SP-Frau Elisabeth Baume-Schneider hatte einen schlechten Start. Nun ist ihr die wichtigste Gesundheitsreform der letzten Jahre gelungen. Der SVP-Magistrat und Senkrechtstarter Albert Rösti hingegen musste seine erste Niederlage einstecken.
Wer wissen möchte, wie Elisabeth Baume-Schneider tickt, sollte sich die Abstimmungs-Pressekonferenz vom Sonntag ansehen. Die Gesundheitsministerin sass in der Reihe links aussen und kam als Letzte dran. Erst nachdem Albert Rösti und Guy Parmelin ihre Niederlagen beim Autobahnausbau und den Mietvorlagen erklärt hatten, durfte die Sozialdemokratin ihren Sieg bei Efas einordnen.
Baume-Schneider ist die einzige Bundesrätin, die am Sonntag einen Erfolg verzeichnen durfte. 53,3 Prozent der Bevölkerung haben der einheitlichen Finanzierung von Arztpraxen, Spitälern und Pflegeheimen zugestimmt. Nicht nur Parmelin und Rösti dürften das mit einem gewissen Neid zur Kenntnis genommen haben, sondern auch Baume-Schneiders Vorgänger Alain Berset. Ihr ist gelungen, woran er scheiterte: Sie hat die Blockade zwischen den verschiedenen Exponenten im Gesundheitswesen gelöst und die erste grosse Gesundheitsreform seit dreissig Jahren ins Ziel gebracht. Das ist beachtlich.
Wer am Sonntag nun eine Siegespose erwartet hatte, wurde enttäuscht. Die Miene der Magistratin blieb ernst. Nicht einmal ein leises Lächeln erlaubte sich die Jurassierin. Vielleicht liege es an den Spannungen innerhalb ihrer SP, spekulierten einige Medien. Schon zum vierten Mal innerhalb eines Jahres musste Baume-Schneider gegen ihre Partei und die Gewerkschaften antreten und wurde dabei recht hart angegangen.
Doch Baume-Schneiders strenge Miene war keine Solidarität mit ihren unterlegenen Genossen, sondern ein Zeichen ihrer Loyalität zu ihren Bundesratskollegen. Die Sozialministerin versteht sich gut mit den SVP-Vertretern. Vor allem aber sieht sie sich dem Gesamtgremium und der Konkordanz verpflichtet. Sie will keine Einzelkämpferin sein, sondern Teil des Ganzen.
Einer vom Land
Auch Albert Rösti lächelte nicht. In ungewohnt ernstem Ton fasste er zusammen, welche Gründe zum Nein seiner Autobahnvorlage geführt hatten. Erstens: Einer Mehrheit der Stimmberechtigten waren die Ausbauprojekte zu umfangreich. Zweitens: Kantone ohne Projekte sagten öfter Nein als die berücksichtigten Regionen. Und drittens: «Die laufende Sanierung des Bundeshaushaltes dürfte einige wachstumskritische Bürger von einem Ja abgehalten haben.»
Rösti weiss, dass er eine schmerzhafte Niederlage erlitten hat. Mit dem Nein aus den Städten hatte er gerechnet, aber die Skepsis im Rest des Landes schmerzt ihn. Schliesslich ist er auch einer vom Land. Aufgewachsen im Berner Oberland als Sohn eines Bauern. Der Erste in seiner Familie, der auf eine Universität ging.
Für Albert Rösti ging mit der Wahl in den Bundesrat 2022 ein Traum in Erfüllung. Noch selten hat die Bundesversammlung einen so glücklichen Kandidaten gesehen. Als er im Januar 2023 das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation übernahm, sprühte er immer noch vor Elan.
Rösti stellte sich erst einmal jedem vor und gleiste dann mit bemerkenswertem Sinn für Mehrheiten seine Projekte auf. Der Erfolg liess nicht lange auf sich warten. Seine ersten drei Vorlagen wurden alle angenommen: Klimaschutzgesetz, Stromgesetz, Biodiversitätsinitiative. Rösti setzte sich durch – mitunter gegen seine eigene Partei. Am Sonntag ist er nun zum ersten Mal gescheitert.
Elisabeth Baume-Schneiders Start war harziger. Ihr erstes Jahr als Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements glich einer einzigen Niederlage. Die Gemeinden und Kantone litten unter hohen Asylzahlen und mangelnden Unterkünften. Die SVP machte Druck, Baume-Schneider hielt ihm nicht stand. Ihr Lösungsvorschlag in Form von Armee-Containern wurde im Ständerat abgeschmettert, und das gestresste Grenzdorf Chiasso fühlte sich nicht gehört. Seither hatte sie den Ruf, sie sei eine schwache Bundesrätin.
Anfang 2024 flüchtete sie ins Innendepartement. Auch hier gab es Probleme, doch EBS, wie die Bundesrätin auch genannt wird, zeigte zunehmend Führungsstärke. Etwa beim Milliardenfehler bei der AHV, wo sie per Administrativuntersuchung durchgriff. Mittlerweile hat der zuständige Direktor des Bundesamts für Sozialversicherungen, Stéphane Rossini, gekündigt. Freiwillig, wie es heisst. Baume-Schneider hatte allerdings nach dem Bekanntwerden des folgenschweren Fehlers personelle Konsequenzen nicht ausgeschlossen.
Sie hört die Ängste
Und nun, der erste Sieg: Dass die wichtigste Gesundheitsreform seit Jahren am Sonntag komfortabel angenommen wurde, kann sie allerdings nicht nur als eigenen Erfolg verbuchen. Die Allianz der Befürworter war breit, die Gegnerschaft überschaubar. Nur die Gewerkschaften und die Mehrheit der SP waren dagegen, die Grünen und die Pflegefachkräfte beschlossen Stimmfreigabe.
Doch das Engagement der Bundesrätin dürfte auch seinen Teil dazu beigetragen haben. Sie trat engagiert und volksnah auf, ihre Botschaft war einfach, aber eindringlich: Die Reform ist zwar kompliziert, aber alle haben etwas davon. Den Efas-Gegnern, die wie sie vor allem in der Romandie daheim sind und teilweise unter hohen Prämien leiden, versprach sie am Sonntag, sie höre die Ängste, es gebe keinen Leistungsabbau.
In Bern hat sich Baume-Schneider langsam den Ruf einer Regierungsvertreterin erarbeitet, die eint statt spaltet. Das zeigte sich auch im Tarifstreit, wo ihr im Oktober ein erster Durchbruch gelungen ist. Baume-Schneider hatte das Gespräch mit den zerstrittenen Akteuren gesucht und ein Ultimatum gestellt. Die Ärztepräsidentin Yvonne Gilli sagte danach der NZZ, Berset habe die Versicherer, die Kassen und die Ärzte «geschickt gegeneinander ausgespielt», die Folge sei ein «Reformstau» gewesen. Baume-Schneider dagegen habe «die Chance des Neuanfangs gepackt und eine gemeinsame Lösung eingefordert».
Elisabeth Baume-Schneider, die bis am Sonntag fast nur Enttäuschungen kannte, brachte eine grosse Gesundheitsreform durch. Albert Rösti, der Senkrechtstarter, scheiterte in einem Land von Autofahrern mit einer Kapazitätserweiterung für chronisch überlastete Nationalstrassenabschnitte.
Die Abfuhr an der Urne wird ihn schmerzen, aber er wird sie verkraften. Albert Rösti war lange genug Präsident der SVP, um mit Kritik und Niederlagen umgehen zu können. Keine Partei springt mit ihrem Kader so grob um wie die Schweizerische Volkspartei. Wer es wie Rösti vier Jahre an der Spitze der SVP ausgehalten hat, den bringt ein Nein an der Urne nicht aus dem Tritt.
Aufstehen, weiterboxen
Als Parteipolitiker hat Albert Rösti stets die Ansicht vertreten, dass das Volk immer recht hat. Und so argumentierte er am Sonntag auch als Bundesrat. Es gehöre zur politischen Kultur des Landes, dass die Bevölkerung Entscheide des Bundesrats und des Parlaments korrigieren könne, sagte er. Rösti, der Staatsmann.
Der Bundesrat ist einer, der die ganze Ochsentour gemacht hat. Er kennt die Gemeindepolitik, die Kantonspolitik, die Bundespolitik und die Parteipolitik. Wenn er in seiner langen Karriere etwas gelernt hat, dann das: Politik ist wie Boxen. Wer einen Schlag kassiert hat, steht wieder auf und kämpft weiter. Auch deshalb hat Rösti die Bemerkung mit dem «wachstumskritischen Teil der Bevölkerung» gemacht. In seiner SVP hat sich fast jeder Dritte gegen die sechs Autobahnprojekte ausgesprochen. Als Reaktion auf die starke Zuwanderung, behauptet der heutige Parteipräsident, Marcel Dettling. Albert Rösti hat ihm den Ball mit seiner Wortwahl zurückgespielt.
Denn Rösti ist ein hervorragender Stratege. Lisa Mazzone, die Präsidentin der Grünen, hat bereits am Sonntag gefordert, man müsse nun das Geld aus dem Nationalstrassenfonds in den Klimaschutz umleiten. Die SP will das Geld in den öffentlichen Verkehr und in «multimodale Verkehrslösungen» umlenken. In den Ohren des Verkehrsministers sind das Vorschläge des Grauens. Er hat deshalb ein grosses Interesse daran, dass sich die Interpretation der SVP durchsetzt: Das Nein ist eine Reaktion auf die hohe Zuwanderung, den Dichtestress und die Angst vor höheren Benzinpreisen.
Der politische Wind kann schnell wieder drehen, und dann muss man den Moment nutzen und den Willen des Volkes, das immer recht hat, in die richtige Richtung lenken. Vor der Abstimmung über das Stromgesetz versicherte Rösti, eine Diskussion über neue Atomkraftwerke sei heute «müssig». Er habe im Moment wirklich gar kein Interesse, eine Debatte über die Kernkraft loszutreten. Wenige Monate nach der gewonnenen Abstimmung kündigte er an, der Bundesrat wolle das Verbot für Kernkraft rückgängig machen.
Am Sonntag versprach er, die sechs Ausbauprojekte würden nun sistiert. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass die Verfassung eine ausreichende Nationalstrasseninfrastruktur verlange. Man wolle nun das Abstimmungsergebnis analysieren und nach mehrheitsfähigen Lösungen suchen. Albert Rösti will kein Verlierer sein. Auch das hat er in der SVP gelernt. Wenn man verliert, verliert man. Aber man gibt nicht auf.
Und wie geht es für Elisabeth Baume-Schneider weiter? Kann sie ihren Triumph von Sonntag in eine Erfolgssträhne verwandeln? Die Herausforderungen für die Innenministerin sind gross, etwa beim Rentensystem. Bei der 13. AHV liegt noch kein Finanzierungsplan vor, und die nächste Reform steht vor der Tür. Dazu muss Baume-Schneider die Pflegeinitiative umsetzen und die hochkomplexe Digitalisierung des Gesundheitswesens angehen.
Ihre Qualitäten als aufmerksame Moderatorin mögen ihr dabei zugutekommen. Eine grosse Vision ist bei Baume-Schneider allerdings nicht erkennbar. Sie wolle die Qualität des Gesundheitswesens bewahren und die Finanzierbarkeit sichern, wiederholte sie am Sonntag bei der Medienkonferenz. Das mag bescheidener klingen, als es angesichts der demografischen und technologischen Entwicklungen ist. Und Baume-Schneider hat nur noch sechs Jahre Zeit dafür. Bei ihrer Wahl kündigte sie an, höchstens bis 67 im Amt zu bleiben. Am 24. Dezember wird sie 61 Jahre alt.