Samstag, November 23

Er war der Erfinder der Fallenbilder und des Kartoffelbrei-Eises. Die Bezeichnung Multitalent hat immer bestens gepasst zum Leben und Werk des Objektkünstlers, Dichters, Tänzers, Kochs, Akademieprofessors und Kurators. Nun ist Daniel Spoerri 94-jährig in Wien verstorben.

«Daniel Nijinsky Superstar» heisst eine Arbeit des Bündner Künstlers Not Vital. Sie befindet sich im Giardino di Daniel Spoerri, dem toskanischen Paradiesgarten am Monte Amiata, den der Schweizer Künstler Daniel Spoerri 1997 eröffnet hat. Dort sind neben eigenen Werken auch Skulpturen von fast fünfzig Künstlerkollegen zu sehen.

Bei Not Vitals Hommage an Daniel Spoerri handelt es sich um eine Skulptur nach einer Fotografie, die 1939 im «Paris Match» erschien und den berühmten Tänzer Vaslav Nijinsky im Sprung zeigt. Für den Bruchteil einer Sekunde befindet sich ein schwerfällig wirkender älterer Herr in der Luft, als gälte für ihn nicht das Gesetz der Schwerkraft.

Auch Daniel Spoerri war Tänzer, bevor er eine Karriere als bildender Künstler begann. Und das war Not Vital sehr wohl bekannt. In einem Gespräch schwärmte Spoerri oft von der Tanzwut Nijinskys, die diesen für einige Jahre zum gefeierten Tänzer machte. Zum Zeitpunkt der Aufnahme hatte Nijinsky allerdings bereits zwanzig Jahre in Nervenheilanstalten verbracht.

Rettende Tanzwut

Für Daniel Spoerri hingegen war seine eigene Tanzwut eine Form der Rettung: Nachdem sein Vater von Faschisten ermordet worden war, floh der 1930 im rumänischen Galati geborene Künstler mit der Schweizer Mutter Lydia Spoerri in die Schweiz nach Zürich. Dort kam der damals 12-Jährige und Älteste von sechs Kindern bei einem Onkel unter, wo er aufwuchs.

Ablenkung von seiner Unruhe und Verzweiflung fand Spoerri bald in ekstatischem Tanz: Ewig dankbar war er seinem Entdecker und zweiten Vater, Max Pfister-Terpis, einem Mann mit vielen Begabungen, der bekannt wurde für seine Synthese aus Ballett und Ausdruckstanz. Er riet Spoerri zu einer Tanzausbildung, die ihn zunächst für einige Zeit nach Paris führte und dann von 1954 bis 1957 als Solisten ans Berner Stadttheater.

Dort begann Spoerri parallel zum Tanzen Avantgardestücke zu inszenieren. Immer wichtiger wurde dabei sein Kontakt zu Künstlerkollegen, angefangen bei seinen Schweizer Freunden Jean Tinguely, Eva Aeppli und Bernhard Luginbühl. 1960, zurück in Paris, unterzeichnete Spoerri das Manifest der Nouveaux Réalistes zusammen mit Yves Klein, Arman, Jean Tinguely und anderen. Man grenzte sich damit von der abstrakten Kunst ab und knüpfte ans Readymade oder an Dada an. Kunst sollte wieder auf die gegenständliche Welt und die Wirklichkeit Bezug nehmen. Das war auch die Geburtsstunde von Spoerris Fallenbildern.

Der künstlerische Autodidakt Spoerri definierte seine neu erfundene Kunstgattung so: «Gegenstände, die in zufälligen, ordentlichen oder unordentlichen Situationen gefunden werden, werden in genau der Situation, in der sie gefunden werden, auf ihrer zufälligen Unterlage (Tisch, Schachtel, Schublade usw.) befestigt. Indem das Resultat zum Bild erklärt wird, wird Horizontales vertikal.»

Spoerri ging es darum, das Prinzip der Autorschaft zu hinterfragen. Es entstanden seine berühmten Arbeiten, bei denen Objekte wie Geschirr, Gläser oder Zigaretten auf die Tischplatte geklebt und dann als Tafelbild an die Wand gehängt wurden. Später hielt Spoerri ganze festliche Gelage mit Freunden auf diese Weise fest. Diese Momente stillgelegter Wirklichkeit wurden zu Fixpunkten seines Schaffens.

Essen als Kunst

Ums Essen ging es immer wieder: eine Kulturform, die Spoerri 1963 in der Pariser Galerie J perfektionierte. Dort verwandelte er den Galerieraum in ein Restaurant mit kellnernden Kunstkritikern. 1968 fanden im «Restaurant Spoerri» in Düsseldorf unter anderem Aktionen mit Joseph Beuys, Robert Filliou, Dieter Roth und Emmett Williams statt. Diese Eat-Art-Bankette wurden legendär.

Im Lauf seiner Karriere als Professor an den Kölner Werkschulen und der Akademie der Bildenden Künste in München veröffentlichte Spoerri mehrere Kochbücher, unter anderem mit dem Rezept für ein «Menu Travesti», das die Zubereitung von Kartoffelbrei-Eis an Fleischpralinen erläutert und im verspielten Umgang mit Texturen die Molekularküche auf bodenständige und heitere Weise vorwegnahm.

In Hadersdorf, wo Daniel Spoerri 2009 ein sogenanntes Staulager mit einem weiteren magischen Garten installierte und seine Werke sowie Arbeiten von Künstlerfreunden zeigte, gibt es neben einer eindrucksvollen Kochbuchsammlung ebenfalls ein Esslokal. Von Wien nach Hadersdorf fährt man ein Stück an der Donau entlang – dem Fluss, an dem Spoerri weit im Osten, bevor er ins Schwarze Meer mündet, als Daniel Isaac Feinstein geboren wurde.

Ein Heimatloser

An diesen Fluss seiner Kindheitstage ist Spoerri 2007 durch seinen Umzug nach Wien zurückgekehrt. Aus Überzeugung sah sich Spoerri stets als einen Heimatlosen. Dem Pogrom vom 28. Juni 1941 im rumänischen Iasi, bei dem 12 000 Juden ermordet wurden, entkam er nur mit viel Glück.

Spoerri hat einmal gesagt: «Es gibt zwei grosse Triebe, die die Menschheit vorwärtstreiben: Der eine ist die Fortpflanzung, der andere die Selbsterhaltung, das Überleben. Überleben war ja eigentlich von Kind auf mein Thema.» Mit der Pflege seiner Lebensfreundschaften, mit dem humorvoll poetischen Erzählen und Schreiben und der überwältigenden Neugierde und Phantasie, die in seinen Objekten und Assemblagen zum Ausdruck kommt, hatte er seinen Platz in der Welt gefunden.

Not Vitals Hommage an den facettenreichen Künstler hält die Erinnerung wach an den wilden Tänzer. Im fortgeschrittenen Alter ging dieser allerdings gerne an einem der vielen originellen Stöcke aus seiner eigenen Sammlung. Dabei bewegte er sich stets unnachahmlich elegant. Nun ist Daniel Spoerri 94-jährig in Wien verstorben.

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