Montag, Januar 27

Hugo von Hofmannsthal reist, um sein inneres Gleichgewicht zu finden, während seine Frau Gerty im Maschinenraum der Beziehung sitzt. Die Schriftstücke des Ehepaares sind Kronjuwelen der Intimität.

Wer ein wahrer Weltbürger werden soll, der wird schon im Zeichen der Krise gezeugt. Just als Hugo von Hofmannsthals künftige Eltern zur Tat schritten, brach die internationale Finanzwirtschaft zusammen. Das Vermögen der Familie war weg, aber der Sohn war da. Der Schock habe ihn zu einem Hypersensiblen gemacht, wird der Dichter später erzählen. Er hat sich selbst stilisiert und seinen Stil aus Intellekt und Nervosität geschöpft.

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Es schadet nicht, wenn das Pathos seiner Selbstinszenierungen entlarvt wird, und schon deshalb ist die Edition der Briefe, die er mit seiner Ehefrau gewechselt hat, eine Grosstat. Hier sieht man den Sprachzweifler beim hemdsärmeligen Handwerk der Ehe und in geradezu sympathischer Verwandlung. Liebt der Dichter, wird er schlichter: «Geliebtestes Engerl, ich dank Dir für Dein gutes Brieferl und die Photografierl. Ich freu mich so sehr, dass du wirst arbeiterln. Ich thu aber auch dichten», notiert Hugo von Hofmannsthal für seine Gerty, «denn wer schreibt Stücki, der hat Geldi.»

Ungleiche Seelenverwandte

Geld war es nicht, das die beiden glücklich machte, denn davon hatten sie sehr wenig. Es war die Liebe, die sich über drei Jahrzehnte erstreckte und bis zum plötzlichen Tod des Schriftstellers währte. Gerty Schlesinger war die Tochter eines höheren Wiener Bankbeamten. Die Hochzeit mit Hofmannsthal im Jahr 1901 bedeutete einen Aufstieg in den Adel und zugleich das Abenteuer einer Ehe zweier seelenverwandter Ungleicher. «Mir ist die Ehe etwas Hohes, wahrhaft das Sacrament – ich möchte das Leben ohne die Ehe nicht denken», hat der Schriftsteller einmal festgehalten. Gerty war sein Anker, er ihr Schiff auf hoher See. Immer unterwegs, eine ideale Bedingung, um Briefe schreiben zu können, wie der 1800-Seiten-Band «Bin ich eigentlich jemand, den man heiraten kann?» zeigt.

Vorhang auf! «So ein Brieferl ist mir wie ein schönes Theater», schreibt Hugo von Hofmannsthal im Sommer 1921 an seine Frau. Dass die jetzt von Nicoletta Giacon sorgsam edierte und grossartig genau kommentierte Korrespondenz dennoch ohne Dramen auskommt, liegt an einer klaren Rollenverteilung. «Das grausig Einsame des Künstlerdaseins» steht der Frau als einer «überschwänglich Hilfreichen, Lastenabnehmenden» gegenüber. Hofmannsthal reist, um sein inneres Gleichgewicht zu finden, während seine Frau die Lasten des Alltags zu tragen hat.

Viele Berichte, die Hugo von Hofmannsthal an seine Frau schickt, sind eine Mischung aus Meteorologie und Gemütswetterlage. «Heute bin ich wieder etwas blöd, übrigens ohne Nervosität», schreibt er aus dem Kurort Semmering. Aus Salzburg berichtet er von «sehr starkem Hitzschnupfen» und «rothem Hals». «Übelkeit, Schneefälle, Herumfahrerei» werden aus München gemeldet. «Gestern stockheiser, ganzen Tag allein im Zimmer» steht auf einer Postkarte aus Berlin.

Der Schriftsteller führt das Leben eines Neurasthenikers. Oft ist er am Rande des Zusammenbruchs und am Ende seiner Nerven. In den Briefen wird die behauptete Erschöpfung mitunter auch zur rhetorischen Figur, zu einem Weltbewältigungsmodell, das das lesende Gegenüber zur Empathie zwingt und es damit in einen Erlebniszusammenhang bringt. So wird die Ferne überbrückt. Nicht nur geografisch, sondern auch substanziell.

Während Gerty von Hofmannsthal am Rand von Wien den Haushalt besorgt und sich um die Kinder kümmert, bleibt Hugo von Hofmannsthal ein reisender Kosmopolit. Er braucht die Anregungen von Städten wie Berlin, Rom, Venedig, Weimar und München oder die Ruhe jener Kurorte, für die die österreichische Monarchie berühmt ist. Aufregung durch seine Ehefrau kann er nicht gebrauchen, und so schlägt er Angebote ihrerseits, ihn doch einmal zu begleiten, gewohnheitsmässig aus.

Das Telefon war ihm suspekt, das geschriebene Wort galt

Aus 973 Briefen, Postkarten und Telegrammen besteht die oft in einer kindlichen Spezialsprache geführte Korrespondenz zwischen Hugo und Gerty von Hofmannsthal. Das alles ist in der jetzigen Edition nachzulesen, und wenn es darin Redundanzen gibt, dann hat das System. Die Schriftstücke des Ehepaares sind Kronjuwelen einer Intimität, die sich ihres heiligen Reichs täglich neu versichert. Im Hin und Her der Briefe ist ein Nebeneinander simuliert, das es im täglichen Leben kaum gibt. Man schreibt einander, als wäre man im Gespräch. Obwohl es zu Beziehungszeiten der Hofmannsthals das Telefon schon gab und ein Apparat sogar in der Villa in Rodaun hing, war ihm diese Technik suspekt.

Das geschriebene Wort war das gültige, obwohl der Briefwechsel keineswegs elaboriert ist, sondern eine Art Jahrhundertwende-Chat-Format. Moderne «partners in crime» könnten ihre digitale Konversation löschen. Weil die Hofmannsthals versäumt haben, ihre Briefe zu vernichten, sind diese trotz den Bedenken der Urheber der Nachwelt erhalten geblieben. An seinen Freund Edgar Karg von Bebenburg schreibt Hofmannsthal, dass er bei Vorausahnung seines Todes alles tun wolle, die «vielen schalen und oft indiskreten Äusserungen», die in Briefen stehen, vor dem Blick der Öffentlichkeit zu schützen, «dieses verwässernde Geschwätz». Und zwar «durch Beiseite-Bringen der privaten Briefe und Aufzeichnungen, Erschwerung des läppischen Biographismus und aller dieser Unziemlichkeiten».

Im Gegensatz zu anderen Schriftstellerbriefwechseln ist Hofmannsthals Korrespondenzverkehr gleich auf mehrfacher Ebene skandalfrei. Hier wird nichts und niemand entblösst. Das Unisono einer glücklichen Ehe hat keinen doppelten Boden, sondern eine bisweilen fast ans Langweilige grenzende Vorbildlichkeit. Der sechzehnjährigen Gerty Schlesinger schreibt der sieben Jahre ältere Verehrer im März 1896 einen ersten Brief, in dem er bescheiden behauptet, auf Antwort nicht zu hoffen. Er zeichnet mit «Ihr Hugo». Dreiunddreissig Jahre später beginnt die letzte Epistel mit der bestens eingeführten, aber immer noch tief empfundenen Formel «Mein liebes Kinderl». Gerty ist damals neunundvierzig.

«Hier ist gutes Essen. Hugo»

Wenn Hugo von Hofmannsthal für etwas berühmt war, dann dafür, dass das Fin de Siècle mit all seinen Versicherungen durch ihn höchstpersönlich hindurchgegangen zu sein scheint. Mit ersten Textproben erstaunt der hochbegabte Teenager, der unter dem Pseudonym «Loris» schreibt, die berühmten Literaten Wiens. Später wird er mit der Sprachkrisen-Poetologie seines «Lord Chandos»-Briefes Furore machen. Mit Opernlibretti und mit Stücken wie «Jedermann», «Der Schwierige» oder «Der Turm».

Schon die Familie des Vaters hat in Wirtschaftskrisen immer wieder Geld verloren, und der Schriftsteller selbst wird durch seine künstlerischen Unternehmungen nicht reich. Die Villa, die er mit Gerty und der Familie in Rodaun, am Rand von Wien, bewohnt, ist in bedauerlichem Zustand. Hofmannsthals Reisen sind klandestine Fluchten, Expeditionen auf der Suche nach den Idealreichen der Kunst. Er will Orte zum Schreiben finden, und es gehört zu seiner psychosomatischen Natur, dass das leibliche Wohl dabei nicht zu kurz kommen darf. «Kleines Nachtmahl, Schinken u ½ Fachinger auf dem winzigen Schreibtisch, und dabei so einen guten Kopf, sowohl für das Politische als für andere Dinge», schreibt der Dichter aus Berlin. «Hier ist gutes Essen. Hugo», steht auf einer Ansichtskarte aus Ragusa, die einen Passagierdampfer zeigt. Arthur Schnitzler schickt auch herzliche Grüsse mit.

Sich für Politik interessieren zu sollen, war für Hugo von Hofmannsthal eine gelinde Überforderung. Weil er mit seiner Konstitution kaum wehrtauglich war, wird er kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs ins Wiener Kriegsfürsorgeamt versetzt und schreibt in der Etappe statt Belletristik bellizistische Propaganda. Seine Frau lässt er im Herbst 1914 wissen, dass der Feind nur «um der niederträchtigen Überzahl willen» auf polnischem Gebiet die ersten Siege einfährt. Es gibt «ungeheure Opfer», aber: «Man muss es halt ertragen, und wenn noch Schwereres kommt, wird man es auch ertragen müssen.»

Gerty von Hofmannsthal sitzt im Maschinenraum der Beziehung. Sie ist Hausfrau, Mutter der drei gemeinsamen Kinder und Sekretärin des Schriftstellers. Umsichtig leitet sie wichtige Post weiter und bekommt dafür in einem Brief-PS Lob vom Ehemann: «Wie rührend brav du alles besorgst! So viele Sachen!» Die Anteilnahme aus der Distanz ist einerseits echt, hat andererseits aber auch eine verräterische Komik. Aus dem Hotel Prinz Friedrich Carl in Berlin sorgt sich Hofmannsthal postalisch: «Dass du nie von selber einschläfst, das versteh ich ganz gut: Das kommt von deiner gräulichen Lebensweise, ohne Spazierengehen, ohne frische Luft. Das kann kein Mensch aushalten.» Gerty berichtet von eintönigen Tagen, die mit dem Nachwuchs gefüllt sind, und bekommt aus der Ferne ausreichend Ermunterung: «Schreib recht genau über die Kinder.» Vor allem der melancholische Sohn Franz, der später mit seinem Selbstmord ein tragisches Ende nehmen sollte, macht Gerty zu schaffen.

Gertys ironische Demut

Um sich in der Liebe auf Augenhöhe zu begegnen, braucht es solches offenbar nicht auch noch im sonstigen Beziehungsalltag. Das Ehepaar Hofmannsthal liefert in den Briefen Anzeichen dafür, dass man in Sachen Libertinage modern ist und sich seine Freiheiten gönnt. Andere emanzipatorische Möglichkeiten scheinen allerdings etwas zu kurz zu kommen. Das Gefälle bleibt, und Gerty richtet sich in ironischer Demut darin ein. Aus Frankfurt schreibt der Dichter, er sei froh, «dass du so selbständig bist, das ist so herzig, ganz wie ein Grosses benimmst du dich, das gefallt mir sehr».

Gertys Grösse liegt darin, dass sie sich nicht unterkriegen lässt. Ihre Liebesbriefe sind genauso anrührend, wie sie den Alltagskram in pragmatischer Nüchternheit rapportiert. «Mein liebstes Kleines» nennt sie ihren Ehemann. Sie holt ihn damit zielsicher vom hohen Ross der Kunst, um sich selbst in Poesie zu versuchen: «Unser Leben kommt mir wie etwas schönes Geschlossenes vor», schreibt Gerty im Jahr 1900 an Hugo von Hofmannsthal. «Deine Briefe sind auch so wie geschlossene Teile aus einem grossen Ganzen, so wie Sternschnuppen vom Himmel!» Am Firmament aller Ehen strahlte diese besonders hell. Dass sie ganz plötzlich verglühen musste, als Hugo von Hofmannsthal bei den Vorbereitungen zum Begräbnis seinen Sohnes Franz an einem Schlaganfall starb, hat deshalb eine besondere Tragik.

Gerty von Hofmannsthal und Hugo von Hofmannsthal: «Bin ich eigentlich jemand, den man heiraten kann?» Briefwechsel 1896–1929. Herausgegeben von Nicoletta Giacon. Mit einem Nachwort von Ursula Renner. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main. 1840 S., Fr. 115.90.

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