Sonntag, März 30

Noch nie war ein Schweizer Männerteam so erfolgreich wie in diesem Winter, nicht einmal in den goldenen 1980er Jahren unter Frehsner. Dieser erklärt, was die Team-Leader von heute so besonders macht.

Karl Frehsner ist der bekannteste Skitrainer im Land. In den 1980er Jahren führte der Österreicher das Schweizer Männerteam um Pirmin Zurbriggen und Peter Müller durch eine goldene Ära. Später übernahm er unter anderem das österreichische Frauenteam. Dem Skisport ist er bis ins hohe Alter erhalten geblieben; in den letzten Jahren war Frehsner bei Swiss Ski für die Entwicklung der Rennanzüge verantwortlich. Er kennt also die Athleten von damals und heute.

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Herr Frehsner, Sie sind jetzt 86 Jahre alt, aber der Skisport lässt Sie einfach nicht los.

Ich habe in meinem ganzen Leben nichts anderes gemacht. Einst habe ich Skibauer gelernt, so kam ich in die Schweiz. Einmal, in Garmisch, habe ich einem Servicemann gesagt, er solle heim gehen, die Ski solle er da lassen, die gehörten eh nicht ihm. Die Ski habe dann ich gemacht. Mein Ziel war es immer, besser zu sein als der Beste. Schon mit sieben, acht Jahren hatte ich zwei Träume: die Eigernordwand zu besteigen und eine bessere Mannschaft zu führen als die der Österreicher.

Beide Träume haben Sie sich erfüllt.

Ja, die Eigernordwand habe ich bereits 1961 bestiegen. Damals gab es noch keinen, der einen aus der Wand rausholte, wenn etwas schief ging. Ich bin unterwegs an einem Toten vorbeigeklettert. Es hat mich für den Rest meines Lebens unglaublich gestärkt, etwas geschafft zu haben, das ich schon als Kind immer gewollt hatte.

In Ihrer Wohnung haben Sie einst einen Haken eingeschlagen. Ihr Ziel war es, sich mit einem Finger daran hochzuziehen. Haben Sie den Haken noch?

Das war vor vielen Jahren, als ich noch jung war. Der Punkt ist: Man kann viel mehr, als man meint. Wenn der Kopf nein sagt, ist der Körper noch lange nicht fertig. Das habe ich auch meinen Athleten immer wieder gesagt: Sie sollen nicht so weit gehen, bis sie nicht mehr können. Sondern bis sie umfallen. Dazwischen liegt ein verdammt weiter Weg.

Sie waren in den 1980er Jahren Cheftrainer der Schweizer Männer. Sind damals Athleten im Training umgefallen?

Jaja, da sind schon ein paar umgefallen.

Sie haben Pirmin Zurbriggen trainiert, Peter Müller, Franz Heinzer. Wer konnte sich am besten quälen?

Das mussten sie alle, da blieb ihnen gar nichts anderes übrig.

In Südamerika mussten die Athleten damals nach dem Skitraining noch 25 Kilometer nach Hause laufen . . .

. . . ja, und ich bin mitgelaufen. Und der Arzt gleich auch noch.

Und die Athleten haben nicht geschimpft?

Logisch haben die ausgerufen. Aber wenn der alte Frehsner das kann, wie sollen sie dann sagen: «Das geht nicht»?

Es gab damals viel Rivalität im Männerteam. Da wollte sicher auch beim 25-Kilometer-Lauf jeder gewinnen.

Um die Zeit ging es nicht, aber logisch wollte auf den letzten Metern jeder der Schnellste sein.

Und gewonnen hat der ehrgeizige Peter Müller?

Das weiss ich nicht mehr.

Ihre Jahre als Männer-Chefcoach, die 1980er, galten lange als goldene Ära des Schweizer Skisports. Diesen Winter hat das Männerteam mehr Podestplätze errungen als damals Ihres.

Sie haben jetzt 44 Podestplätze, wir hatten damals 38, aber es gibt heute auch mehr Rennen, wesentlich mehr.

Es ist eines mehr, wir haben nachgezählt. Lange galten die Erfolge von damals als einmalig, auch Sie selbst haben sich dahingehend geäussert. Sind Sie überrascht, dass die Männer jetzt doch wieder so überlegen sind?

Ich glaube nicht, dass ich einmal so etwas gesagt habe. Aber überrascht bin ich nicht, nein. Weil das Schweizer Team ein paar grossartige Könner hat, die gewaltige Leistungen bringen. Ich ziehe aber nicht so gerne Vergleiche.

Weshalb nicht?

Es gibt ein paar Sachen, die nicht vergleichbar sind. Das Material hat sich verändert, die Technik, das Drumherum. Man kann nicht vergleichen, wie einer früher fuhr und wie einer heute fährt. Man muss jeden zu seiner Zeit betrachten. Da ist er der Beste gewesen, und das kannst du ihm nicht abstreiten. Sonst hätte es einen anderen gegeben.

Was hat sich sonst noch verändert?

Als ich anfing, in den 1970er Jahren, hatte der Schweizer Verband ein Budget von 1,5 Millionen. Heute sind es 80 Millionen. Wenn wir früher für die letzten Saisonrennen mit 20 Fahrern nach Amerika flogen, dann ging ich als Trainer für die Abfahrer mit, noch einer für den Slalom, ein Konditionstrainer und ein Physiotherapeut. Heute kommen für Odermatt allein fast mehr Leute mit. Es war einfach anders damals. Der Skisport hatte auch noch eine grössere Bedeutung.

Inwiefern?

Zu meiner Zeit haben die Kinder schulfrei gehabt, wenn ein wichtiges Rennen war, oder sie haben es in der Schule geschaut. Probier das heute mal. Da wirst du schon verhaftet, bevor du es machst. Diese Begeisterung der Schweizer, der Österreicher für den Skisport von damals, das ist heute gar nicht mehr möglich, selbst mit einem Odermatt nicht. Die Leute waren damals viel stärker begeistert, was auch daran lag, dass sie viel weniger Möglichkeiten hatten, sich begeistern zu lassen.

Es heisst, Sie hätten die Rivalität unter den Fahrern damals bewusst geschürt. Stimmt das?

Also gestoppt habe ich sie nicht. Peter Müller und Silvano Meli konnten überhaupt nicht miteinander, und der Meli konnte Karate. Der sagte einmal zu mir: «Sag dem Müller, wenn er noch einmal blöd tut, dann haue ich dem mal eine, und dann ist er kaputt.» Und ich habe gesagt: «Dann haust du ihm halt eine.» Und Müller hat gesagt, er sei ja eh stärker als der Meli.

Glauben Sie, die Frehsner-Methode würde mit der Generation Y oder Z noch funktionieren?

Das kann ich nicht sagen. So wie heute viele Sachen sind, ist vieles nicht mehr möglich. Als ich Ende der 1990er Jahre die österreichischen Frauen übernahm, sagten sie zu mir: «Jetzt spinnst du, das kann nie was werden.» Ich hatte zuvor den Frauen-Rennsport wiederholt scharf kritisiert. Mit mir haben die Österreicherinnen dann alles gewonnen. Gewisse Sachen müsste man schon anders machen oder anpassen. Aber ich kriege heute noch Anfragen, ob ich nicht als Berater kommen würde.

Im gegenwärtigen Schweizer Speed-Team ist die Dynamik auf jeden Fall anders als damals zu Ihrer Zeit, als die Energie durch Reibung entstanden ist.

Ja, so höflich und lächelnd wie heute sind sich die Fahrer damals nicht begegnet. Aber man muss nicht glauben, dass sie innerlich auch immer so lächeln. Das muss einem gegeben sein. Zurbriggen ist immer gut angekommen, der Müller war immer der Jammeri. Es gibt halt unterschiedliche Leute, das ist auch heute noch so. Einen Odermatt kann man gar nicht überbieten. Und von Allmen ist fast gleich. Man muss sich einmal überlegen, was der in Crans-Montana gesagt hat. Da sagt Odermatt, dass die Piste relativ leicht sei. Und was sagt der von Allmen? Wenn man gut sei, könne man auf jeder Piste gewinnen. Und am nächsten Tag hat er gewonnen.

Das heisst, der viel beschworene Teamgeist . . .

. . . der ist schon gut, die sind ja auch aufgeblüht, und für Odermatt ist das kein Problem, er hatte ja vorher keine Gegner in der Mannschaft. Eines kann ich noch sagen: Dass ein Athlet sich freut, wenn der andere gut fährt, ja. Aber dass er sich freut, wenn der andere besser ist als er: So einen habe ich noch nie kennengelernt.

Heute ist Marco Odermatt die Schweizer Überfigur, damals war es Pirmin Zurbriggen. Was verbindet sie, was unterscheidet sie?

Sie sind wie gesagt zu ganz anderen Zeiten gefahren, unter ganz anderen Voraussetzungen. Ob es damals schwerer war zu gewinnen oder nicht, das weiss ich nicht. Zurbriggen war ja noch alle vier Disziplinen gefahren, das waren grosse Leistungen. Das gegenwärtige Team hat vielleicht mehr Podestplätze, aber es hat keinen, der alles fährt. Das könnte Odermatt auch, aber da sagt man, es sei zu streng, und den Gesamtweltcup gewinnt er ja auch so. Er ist ein Ausnahmekönner, wie es ganz wenige gibt auf der Welt.

Und vom Charakter her?

Da sind sie nicht sehr verschieden.

Odermatt ist jetzt 27 und hat vier Gesamtweltcup-Siege, Zurbriggen gelang das im gleichen Alter auch – und dann ist er zurückgetreten.

Das beachtet auch niemand. Wir haben darüber geredet, ich kann mich noch genau erinnern. Ich habe zu ihm gesagt: «Wenn du aufhören willst, dann musst du aufhören, das hat gar keinen Wert.»

Ist das vielleicht Odermatts grösste Qualität: Dass er es schafft, nicht auszubrennen?

Ja, man muss die Einstellung dazu haben. Aber gut, Zurbriggen war noch verliebt, das hat auch eine Rolle gespielt. Er hat gesagt, er höre auf. Alle haben zu mir gesagt: «Schau, dass der noch weiterfährt, der kann ja noch Rennen gewinnen.» Aber ich wollte ihn nicht überreden, weiterzumachen, das habe ich nie gemacht.

Reden wir über Loïc Meillard. Er hätte das Zeug, der grosse Rivale von Odermatt zu sein im Kampf um den Gesamtweltcup.

Ich kenne ihn schon, seit er ein Bub war. Damals sah ich ihn an einem Rennen und sagte: «Der fährt gar nicht schlecht.» Da hat mich einer gefragt, wie ich das meine, und ich habe geantwortet: «Der fährt verdammt gut.» Der Mann hat gesagt, das sei sein Sohn. Wenn Meillard so weitermacht wie zuletzt, wenn er sich nicht mehr unter Druck setzt, wenn er nicht denkt, er müsse, kann er verdammt gute Leistungen bringen.

Dann ist der grosse Unterschied zwischen Odermatt und Meillard die Lockerheit?

Ja, der Odermatt hat eine unglaubliche Lockerheit. Ein anderes grosses Geheimnis ist seine Balance. Das kannst du nicht trainieren. Er ist so gebaut, dass er den Schwerpunkt immer genau über dem Ski hat. Er stürzt ja auch nie. Es gibt ein paar Leute, die diese Gabe haben. Ingemar Stenmark war einer. Pirmin Zurbriggen. Peter Müller. Marcel Hirscher. Und Franjo von Allmen auch, der ist sowieso ein gefährlicher Hund.

Inwiefern ein gefährlicher Hund?

Da gibt es eine Ähnlichkeit zu Odermatt, der ist so gelassen, der fährt, wie er ist. Ich weiss gar nicht, ob er weiss, wie er fährt. Ich glaube es nicht. Aber er fährt aus sich heraus, gelassen, und es geht auf für ihn. Er ist ein Naturbursche, der im Gelände aufgewachsen ist. Man vergisst gerne, dass das ein Vorteil ist. Renate Götschl war auch so eine. Als ich die österreichischen Frauen trainiert habe, hat man mich gefragt, warum die Götschl so stark sei in den Hüften, obwohl sie nur die Hälfte der Zeit mittrainiert. Das war, weil sie daheim immer geheut hat, am Hang, und da hat sie gelernt, sich richtig hinzustellen.

Götschl und die anderen Österreicherinnen haben Sie einmal mit den Alpinski über eine Skisprungschanze springen lassen. Was hat Sie denn da geritten?

Das war eine Mutprobe, es ging darum, sich zu überwinden. Die österreichischen Frauen waren damals in keinem guten Zustand, die konnten Ski fahren, hatten schon Rennen gewonnen, aber nur Götschl und Anita Wachter waren noch in den Top 15. Die waren so eingeschüchtert, haben sich so unterbewertet gefühlt, als wären sie niemand. Aber als ich mit ihnen über die Schanze ging, waren sie wieder wer. Ich habe ihnen mehr zugetraut, sonst gar nichts. Ich habe mit meinen Athletinnen und Athleten immer ein Vertrauensverhältnis gehabt.

Das passt nicht zum Bild des «Eisernen Karl», wie man Sie ja immer nennt. Gefällt Ihnen der Übername eigentlich?

Solche Sachen habe mich nie interessiert. Ist doch egal, wie die Leute mich nennen, das sehe ich bis heute so.

Die Schweizer Männer dominieren wieder wie in den 1980er Jahren. Damals folgte später ein langes Tief. Kann man solche Wellenbewegungen überhaupt verhindern?

Ich glaube, das kann man nicht. Der Schweizer Skiverband unternimmt viel, damit er jetzt nichts vernachlässigt, so, wie das den Österreichern während ihrer langen Dominanz irgendwann passiert ist. Aber gewisse Wellenbewegungen wird es immer geben. Ausnahmekönner, wie Hirscher einer war oder jetzt die bei uns, bremsen die anderen, weil die nicht zum Zug kommen. Das hat schon Alberto Tomba bewiesen. Die Italiener hatten damals ein gutes Slalomteam, aber da war Tomba, und neben dem waren alle anderen nichts wert, und das hat das Team kaputtgemacht. Bei Hirscher war es genau das Gleiche.

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