Donnerstag, Oktober 3

Daniel Anrig stand wegen Drohung, falscher Anschuldigung und Ungehorsams vor dem Bezirksgericht Meilen.

Was eine Meilemer Einzelrichterin am Montag bei der Urteilseröffnung über die Persönlichkeit von Daniel Anrig sagt, ist nicht schmeichelhaft für den zurzeit arbeitslosen ehemaligen Kommandanten der päpstlichen Schweizergarde. Viele seiner Aussagen seien Schutzbehauptungen, absurd und wenig glaubwürdig, sagt sie über den 51-Jährigen, der einst auch Offizier bei der Kantonspolizei in Zürich und Glarus war, zudem Gemeindeschreiber von Zermatt und Sicherheitschef des Eidgenössischen Schwingfests.

Anrig hat laut der Richterin Mühe, sich in die Position von Drittpersonen einzufühlen, und verfalle selber immer wieder in eine Opferhaltung. Er habe wohl aus Frustration und Rachegefühlen heraus gehandelt, einen Nichtschuldigen falsch angeschuldigt und damit auch in Kauf genommen, dass gegen diesen ungerechtfertigterweise ein Strafverfahren eingeleitet wurde.

Als Muster seines Verhaltens erwähnt die Richterin explizit einen Vorfall, der am Prozess nur am Rande Thema war: Die Mutter der gemeinsamen Tochter sagte einmal im Streit zu ihm, er solle doch in den Keller gehen und sich aufhängen. Anrig ging in den Keller, nahm ein Drahtseil und hängte sich auf, wurde aber rechtzeitig von Nachbarn gefunden.

Die Richtern erwähnt dies als Beispiel seiner absurden Opferhaltung: In der Verhandlung habe er gesagt, die Freundin habe gewollt, dass er sich umbringe – deshalb habe er es versucht. Er hatte im Gerichtssaal gesagt, von seinem beruflichen Hintergrund bei der Garde und der Polizei sei er es sich eben gewohnt, Anweisungen auszuführen.

Laut Gerichtsgutachten hat Anrig aber keine relevante Persönlichkeitsstörung und ist daher voll steuerungs- und schuldfähig.

Keine Zweifel an Drohung mit Kettensäge

Wie die Einzelrichterin bei der Urteilseröffnung erklärt, hat sie keinen Zweifel daran, dass Anrig am 7. November 2022 einen mittlerweile 54-jährigen Schweizer Geschäftsführer im Garten eines Einfamilienhauses an der Zürcher Goldküste mit einer laufenden Kettensäge bedrohte. Der Vorfall geschah im Garten der Mutter von Anrigs sechstem Kind, einem heute dreijährigen Mädchen.

Anrig ist von der Einzelrichterin der Drohung, der falschen Anschuldigung und des Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung schuldig gesprochen worden. Er ist mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten bei einer Probezeit von 2 Jahren und 1000 Franken Busse bestraft worden. 87 Tage Untersuchungshaft werden angerechnet. Zudem muss er für die Dauer der Probezeit eine Psychotherapie besuchen. Das Gericht folgte damit den Anträgen der zuständigen Staatsanwältin.

Sein ebenfalls angeklagter Kontrahent, den Anrig – laut Richterspruch – falsch angeschuldigt hat, wurde vollumfänglich freigesprochen. Anrig muss ihm eine Genugtuung von 1000 Franken und die Anwaltskosten von rund 16 000 Franken bezahlen. Hinzu kommen etwa 27 000 Franken Gerichts- und Untersuchungskosten sowie rund 24 000 Franken für seine eigene amtliche Verteidigerin.

Der involvierte Geschäftsführer ist der Ex-Lebensgefährte der Frau, die in besagtem Einfamilienhaus wohnt. Er hatte von ihr den Auftrag, im Garten eine grosse Tanne zu fällen. Dort trafen die beiden Männer aufeinander. In der Untersuchung und im Gerichtssaal waren sie sich uneinig darüber, wer wen mit einer Kettensäge bedroht und wer wen falsch angeschuldigt haben soll. Es stand Aussage gegen Aussage.

Die Staatsanwältin klagte nach dem Grundsatz «in dubio pro duriore» beide an, glaubte aber dem Geschäftsführer, für den sie – trotz Anklage – einen Freispruch forderte.

Als absurde Schutzbehauptungen taxiert die Einzelrichterin in der Urteilseröffnung unter anderem Anrigs Äusserungen, er habe die Situation mit der Motorsäge deeskalieren wollen, die Motorsäge nur als Schutzschild verwendet und nicht gewusst, wie man sie abstelle.

Wenig glaubwürdig sei auch seine Aussage, er habe mit der Kettensäge nur ein Gartenhäuschen zertrümmern wollen. Er sei vielmehr wütend gewesen, weil ihm die Mutter die gemeinsame Tochter nicht habe übergeben wollen und ihn nach Hause geschickt habe.

Die Aussagen des Geschäftsführers seien hingen lebensecht, glaubwürdig und plausibel gewesen. Dass Anrig möglicherweise gar nicht die Absicht hatte, jemanden mit der Motorsäge zu bedrohen – wie er selber behauptet hatte –, spiele keine Rolle. Primär gehe es darum, wie ein solches Verhalten bei anderen Menschen ankomme.

Anrig gilt als Ersttäter trotz rechtskräftigem Urteil

Die Verurteilung wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung ist erfolgt, weil Anrig nach der Untersuchungshaft ein Kontakt- und Rayonverbot erhielt, später aber dagegen verstiess.

Anrig, der stets seinen Glauben als Katholik betont, im Gerichtssaal einen Rosenkranz trägt, hat sechs Kinder von drei verschiedenen Frauen – zwei davon unehelich.

Er war bereits im Januar 2021 vom Bezirksgericht Zürich wegen mehrfacher Nötigung und Hausfriedensbruchs zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt worden. Er hatte eine frühere Partnerin gestalkt und bedroht, zu einem Zeitpunkt, als er noch Offizier der Kantonspolizei Zürich war. Er drohte explizit damit, die Polizeiwaffe zu verwenden.

Am 14. Juni wäre eigentlich die zweitinstanzliche Verhandlung in diesem Fall am Obergericht angesetzt gewesen. Doch Anrig akzeptierte seine erstinstanzliche Verurteilung kurz vor dem Prozess doch noch und zog seine Berufung zurück. Das Urteil des Bezirksgerichts Zürich ist damit rechtskräftig.

Zum Zeitpunkt der Urteilsberatung in Meilen war dieser Rückzug jedoch noch nicht bekannt. Der Meilemer Prozess hatte bereits am 15. Mai stattgefunden. Das Gericht fällte seinen Schuldspruch am 28. Mai, liess sich aber bis zur mündlichen Urteilseröffnung fast vier Wochen Zeit. Deshalb galt Anrig zum Zeitpunkt der Urteilsfällung in Meilen noch als Ersttäter, und die Verurteilung vom Januar 2021 wurde bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt.

Urteile GG230035 und GG230036 vom 28. 5. 2024, noch nicht rechtskräftig.

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