Sonntag, September 29

In einem Zürcher Dörfchen misshandelt ein Mann während Monaten seine Hausangestellten. Jetzt steht er vor Gericht.

Als Anna Costa (Name geändert) das Angebot sieht, ist sie in einer prekären Lage. Die Filipina, 22-jährig, arbeitet als Au-pair im Tessin. Aber ihre Stelle ist befristet, ihre Aufenthaltsbewilligung läuft bald ab. Da sieht sie auf der Website geataupair.com ein Inserat, geschaltet von «Ramona».

«Ramona» sucht eine Putzfrau für einen Haushalt in der Region Zürich. Auf Nachfrage verspricht sie im Fall eines Vertragsabschlusses das, was Costa am dringendsten braucht: eine Aufenthaltsbewilligung.

Costa ist erleichtert, bewirbt sich – und erhält die Zusage. Was sie da noch nicht weiss: Der angebliche Putz-Job wird sie am am Ende um alles bringen: ihre Freiheit, ihre Würde, ihren Pass. Und um das Gefühl, je wieder einem Schweizer vertrauen zu können.

Denn «Ramona» ist keine seriöse Personalvermittlerin. «Ramona» ist auch keine Frau. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich ein heute 46-jähriger Mann, ein IT-Fachmann mit Einfamilienhaus und Swimmingpool, der in der Freizeit gerne wandert. Ein Mann mit dem Wunsch, wehrlose Frauen in seine Gewalt zu bringen.

Anna Costa ist eine Frau, wie es in der Schweiz Tausende gibt. Wie viele es genau sind, weiss niemand. Temporäre Arbeitskräfte aus Asien, Afrika, Südamerika suchen hierzulande Arbeit und landen aufgrund abgelaufener Aufenthaltsbewilligungen in der Illegalität. Als Sans-Papiers werden sie ausgenutzt oder gar zu Opfern von Menschenhandel.

Doch was Gustav Wohlenweber – ein weiteres Pseudonym, das er zur Täuschung einsetzt – ihr und einer anderen Frau antut, ist selbst für einen Menschenhandelsfall aussergewöhnlich.

Die Falle

Es beginnt mit einem Vertrag, den er Anna Costa schickt, kurz nach ihrer Bewerbung. Darin ist von einer Arbeitsbereitschaft von 24 Stunden am Tag die Rede, von Handyverbot und Kleidervorschriften. Und von einer weiteren seltsamen Bedingung: Die Nacht und, auf seinen Wunsch, auch mehrere Stunden am Tag solle sie «locked in a space» verbringen, eingesperrt in einen Raum. Ohne Toilette, nur mit einem Topf.

Das, schreibt Anna Costa zurück, töne für sie nach Prostitution. Sie könne es nicht akzeptieren.

Sie sucht in der Folge andere Stellen, findet aber keine. Ihre alte Anstellung endet, ihre Aufenthaltsbewilligung läuft ab. Costa hat noch Ersparnisse von rund 300 Franken. Sie spricht kein Deutsch und ist illegal im Land. Sie glaubt, wegen ihres abgelaufenen Visums nicht mehr straffrei in die Philippinen zurückkehren zu können.

Gustav Wohlenweber, damals 39, bearbeitet sie weiter. Er kennt ihre Situation und macht ihr ein verlockendes Angebot: Die inakzeptablen Arbeitsbedingungen gegen eine Ausbildung im Hotelmanagement, inklusive Aufenthaltsbewilligung.

Wohlenweber erfindet dafür eigens eine Schule, die «International Maids School». Er programmiert für sie eine fingierte Website und schreibt Costa unter dem Namen «Tamara Bucher» von dort aus eine Nachricht.

«Tamara Bucher» ist angeblich die Sekretärin der «Maids School». Sie stellt Costa einen neuen Vertrag zu, der ein paar kosmetische Verbesserungen enthält, im Wesentlichen aber dem alten entspricht. Alles okay, alles Teil der Ausbildung – das ist die Botschaft.

Und Anna Costa? Unterschreibt immer noch nicht, lässt aber zu, dass Wohlenweber sie mit dem Auto im Tessin abholt. Es ist Juli 2018, heiss und schwül, als die beiden nach Norden fahren, durch die schneebedeckten Alpen.

Auf dem Lukmanierpass hält Wohlenweber plötzlich an. Allein mit Anna Costa, inmitten der abgelegenen Berglandschaft, fordert er, sie solle den Vertrag unterschreiben. Und Costa sieht keine Alternative. Sie unterschreibt.

Der Käfig

Die beiden fahren weiter, bis in jenes Dorf im Bezirk Andelfingen, wo Wohlenweber mit seiner über zehn Jahre jüngeren Frau wohnt. Dort erwartet Anna Costa ein grosses Haus mit grosszügigem Pool – und ein Käfig.

Der Käfig ist 1.7 Meter lang, 1.17 Meter breit und zwischen 0.95 und 1.1 Metern hoch. Costa kann darin nicht stehen. Es gibt kein Fenster. Die Wände sind aus Beton und Holz. Und anstelle einer Tür ist da ein Gitter aus Metallstäben.

Drinnen hat es eine Matratze und eine Lampe. Der Käfig, erfährt Anna Costa, ist von nun an ihr Zuhause. Insgesamt 15 Stunden muss sie jeden Tag darin verbringen, vier am Nachmittag und elf in der Nacht. Die Tür, mit einem elektronischen Schloss gesichert, können nur Wohlenweber und seine Frau öffnen.

Letztere wird den Käfig später mit dem Zimmer eines «Kapsel-Hotels» vergleichen. «Ein Zimmer von der Grösse einer Matratze», wird sie sagen. «Das gibt es in Japan und sogar in Zürich.»

Für Anna Costa ist die Situation das Gegenteil eines Hotelaufenthalts. Sie wird in den darauffolgenden Monaten zu einer Gefangenen. Pass, Laptop und Handy nimmt Wohlenweber ihr ab. Letzteres darf sie nur sporadisch haben – unter der Bedingung, dass sie den PIN-Code deaktiviert und er jederzeit kontrollieren kann, was sie wem schreibt.

Im Käfig ist Costa ständig videoüberwacht. Auch was sie tragen darf, schreibt ihr Peiniger vor: am Tag eine Dienstmädchen-Uniform, in der Nacht weisse Unterwäsche.

Und dann sind da noch die Fesseln. Ab Tag zwei nach ihrer Ankunft muss Costa während ihrer Zeit im Käfig Hand- und Fussfesseln tragen. Dazu ein Lederhalsband mit Metallring. Daran hängt eine Kette, die manchmal mit den Fussfesseln verbunden wird.

Das Rätsel

Am Tag schuftet die junge Frau als Bedienstete. Sie kocht, putzt, serviert. Das Haus darf sie während der Arbeit nicht verlassen, es sei denn, sie muss zum Beispiel den Müll hinausbringen.

Begeht sie einen Fehler, setzt es eine Strafe – etwa, wenn sie zu spät in den Käfig geht oder vergisst, die Katze zu füttern. Dann fesselt Wohlenweber ihr die Hände auf dem Rücken, verkürzt die Verbindungskette zwischen Hand- und Fussfesseln oder sperrt sie noch länger in den Käfig.

Fast zehn Monate lang geht das so. Während dieser Zeit hat Costa auch regelmässig einen freien Tag, an dem sie das Haus verlassen darf. Warum rennt sie nicht davon? Warum beginnt sie irgendwann, auf Geheiss ihres Chefs, sich die Ketten selbst anzulegen, die Käfigtür selbst zu schliessen?

Da ist zum einen ihre angebliche Ausbildung. Die Abhärtung sei Teil des normalen Unterrichts, wird ihr mitgeteilt, andernorts seien die Regeln noch strenger. Wohlenweber erfindet ein Lügengebilde aus Lernmaterialien und Prüfungen, die Costa absolvieren muss und die oft zu weiteren Strafen führen.

Zum anderen ist da ihr Aufenthaltsstatus. Einen Monat nach ihrer Ankunft im Haus protestiert Costa gegen ihre Arbeitsbedingungen. Sie wolle nicht mehr im Käfig übernachten, sagt sie. Wohlenwebers Antwort: Dann werde er die Polizei über ihren illegalen Aufenthalt informieren.

Einige Monate später wird es noch perfider: Der Mann fälscht eine Verfügung und einen «Rekursantrag» des Zürcher Migrationsamts und legt sie Costa vor. Darin steht: Sie müsse in drei Tagen das Land verlassen – ausser sie akzeptiere einen Arrest in seinem Haushalt.

Psychisch am Ende fügt sich Anna Costa ihrem Schicksal – bis sie es nicht mehr aushält. Und sich im April 2019 selbst befreit.

Die Strafe

Fünf Jahre später, Bezirksgericht Andelfingen. Gustav Wohlenweber ist keine Spur von Reue anzusehen. Er sieht aus wie der nette Nachbar von nebenan. Brille, Glatze, Bärtchen, untersetzte Statur. Vorgeworfen werden ihm Menschenhandel und Freiheitsberaubung, Urkundenfälschung und Förderung von rechtswidrigem Aufenthalt in der Schweiz – mit der Absicht sich zu bereichern.

Punkt für Punkt listet der vorsitzende Richter die Vorwürfe auf: die Täuschung von Costa, die fingierte Ausbildung, wie er ihre Situation ausnützte. Und warum er das tat: um seine sadistischen Fantasien zu befriedigen.

Darauf sagt Wohlenweber meist nur eines: «Ich anerkenne den Sachverhalt.» Er sagt es ruhig, fast stoisch. Und doch kann er sich zwischendurch relativierende Äusserungen nicht verkneifen.

«Spitz formuliert», sagt er dann über einen Vorwurf. «Sodom und Gomorrha» nennt er, was in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft steht. «Den Begriff Zwang würde ich nicht erwähnen», meint er einmal zum Richter. Anna Costa habe zum Lernen im Käfig sein wollen, behauptet er.

Und doch sagt er am Ende zu allen Vorwürfen: Ja, sie träfen zu.

Dieses Geständnis hat einen Grund: Wohlenwebers Anwalt Valentin Landmann hat mit der Zürcher Staatsanwaltschaft einen vorteilhaften Deal für ihn ausgehandelt: ein Geständnis gegen eine milde Strafe. Neben einer Geldstrafe und einer Verpflichtung zur psychiatrischen Therapie soll er eine Freiheitsstrafe von drei Jahren erhalten. Tatsächlich absitzen müsste er davon neun Monate.

Anna Costa wurde während fast zehn Monaten eingesperrt. Eine zweite Frau aus Brasilien während eines Monats, unter denselben Bedingungen.

Auch ihr hatte Wohlenweber eine Aufenthaltsbewilligung versprochen, und «Deutschunterricht auf höchstem Niveau». Auch sie landete 15 Stunden am Tag im Käfig, arbeitete den Rest der Zeit für 800 Franken Monatslohn, durfte in der Nacht nur weisse Unterwäsche und durchsichtige Strumpfhosen tragen.

Richter: «Ihnen wird vorgeworfen, Sie hätten durch das nicht einvernehmliche Setting Befriedigung erlangt

Wohlenweber: «Das ist interessant, wie viel diese Anklageschrift über mich zu wissen scheint. Aber ich anerkenne den Sachverhalt.»

Richter: «Es ging ihnen auch um finanziellen Vorteil. Eine Sado-Maso-Sklavin oder Haushaltshilfe wären viel teurer geworden.»

Wohlenweber: «Stimmt, aber wie viele Schweizer können heute jeden Monat 800 Franken zur Seite legen? Es war sonst alles bezahlt. Ich will aber nicht bestreiten, dass ich einen grossen Fehler gemacht habe.»

Die Flucht

Anna Costas Befreiung kommt spät. Und doch wird sie es sein, die Gustav Wohlenwebers Treiben schliesslich ein Ende bereitet.

Es beginnt mit einem E-Mail, das sie dem Zürcher Migrationsamt schreibt. Ob für sie ein Visum beantragt worden sei, fragt sie darin. Die Antwort: Nein. Da habe sie realisiert, dass er sie betrogen habe, sagt Costa laut den Tamedia-Zeitungen später aus. Um andere Frauen vor demselben Schicksal zu bewahren, sei sie zur Polizei gegangen.

Es wird es noch drei Monate dauern, bis diese Wohlenwebers Haus stürmt, um sechs Uhr früh an einem Juli-Morgen. Dort findet sie, schlafend im Käfig, die 30-jährige Brasilianerin. Sie wurde kurz nach Costas Flucht dort einquartiert.

Vor Gericht sieht Wohlenweber vor allem sich selbst als Opfer. Er habe 130 000 Franken Schulden wegen seiner Zeit in Untersuchungshaft. Suizidgedanken plagten ihn. Auch seinen Job habe er wegen des Verfahrens verloren. Nun arbeite er zwar wieder und führe ein Team mit 60 Leuten. Ein Strafregistereintrag würde das jedoch gefährden.

Er sagt: «Wenn ich durch die Medienberichterstattung meine Stelle verliere, finde ich höchstens noch etwas als Würstchenverkäufer.»

Ein psychiatrisches Gutachten hat ihm eine Persönlichkeitsstörung inklusive sadomasochistischer narzisstischer Tendenzen bescheinigt. Er bleibt laut Gutachten allerdings voll für seine Taten verantwortlich. Wohlenweber sagt, die Therapie in einer spezialisierten Psychiatrie helfe ihm. Und obwohl das Gutachten ihm eine hohe Rückfallgefahr attestiert, versichert er: Er wolle seine Neigungen nicht mehr ausleben.

«Ich würde das mit dem Fesseln nicht mehr machen», sagt er vor Gericht. «Ich kann das nicht mehr ausleben. Man kann einen Vertrag machen, in den beide einwilligen. Und danach kann trotzdem jemand kommen und sagen, dass es nicht so gemeint war.»

Neben ihm steht auch seine Frau vor Gericht. Sie soll als Gehilfin ihres Mannes zur Freiheitsberaubung der Frauen beigetragen haben, auch indem sie Anna Costas Vertrauen erschlich und missbrauchte. Das Urteil über beide wird für Mittwochnachmittag erwartet. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung.

Anders als Wohlenweber ist seine Frau, heute Anfang 30, nämlich nicht geständig. Vor Gericht bricht sie immer wieder in Tränen aus. Sie sagt: «Ich habe meinem Mann einfach vertraut.»

Als sie 2016 zu ihm zog, sei der Käfig schon im Haus gewesen. «Deshalb denke ich, dass davon schon eine Frau dort drin war.» Anna Costa sei dann die erste gewesen, bei der sie es selbst erlebt habe.

Dass diese nicht freiwillig hinter Gittern lebte, habe sie nicht gewusst. «Anna war im Käfig, sie hat sich nie beklagt.» Oft, sagt sie, hätten sie zusammen gelacht.

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