Freitag, November 14

Gao Zhen und sein Bruder haben als Künstlerduo weltweite Anerkennung erlangt. In China lösen ihre Werke Unbehagen aus. Ein Besuch in seiner Heimat wurde Gao Zhen nun zum Verhängnis.

Mao Zedong, der mächtige Gründer der Volksrepublik China, kniet am Boden. Die rechte Hand auf der Brust, die Linke auf dem Knie, neigt er den Kopf, die Augen vor Kummer verzogen. Woran denkt er? Weint er?

Die Szene ist pure Fiktion, ausgedacht von den Brüdern Gao im Jahr 2009. Die international anerkannten Künstler aus China haben eine Bronzestatue von Mao Zedong erstellt und ihr den Namen «Die Schuld Maos» gegeben. Gao Zhen, einer der beiden, muss nun deswegen ins Gefängnis. Das hat sein Bruder Gao Qiang Anfang der Woche internationalen Medien gesagt.

China duldet keine Kritik an seinen Nationalhelden

Der 68-jährige Gao Zhen war vor zwei Jahren in die USA ausgewandert. Nun war er mit seiner Frau und seinem Sohn nach China zurückgekehrt, um Verwandte zu besuchen. Am 26. August, so berichtete es sein jüngerer Bruder, hätten Polizeibeamte sein Atelier nahe der Hauptstadt gestürmt. Sie nahmen ihn fest und konfiszierten mehrere Kunstwerke der Brüder Gao, die über zehn Jahre zuvor erstellt worden waren. Darunter waren «Die Schuld Maos» und auch das Werk «Die Hinrichtung Christi». Es zeigt eine Gruppe von Mao Zedongs, die mit ihren Gewehren auf Jesus zielen.

Die Verhaftung Gao Zhens erfolgte auf der Grundlage eines Verbots der Beleidigung von «Helden und Märtyrern». Das sagten die Beamten, die am Tag nach der Verhaftung Gao Zhens Ehefrau informierten. Das Gesetz wurde rückwirkend angewandt. 2021 ist das Verbot im Strafgesetz aufgenommen worden, die Höchststrafe ist drei Jahre Haft.

Die Gesetzesgrundlage zum Schutz von Helden und Märtyrern ist seit 2018 in Kraft und hat zum Ziel, den Patriotismus der Chinesen zu stärken. Nationalhelden sind halt nur Helden, bis man sich kritisch mit ihnen auseinandersetzt – und genau das wollen Chinas Machthaber verhindern. Geschichtsdeutung muss fest in der Hand der Kommunistischen Partei bleiben. Zu diesem Zweck hat der chinesische Staat sogar Hotlines eingerichtet, bei denen man Verstösse gegen das Gesetz melden kann.

In dieser Deutung ist Mao Zedong zuallererst der Gründungsvater der Nation, der die Kommunistische Partei Chinas an die Spitze der Macht gehievt hat. Dass seine verfehlte Wirtschaftspolitik und seine grausamen Kampagnen zu geschätzten 40 bis 80 Millionen Toten durch Hungersnöte, Säuberungsaktionen und Bürgerkriege geführt haben, wird verdrängt. Xi Jinping, Chinas Partei- und Staatschef, verehrt Mao Zedong und stellt sich in seine Tradition.

Und so gibt es in China an jeder Ecke eine Mao-Statue, doch der Stil ist immer derselbe. In Changsha in der Provinz Hunan, wo Mao Zedong aufgewachsen ist, thront auf einer Insel mitten im Fluss ein überlebensgrosser junger Mao, eine gigantische Büste, die aus einem Felsen erwächst. Am Haupttor der Fudan-Universität in Schanghai ist Mao ebenfalls zu Stein erstarrt, riesenhaft ragt er in den Himmel, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Auch über den Volkspark in Kashgar in der Uiguren-Region Xinjiang wacht ein Mao mit erhobener Hand, strengem Blick und wehendem Mantel. Die Mao-Statuen in China werden teilweise wie Götzen angebetet.

Die Darstellungen der Brüder Gao weichen stark von der offiziellen ab. In den Skulpturen mit dem Übernamen «Miss Mao» stellen sie Mao Zedong als eine Frau dar mit riesigen Brüsten und einer langen Pinocchio-Nase. Mao als Mutterfigur und Wahrheitsbieger? Im heutigen China ist das eine ketzerische Vorstellung.

Unter dem Partei- und Staatschef Xi Jinping hat der Spielraum für Künstler weiter abgenommen. Die grösste Sammlung zeitgenössischer chinesischer Kunst ist denn auch nicht in Peking zu finden, sondern in Hongkong. Sie gehörte dem ehemaligen Schweizer Botschafter in China Uli Sigg. 2012 hat er einen Grossteil an das Hongkonger Museum M+ verschenkt.

Eine eigene Haltung ist in China gefährlich

Die Brüder Gao begannen ihre Karriere als Künstler während Chinas wilder achtziger Jahre. 1989, in der ersten und letzten grossen Ausstellung chinesischer Gegenwartskunst «China/Avantgarde», hatten sie mit einer Installation ihren ersten grossen Auftritt. Ihre Skulpturen, Fotografien, Installationen und Performances haben oft die Kulturrevolution zum Thema, aber auch die Widersprüche in der chinesischen Gesellschaft, die Beziehungen zwischen den Menschen.

Immer wieder gerieten sie in China mit den Zensoren und dem Ministerium für Staatssicherheit in Konflikt, ihre Ausstellungen wurden abgesagt, ihre Werke im Netz gelöscht. International feierten sie ab den nuller Jahren ihren Durchbruch. Sie stellten in Galerien auf der ganzen Welt aus, in London, New York, Paris, Berlin, Amsterdam.

«Wir haben unsere eigene Haltung, politisch, kulturell, künstlerisch», erklärte Gao Zhen in seinem Atelier bei Peking im Jahr 2013 anlässlich einer Ausstellung mit seinem Bruder an der Art Basel. Diese unabhängige Perspektive stehe automatisch im Gegensatz zur Massenideologie, und weil sie die Realität thematisiere, ziehe sie die Aufmerksamkeit der Zensoren auf sich.

Dennoch haben die Brüder Gao weitergemacht und sich dem Druck nie gebeugt. Gao Zhen sagte: «Auch wenn das System sehr mächtig ist, müssen wir an unseren persönlichen Überzeugungen festhalten.» Nun hat das System zugeschlagen. Eine kritische Haltung zu haben, ist im heutigen China zu gefährlich.

Gao Brothers' interview about censorship

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