedergangs zeigte. Just dem Risiko des Absturzes jedoch verdankte The Weeknd seinen finsteren Glamour.

Nun also glüht und klagt der fallende Star ein letztes Mal. The Weeknd wird dabei von einer Schar prominenter Produzenten unterstützt: Max Martin, Giorgio Moroder, Metro Boomin, Daniel Lopatin haben Beats zwischen symphonischen Synthi-Pop, R’n’B und kühlem Trap in die Songs eingepflegt. Über den Sounds zeitigt die verletzliche, fiebrige Knabenstimme von The Weeknd abermals ein gewisses Suchtpotenzial. Und doch wirkt die manische Eintönigkeit des Gesangs auch bedrückend.

Der erste Song «Wake Me Up» nimmt sich gleich wie ein klassisches Requiem aus dank üppigen Streicherklängen. The Weeknd singt von Selbstvergessenheit und vom Ende seiner Legende. Doch dann fährt plötzlich der Groove aus Michael Jacksons «Thriller» in den Track. Und bei «Thriller» handelt es sich bekanntlich um einen Hit, der die Toten auferwecken lässt. Das ist musikalisch nicht nur raffiniert gemacht. Es erinnert auch daran, wie sehr The Weeknd vom King of Pop beeinflusst ist.

Seine Stimme nimmt sich aus wie ein Michael-Jackson-Echo, in dem sich die rhythmische Schärfe verloren hat. Aber der ausgebleichte R’n’B des Achtziger-Jahre-Superstars, den damals schwarze Kulturtheoretiker wie Nelson George als Endpunkt der Black Music empfanden, hat die Musikalität von The Weeknd im Kern geprägt. Obwohl der Kanadier seine Karriere im Milieu von Hip-Hop und R’n’B lancierte, lassen seine Songs relativ wenige direkte Inspirationen aus der Black-Music-Tradition erkennen. Für den Überschwang des Gospels fehlt es seiner Stimme an Kraft – und für den Trotz des Blues an physischer Präsenz.

Das entspricht einem Konzept: Sein Singen wird stets mit so viel Hall weichgezeichnet, dass es sich wie ein Vocal-Sample gespenstisch und sirenenartig im Klangbild ausbreiten kann. Der Erfolg von The Weeknd ist durchaus auf diesen Gesangsstil zurückzuführen. Dabei muss man sich allerdings die musikalische Stimmungslage vergegenwärtigen, in der der Stern von The Weeknd aufging. Im Zeichen von Trap erlebte der Pop-Mainstream einen weiteren Hip-Hop-Boom. Zu all den lauten, aggressiven Rappern bildete der Gesang von The Weeknd ein sanftes Kontrastprogramm.

Da erstaunt es nicht, dass Dialoge mit Rappern auch auf dem neuen Album einen Schwerpunkt bilden. Das gilt für «Timeless», ein Duo mit Playboi Carti, ebenso wie für «Enjoy The Show», ein Duo mit Future; es gilt ferner auch für «Reflections Laughing», eine Kollaboration mit Travis Scott von hörspielartigem Charakter. Noch ausgeprägter ist der Gegensatz von hart und weich in «São Paulo», wo für einmal eine Sängerin – die Brasilianerin Anita – den dominanten Part übernimmt. Und The Weeknd spielt ergeben das hörige Opfer.

Für musikalische Höhepunkte sorgt The Weeknd allerdings ausgerechnet in balladesken Solopassagen, wo seine Klagen besonders intim und wie abgehoben von der Zeit wirken. Das zeigt sich in «Given Up On Me», wo sein Solo mit einem verfremdeten, mystisch anmutenden Nina-Simone-Zitat («Wild Is The Wind») korrespondiert.

Zu oft und zu früh aber lassen die Produzenten nach offeneren und ruhigeren Passagen wieder einen geradlinigen Beat durch den Song jagen. Bei aller stilistischen Vielfalt wirkt die Rhythmik bisweilen auch klischiert, manchmal gibt sich The Weeknd mit gängigen, überstrapazierten Trap-Mustern zufrieden (etwa in «Niagara Falls», das er selber produziert hat).

Eine Sackgasse

Und so bombastisch und suggestiv «Hurry Up Tomorrow» daherkommen mag – man bekommt den Eindruck, dass The Weeknd mit seiner Musik, mit der Kombination seiner traurig flötenden Stimme und den raumgreifenden Elektro-Sounds tatsächlich in eine Sackgasse geraten ist. Wahrscheinlich ist es also eine gute Nachricht, dass sich Abel Makkonen Tesfaye zu neuen musikalischen Abenteuern aufmachen möchte.

Und so lauscht man zuletzt wehmütig zwar, aber irgendwie auch erleichtert der Stimme von The Weeknd, wenn er die letzten Zeilen des Albums intoniert: «I need Heaven after life, I want Heaven, when I die».

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