Sonntag, Oktober 6

Lewis Hamilton triumphiert im Heim-Grand-Prix vor dem Weltmeister Max Verstappen. Für den Briten ist es bereits der neunte Sieg in Silverstone. Das hat bisher noch keiner geschafft – auch anderswo nicht.

Die erste Halbzeit der längsten Formel-1-Saison der Geschichte hat mit einem historischen Sieg geendet. Unter anspruchsvollen meteorologischen Bedingungen triumphierte der Rekordweltmeister Lewis Hamilton zum neunten Mal beim Grossen Preis von Grossbritannien. So häufig wie er hat kein anderer auf einer Strecke gewinnen können.

Doch der Triumph im zwölften WM-Lauf ist noch aus einem weiteren Grund so bemerkenswert, dass der 39-jährige Brite von einem «der wichtigsten Siege meiner ganzen Karriere» spricht. Über zweieinhalb Jahre, ganz genau 945 Tage und 57 Rennen lang, hatte der Rekordsieger ausharren müssen, ehe er zum 104. Mal ganz oben auf einem Podium stehen konnte.

Unerwartete Wolken und Schauer

Die Bedingungen vor der grossen Kulisse von 164 000 Zuschauern auf dem ehemaligen Flugplatz in Silverstone hätten schwieriger nicht sein können – und zugleich nicht besser für einen Routinier: Wolken und Schauer, die über die 52 Runden hinweg anders kamen und gingen, als es die Meteorologen und Strategen vorausgesagt hatten – da kam es auf den Instinkt der Piloten an. Max Verstappen und Lewis Hamilton erwischten den perfekten Zeitpunkt für ihre Boxenstopps. Hamilton hatte sich kurz zuvor vor seinen aus der Pole-Position gestarteten Teamkollegen George Russell gesetzt, und das geriet bis zum spannenden Ende zu seinem Vorteil.

Lando Norris hingegen, der mit dem McLaren über das derzeit beste Auto verfügt, entschied sich falsch, ihm blieb daher bloss Platz drei, nachdem ihm der Rivale Max Verstappen in einem diesmal fair gebliebenen Duell keine Chance gelassen hatte. Der Niederländer im Red-Bull-Honda war nur als Vierter gestartet, hatte den zweiten Rang am Ende aber ob seiner Leistung hinter dem Lenkrad ähnlich verdient wie Hamilton den Sieg. Verstappen führt jetzt in der WM-Gesamtwertung mit 84 Zählern auf Norris.

Die letzten Meter auf dem Silverstone Circuit erlebte Lewis Hamilton nur noch verschwommen. Diesmal waren es nicht die Regentropfen auf dem Visier, sondern die Tränen, die ihm übers Gesicht liefen. Von vielen war er abgeschrieben worden, einige zweifelten an seiner Motivation, nachdem im Frühjahr sein Wechsel zu Ferrari für die kommende Saison bekanntgeworden war. «Seit Dezember 2021 habe ich jeden Tag darum gekämpft, in der Spur zu bleiben», sagte er.

Er habe zwischendurch aber auch gezweifelt, ob er jemals wieder nach ganz oben zurückkehren könne. Aber dann, wenn man das Gefühl habe, ganz unten zu sein, müsse man sich erst recht wieder aufrappeln. Die Selbstmotivation gehört sicher zu den grossen Stärken des Mannes, den sie als «König von Silverstone» feiern und der mit dem Union Jack um die Schultern noch vor der Siegerehrung zu seinen Fans lief.

Was für ein sehenswertes Comeback in einem dramatischen Rennen, das die Spannung der ganzen Saison spiegelte. Seit die Red-Bull-Überlegenheit weg ist, gibt es in jedem WM-Lauf mehrere Siegkandidaten. Mit aufs Podium durfte Hamiltons langjähriger Renningenieur Peter Bonnington. Noch ist offen, ob «Bono» auch mit nach Maranello wechseln wird.

«Sweet Caroline» auch in der Mercedes-Box

In der Mercedes-Box erklang nach dem ungeahnten Triumph die englische Siegerhymne von der Fussball-EM: «Sweet Caroline». Ein sichtlich erleichterter Teamchef Toto Wolff tanzte ein paar Schritte mit, der Österreicher hat mit einer Politik der kleinen Schritte nach vielen technischen Rückschlägen die Trendwende geschafft. «Das war ein ehrlicher Erfolg», bilanzierte er, nachdem Russell schon in der Vorwoche in Spielberg den Sieg hatte abstauben können.

Das Schicksal des zweiten Mercedes-Piloten war der einzige Wermutstropfen: 18 Runden vor Schluss war die Wasserkühlung an seinem Silberpfeil ausgefallen. Doch auch für ihn gilt die Wolffsche Maxime: «Wir setzen uns durch, weil wir niemals aufgeben.»

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