Mittwoch, März 12

Bühler hatte das Glück, dass er in Fritz Chervet auf einen aussergewöhnlichen Boxer traf. Doch ihre Zusammenarbeit endete im Streit. Dem autoritären Charme des Coachs erlagen viele, Bühlers Boxkeller wurde in Bern Kulturgut.

Es ist gut möglich, dass heute vielen Stadtbernern der Name Charly Bühler nichts mehr sagt. Obwohl der Mann den Boxsport in der Schweiz während mehr als vierzig Jahren prägte, vor allem in der Bundesstadt.

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Der kleingewachsene Romand mit seiner prägnanten Glatze und dem federnden Gang hat Bern vor mehr als einem Vierteljahrhundert in Richtung Frankreich verlassen. Mit seiner Lebensgefährtin verbrachte er in Tours seinen Lebensabend. Nur noch selten tauchte er zuletzt in Bern auf, nachdem er Abschied vom Sport genommen hatte.

Doch mindestens einmal im Jahr kehrt Bühlers Vermächtnis nach Bern zurück, jeweils am 26. Dezember, wenn im Kursaal der legendäre «Boxing Day» auflebt. Es war Charly Bühler, der diesen Event Anfang der siebziger Jahre ins Leben rief, der ihm und der Stadt viele sportliche Ereignisse und Schlagzeilen lieferte.

Er kümmerte sich um Berner Giele, die kämpfen wollten

Bühler kam 1932 in Genf zur Welt. Und schon sein Geburtsdatum war speziell: 29. Februar, der Tag, der für ein Schaltjahr steht. Mit diesem Datum hatte er stets kokettiert; er sei in Wahrheit vier Mal jünger.

Bereits als Kleinkind kam er mit dem Boxsport in Berührung. Von seinem Patenonkel, einem Boxer, erhielt er seine ersten Boxhandschuhe. In seiner Heimatstadt bestritt er als Junior einige Kämpfe. Als Bühler dann nach Bern kam, entschied er sich mit 23 Jahren, Boxtrainer zu werden. An der Kochergasse 4, gegenüber dem Nobelhotel Bellevue und nur ein Steinwurf vom Bundeshaus entfernt, übernahm er mit dem Aargauer Alfons Bütler den Boxkeller und den Athletic Box Club Bern (ABCB) von seinem Vorgänger David Avrutschenko.

In diesem Keller mit zwei ineinanderlaufenden Räumen, einem kleinen Boxring, der nicht den üblichen Massen entsprach, einer sich anschliessenden kleinen Umkleidekabine und einem Duschraum für höchstens sechs Athleten entstand die Basis für die erfolgreichste Schweizer Boxgeschichte der Nachkriegszeit.

In den sechziger Jahren erlebten YB, der SC Bern und die Handballer des BSV Bern glorreiche Zeiten, es gab aber auch ein Segment von Jugendlichen, das sich nicht mit diesen Sportvereinen identifizieren konnte. Diese Berner Giele suchten ihr Glück eher im Kämpfen, häufig nachts in Aussenquartieren der Stadt, wo «gschleglet» wurde. Dank Charly Bühler fanden sie einen Boxkeller und einen Trainer, der Boxen nicht als wildes Prügeln betrachtete, sondern als Kunst lehrte.

Bühlers Glück war, dass in Fritz Chervet ein aussergewöhnliches Talent seine Schule aufsuchte, nachdem dessen älterer Bruder Paul bereits erfolgreich unter Bühlers Anleitung geboxt hatte. Fritz Chervet, 1 Meter 65 Meter klein und nur 50 Kilogramm schwer und von bescheidenem Auftreten, war ein exzellenter Techniker, der all das verkörperte, was der Bühler’schen Box-Philosophie entsprach.

Der wendige Chervet war für Bühler der lebende Beweis, dass Boxen mehr ist als eine Schlägerei. Chervet im Ring – das war ein optischer Genuss. Er konnte Leute fürs Boxen begeistern, die vorher nichts für diesen Sport übrig hatten.

Mit Chervet feierte Bühler den Höhepunkt seiner Trainerkarriere. Fünf Mal wurde die «Berner Fliege» Europameister. Und 1973 erlebte der Schweizer Boxsport Denkwürdiges, als ein entfesselter Chervet am 26. Dezember 1973 in der Berner Festhalle den Italiener Fernando Atzori zum zweiten Mal bezwang, diesmal durch K.o. in der elften Runde.

Mit diesem Meeting begann die Geschichte des «Boxing Day». Aufgrund von Erfahrungen mit Sportveranstaltungen im Ausland erkannte der gewiefte Bühler, dass der Tag nach Weihnachten ideal für einen Boxanlass sein könnte und Bern ein günstiger Austragungsort.

Es zogen aber auch dunkle Wolken auf. Etwa, als Chervet mit Bühler in Streit geriet wegen der Börse seines dritten WM-Kampfes gegen den Thailänder Chionoi. Chervet räumte seinen Spind an der Kochergasse 4 und beendete geräuschlos seine Karriere.

Auch mit Enrico Scacchia gab es Probleme

Die Leichtigkeit des Seins, wie die NZZ einmal über Chervets Boxkunst titelte und die Bühler selbst mit seinem legeren Auftreten zelebrierte, war nur die eine Seite der Trainerlegende. Der Romand galt als Schlitzohr und geschickter Strippenzieher. Bühlers autoritärem Charme erlagen im Laufe seines langen Wirkens viele Amateur-, Berufs- und Hobby-Boxer.

Bühler konnte auch gut rechnen: Wiederholt beklagten sich Boxer über Versprechen und Abmachungen, die der Trainer nicht eingehalten haben soll. Bühler wiederum hatte zunehmend Mühe, mit der neuen Generation von Athleten einen Umgang zu finden, weil diese andere Vorstellungen von Disziplin und Autorität hatten. So gelang es Bühler nicht, Enrico Scacchia, das zweite Juwel in seiner Karriere, entsprechend zu fördern. Der Coach konnte Scacchia nicht dessen mangelhafte Professionalität austreiben. Nach der ersten EM-Niederlage in Genf, einem Kampf, in dem sich Scacchia nicht optimal betreut gefühlt hatte, trennten sich die Wege des Boxers und des Trainers.

Bühlers Boxkeller gehörte im vorigen Jahrhundert zu Berns Kulturgut. Auch Studenten, Lehrlinge Politiker und Kunstschaffende standen sich im Ring gegenüber und übten Leichtschlagboxen. Und Bühler war mehr als nur ein charismatischer Boxlehrer, er war auch ein profunder Kunstkenner.

Die Verbindung zwischen Boxen und Kunst war für ihn offenkundig. Bühlers kleines Reich war vollgestopft mit Preziosen, Gadgets und kitschigem Zeug, alles hatte einen Bezug zum Boxen. Aus dem Lautsprecher ertönten Jazzklänge, sehr oft Duke Ellington, Charlie Parker oder Miles Davis. Im Ring erklärte Bühler seinen Schülern, dass der Boxsport die «noble Art der Selbstverteidigung» sei.

Im Jahre seines Rücktritts Ende August 1999 ging Bühlers grosser Wunsch in Erfüllung: Im Berner Kunstmuseum wurde in der Videoinstallation «Watch your heads» der beiden Videokünstler Franticek Klossner und Erik Dettwiler mit Aufnahmen aus Bühlers Boxkeller der Faustkampf zur Kunst erhoben. Bühlers Vision, dass Boxen ein Stück Kunst ist und durchaus einen Platz im Museum haben kann, fand hier ihre späte Bestätigung.

Nun ist Charly Bühler im Alter von 93 Jahren verstorben.

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