Dienstag, Oktober 1

Der Mann sorgt dafür, dass er seine Rachegelüste an der Frau ungestört ausleben kann. Ihr Glück ist, dass eine Nachbarin aufpasst.

Zu seinem 18. Geburtstag erhält ein Sohn von seinem Vater ein Geschenk. Es ist eine Playstation 5. Was der Sohn nicht weiss: Der Vater hat die Spielkonsole manipuliert. Er hat einen GPS-Sender darin versteckt.

Der Mann will herausfinden, wo seine Ex-Frau, die Mutter seines Sohnes, wohnt. Sie ist vor ihm aus der gemeinsamen Wohnung geflüchtet.

Der Sender erfüllt seinen Zweck. Bald findet der Mann die neue Bleibe seiner Frau, einen Wohnblock in einem Dorf nahe Zürich.

Zwei Wochen nach dem Geburtstag des Sohnes geht ein Notruf bei der örtlichen Polizei ein. Eine Nachbarin meldet Schreie. Die Beamten treffen im Wohnblock auf einen Mann, der wild um sich schlägt. Drei Polizeibeamte sind nötig, um die Wohnungstüre aufzustemmen.

Dahinter liegt die Ehefrau des Mannes auf dem Flur. Ihr Gesicht ist zerschlagen. Sie ist vollkommen nackt. Auf einem Stuhl liegen Kabelbinder und ein Japanmesser.

15 Einsätze pro Tag allein in Zürich

Der Fall, der am Donnerstag vor dem Bezirksgericht Dietikon verhandelt wird, ist einer, wie er oft vorkommt im Kanton Zürich. 15 Mal rückt die Polizei im Kanton Zürich wegen häuslicher Gewalt aus – pro Tag. Schweizweit stirbt fast alle zwei Wochen jemand in diesem Zusammenhang. Fast immer sind die Opfer Frauen.

Eines der bekannten Muster ist: Eine Frau verlässt ihren Ehemann. Der kann mit der Kränkung des Verlassenwerdens nicht umgehen.

So ist es auch in diesem Fall.

Die Geschichte beginnt drei Monate vor der Tat, im Februar 2023. Die Frau eröffnet ihrem Mann, dass sie sich nach zwanzig Ehejahren scheiden lassen will. Er reagiert impulsiv, droht ihr mit dem Tod, greift sie tätlich an. Sie türmt über den Balkon aus der Wohnung.

Im März landet der Fall vor dem Richter. Der erlegt dem Mann ein Rayon- und Kontaktverbot auf.

Doch daran hält er sich nicht.

Seine Frau, eine 42-jährige gebürtige Kroatin, führt einen Kiosk in der Stadt Zürich. Ungestört kann sie dieser Arbeit nun nicht mehr nachgehen. Fast täglich taucht ihr Ex-Mann, ebenfalls gebürtiger Kroate, bei der Arbeit auf.

Der 55-Jährige hat als Gipser gearbeitet, ist aber seit Jahren arbeitslos. Eine Zeitlang war er bei seiner Frau angestellt. Freimütig erzählt er bei der Verhandlung, er sei ungeeignet für die Arbeit mit den Klienten, habe aber trotzdem einen monatlichen Lohn von rund 5000 Franken bezogen. Doch dies war vor der Trennung.

Im Mai 2023 hat der GPS-Sender seinen Zweck erfüllt. Und nun hat der Mann Glück. Der gemeinsame Sohn pendelt zwischen den beiden Adressen seiner Eltern hin und her. Einmal, als dieser bei ihm ist, verliert der Sohn den Schlüssel für die Wohnung der Ex-Frau. Der Vater findet ihn.

Dann, eines Abends Mitte Mai, kehrt die Frau von der Arbeit am Kiosk in ihre Wohnung zurück. Eine Nachbarin begleitet sie. Im Schlafzimmer steht, hinter dem Vorhang, ihr Ex-Mann.

Als wär’s ein Schwank

Der Mann – rasierte Glatze, markante Brille, Bart und korpulente Statur – erzählt es vor Gericht belustigt. Als handle es sich um eine Szene aus einem Schwank.

Er habe sich eigentlich aus der Wohnung schleichen wollen, da seien im dümmsten Moment seine Ex-Frau und die Nachbarin aufgetaucht. In einer Länge seien sie auf dem Balkon gesessen und hätten Kaffee getrunken. Und er habe hinter dem Vorhang warten müssen.

Die Nachbarin verlässt die Wohnung. Unvermittelt steht der Mann vor seiner Ex-Frau. Er schlägt ihr mehrmals ins Gesicht. Sie verliert das Bewusstsein.

Als sie zu sich kommt, spürt sie sein Knie auf ihrer Brust. Sie muss ihrem Sohn eine SMS schreiben: Er solle nicht nach Hause kommen. Nun wähnt sich der Mann ungestört.

Er beschimpft sie als Nutte. Er befiehlt ihr, sich auszuziehen. Er fährt ihr mit dem ungeöffneten Japanmesser über die nackte Haut, fragt sie: «Für wen hast du die Brüste machen lassen?» Als er ihr zwischen die Beine greift, will er wissen: «Für wen hast du dich rasiert?»

So schildert es die Frau vor Gericht, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Sie zittert praktisch unentwegt, als sie von diesem Abend erzählt. Bis heute leide sie unter Angstzuständen und Schlafstörungen, sagt sie.

Er habe gemurmelt: «Habe ich dir nicht gesagt, dass ich hinter dir her sein werde, du Hure?» Seine Stimme sei ganz anders gewesen als sonst: ruhig und monoton. Wie in einem Horrorfilm.

«Jetzt bist du nicht mehr hübsch», habe er zu ihr gesagt, nachdem er sie geschlagen habe. «Ruf ruhig nach deiner Mama», hab er geraunt, niemand werde kommen und ihr helfen. Sie solle sich vom Leben verabschieden.

Die Richterin fragt: «Was wäre ohne Eingreifen der Polizei passiert?» Sie antwortet: «Er hätte mich umgebracht.»

Der Beschuldigte stellt das Ganze als Streit dar, der aus dem Ruder gelaufen sei.

Von Tötungsabsicht könne keine Rede sein – sonst hätte er ihr zwischendurch kaum ein Glas Wasser gebracht, das Blut aus dem Gesicht gewischt und ihr den Toilettengang erlaubt. Das Messer und die Kabelbinder habe er zufällig bei sich gehabt, er habe damit eigentlich die defekte Tür eines Estrichabteils flicken wollen. Und ausgezogen habe sie sich selbst, weil sie in die Hose gemacht habe.

Doch warum hielt sich der Mann überhaupt in der Wohnung auf? Der Mann sagt, er habe dem Liebhaber seiner Frau «Grüezi» sagen wollen. Es störe ihn nicht einmal gross, dass seine Frau einen neuen Partner habe, aber sie hätte ehrlich zu ihm sein sollen. Er habe wissen wollen, was Sache sei.

Auffällig ist in der Verhandlung, dass sich der Staatsanwalt und die Verteidigerin des Mannes über den Tathergang weitgehend einig sind. Selbst darüber, dass der Mann ihr mit dem Tode gedroht habe und ihr mit dem Japanmesser über den nackten Körper gefahren sei.

In zwei Punkten fordert die Verteidigerin dennoch einen Freispruch. Von sexueller Nötigung könne man nicht sprechen, selbst wenn es zutreffen sollte, dass er mit dem Finger vaginal in sie eingedrungen sei. Es sei ihm nicht um Lustbefriedigung gegangen, sondern einzig um die Erniedrigung der Frau.

Auch auf eine Tötungsabsicht könne man nicht schliessen. Sein Ziel sei ein anderes gewesen: «Er wollte den Namen ihres Lovers aus ihr herausprügeln.» Deshalb habe die Staatsanwaltschaft ihn nicht wegen eines Tötungsversuchs, sondern lediglich wegen «Vorbereitungshandlungen zu vorsätzlicher Tötung» angeklagt, vermutet die Verteidigung. So versucht sie, die drohende beantragte Landesverweisung abzuwehren.

Der Mann entschuldigt sich am Ende der Verhandlung: erst bei allen Anwesenden, dann «bei sich selbst» und erst zum Schluss bei seiner Ex-Frau. Die müsse aber keine Angst vor ihm haben. «Angst hat man oder hat man nicht», findet er.

Auch im Plädoyer des Staatsanwalts kommt eine Entschuldigung vor. Er beruft sich auf die Zeugenaussage des Sohnes, dessen Playstation eine so verhängnisvolle Rolle gespielt hat.

Der Vater habe sich eine Woche vor der Tat beim Sohn entschuldigt – dafür, dass es «zu diesem Tag» kommen werde. «Da war für mich klar, dass etwas passieren wird, dass er etwas plant», zitiert der Staatsanwalt den Sohn.

Für das Gericht ist die Tötungsabsicht offensichtlich, wobei es Vorbereitungshandlungen seien und die Schwelle zum Tötungsversuch nicht erreicht sei. Es geht über die Forderung des Staatsanwalts hinaus und verurteilt den Mann zu 74 Monaten Freiheitsstrafe. Danach muss er die Schweiz für zehn Jahre verlassen.

Urteil DG 240005-M vom 18. 7. 2024, noch nicht rechtskräftig.

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