Sonntag, September 8

Die Methode, Todeskandidaten mit Stickstoff hinzurichten, ist noch nicht erprobt und hoch umstritten. Gegner sehen eine «grausame und ungewöhnliche» Bestrafung.

Im November 2022 war Kenneth Eugene Smith schon einmal in der Hinrichtungskammer gewesen. Festgeschnallt auf einer Pritsche in einem Gefängnis im amerikanischen Gliedstaat Alabama, sang er leise für sich «I’m not alone», während die Beamten versuchten, ihm einen intravenösen Zugang zu legen. Durch diesen sollten die tödlichen Medikamente fliessen. Es gelang ihnen, eine Kanüle zu legen, doch für einen notwendigen zweiten Zugang fanden sie keine passende Vene. Stundenlang stachen sie immer wieder mit der Nadel in Smiths Körper. Sie drehten die Pritsche, so dass Smith mit dem Kopf nach unten und mit den Füssen zur Decke hing. Nichts half. Weil der Hinrichtungsbefehl um Mitternacht ablief, mussten sie die Exekution abbrechen.

Veterinäre lehnen Methode bei Säugetieren ab

Das Schicksal von Kenneth Eugene Smith, der 1988 als 22-Jähriger an einem Auftragsmord beteiligt war, bewegt in diesen Tagen wieder viele Amerikaner. Denn für diesen Donnerstag ist ein neuer Hinrichtungstermin angesetzt. Umstritten ist dabei vor allem die Methode. Denn Smith soll durch Stickstoffhypoxie getötet werden. Dabei wird dem Verurteilten eine Gesichtsmaske aufgezogen und Stickstoff zugeführt. Der Tod tritt dann durch Sauerstoffmangel ein. Es ist das erste Mal, dass ein Gefangener in den USA mit dieser Methode hingerichtet werden soll.

Die Idee, Todeskandidaten mit Stickstoff hinzurichten, war 2014 in Oklahoma aufgekommen. Hintergrund waren misslungene Versuche, Todeskandidaten durch Giftspritzen zu töten, und ein Engpass an Medikamenten. Auch in Alabama stimmten die Gesetzgeber kurz danach für die Gasmethode, die immer dann zum Einsatz kommen könne, sollten Medikamente für letale Injektionen ausgehen oder verfassungswidrig werden. Trip Pittman, Senator aus Alabama, der den Gesetzesentwurf einbrachte, verglich die Methode mit dem Druckverlust in der Kabine eines Flugzeugs, bei dem die Passagiere ohnmächtig würden. Stickstoffhypoxie sei «die humanere Option», sagte er laut amerikanischen Medien.

Mediziner widersprechen solchen Vorstellungen vehement. Keineswegs gleite eine Person einfach in Bewusstlosigkeit und dann in einen schmerzlosen Tod über. Die Amerikanische Tierarztvereinigung (Avma) erklärt in ihren Richtlinien das Verfahren für die Euthanasie von Säugetieren als ungeeignet, mit gewissen Ausnahmen bei Schweinen. Bei einem 35 Kilogramm schweren Schwein, das Stickstoffgas eingeatmet habe, daure es sieben Minuten, bis sein Tod komme.

Joel Zivot, Professor für Anästhesiologie an der renommierten Emory-Universität, verglich in «Mother Jones» diese Hinrichtungsmethode damit, jemandem eine Tüte über den Kopf zu stülpen und davon auszugehen, dass dieser dabei ruhig und einverstanden bleibe, während er ersticke. Wahrscheinlicher sei es, dass der Tod des Häftlings weder leicht noch ruhig eintrete. Der Häftling werde wohl Kopfschmerzen bekommen, danach werde die Atmung schneller, die Person verfalle in einen Zustand der Starre, bekomme dann einen Krampfanfall, bevor sie bewusstlos werde und schliesslich sterbe. Dieser Tod könne eine Weile dauern.

Bis zuletzt hatten die Anwälte von Smith alles versucht, die Hinrichtung zu verhindern. Sie argumentierten, dass Smith zu einer Art Versuchskaninchen für die neue Hinrichtungsmethode werden sollte, es gebe zu viele offene Fragen. Doch am Mittwochabend schwand dann jede Hoffnung. Im Urteil des Berufungsgerichts heisst es, es gebe keine Belege, dass die Anwendung von Stickstoffhypoxie als neuartige Methode eine «grausame und ungewöhnliche» Bestrafung sei.

Auch Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen und von Amnesty International warnten vor der Möglichkeit eines grausamen Tods. Die Forderung von Demonstranten, die Hinrichtung zu stoppen, fand bei Alabamas Gouverneurin Kay Ivey kein Gehör.

Verpfuschte Hinrichtungen kommen Folter gleich

Der Fall von Kenneth Eugene Smith ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. 1988 ermordete der damals 22-Jährige Elizabeth Dorlene Sennett. Ihr Ehemann, ein Pastor, hatte den jungen Smith beauftragt, seine Frau für 1000 Dollar zu töten. Im Prozess gegen Smith stimmten 1996 die Geschworenen mit elf zu einer Stimme dafür, Smith nicht zum Tode, sondern zu einer lebenslangen Haftstrafe ohne Möglichkeit auf Bewährung zu verurteilen. Doch ein Richter setzte sich über die Geschworenen hinweg und ordnete die Todesstrafe an. Diese Praxis ist mittlerweile in den USA verboten. Über Jahre hatten Smiths Anwälte versucht, den Entscheid des Richters anzufechten, doch erfolglos.

Und auch mit ihren Einsprüchen wegen des misslungenen ersten Hinrichtungsversuchs vom November 2022 hatten sie keinen Erfolg. Smith war nicht der erste Todeskandidat, bei dem die Sicherheitsbeamten keine passende Vene finden konnten. Bereits im September 2022 war die Hinrichtung von Alan Eugene Miller gescheitert, dessen Anwälte nannten ihn daraufhin den «einzigen Hinrichtungs-Überlebenden».

Im Juli 2022 war in Alabama Joe Nathan James hingerichtet worden. Auch hier war stundenlang versucht worden, eine Kanüle zu legen, bis ihm die Beamten den Arm in einem sogenannten «cutdown» aufschlitzten. Auch aus anderen Staaten wurden ähnliche Fälle berichtet. Ein Problem könnte darin liegen, dass viele der Todeskandidaten bereits älter sind und es daher schwieriger ist, eine geeignete Vene für den Zugang zu legen.

Die Gruppe «Reprieve US», die sich im Kampf gegen die Todesstrafe engagiert, sagte damals, die verpfuschten Giftspritzen-Hinrichtungen kämen einer Folter gleich: «Die jüngste Flut von katastrophalen Hinrichtungen mit der Giftspritze hat gezeigt, dass die Verurteilten, unabhängig von der Art des Medikaments und des Protokolls, ihre letzten Stunden oft unter grossen Schmerzen und Qualen verbringen.»

Posttraumatische Belastungsstörung

Diese Schmerzen und Qualen nach dem misslungenen Versuch führten bei Kenneth Eugene Smith zu einer posttraumatischen Belastungsstörung. Laut seinem Gefängnispsychiater leidet er unter Schlaflosigkeit, Angstzuständen und Depressionen. Nun findet sich Smith bereits zum zweiten Mal vor der Hinrichtungsprozedur. In einem Telefonat in dieser Woche mit der britischen Zeitung «Guardian» sagte Smith, er sei nicht bereit, zu sterben. Er verglich seine Situation mit der eines Missbrauchsopfers, das vom Täter erneut in die traumatisierende Situation gezwungen würde: «Eine Person, die das tut, würde wahrscheinlich als Monster angesehen werden», sagte er. «Aber wenn die Regierung das tut, dann ist das etwas anderes.»

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