Mittwoch, Oktober 23

Hans Weiss wehrte sich ein Leben lang gegen die Zerstörung unserer Landschaften – und erreichte Erstaunliches. Nun ist er 84-jährig gestorben.

Wer mit Hans Weiss durch die Schweiz reiste, schaute sie danach anders an. Er machte auf das unscheinbar Schöne aufmerksam, aber auch auf das strotzend Hässliche, das man gerne verdrängt: die Zumutungen der Zersiedelung und Zubetonierung. Er war ein Landschaftserklärer oder mehr noch: ein Aufklärer. Er beobachtete, wertete und mischte sich ein. Er war ein Missionar, hartnäckig und leidenschaftlich, aber nie ein Eiferer. Das verbaten ihm seine Besonnen- und Bescheidenheit. Doch es ging um viel. Seinen grossen Kampf führte Hans Weiss gegen die «friedliche Zerstörung» des Landes – und trug damit zum heutigen Aussehen der Schweiz bei.

«Es ist noch nicht alles vercheibed», sagte er vor ein paar Jahren in einem Interview, das wir auf seinen Wunsch auf einer Wanderung in stotzigem Gelände führten. «Und es gibt weiterhin viel, wofür es sich zu kämpfen lohnt.» Die schöne Landschaft sah er als wichtigste Ressource, «weil sie unersetzbar ist und, einmal zerstört, zerstört bleibt, praktisch für immer.» Nur: «Wieso tragen wir ihr so wenig Sorge?»

Bizarre Bauprojekte verhindert

Das Interesse für intakte Landschaften hatte Tradition in der Familie des 1940 geborenen Hans Weiss. Sein Vater, Richard Weiss, war ein international bekannter Professor für moderne Volkskunde, der in der Schweiz die Sitten und Siedlungen der Menschen kartierte, auch in den hintersten Bergtälern. Sein Urgrossvater Ludwig Forrer war ein freisinniger Bundesrat und eröffnete 1913 in Bern die erste Weltnaturschutzkonferenz überhaupt. Der Weg, den Hans Weiss einschlagen sollte, war damit nicht vorgegeben, aber vielleicht vorskizziert.

Er liess sich zum Primarlehrer ausbilden und schloss darauf ein ETH-Studium als Kulturingenieur ab. 1968, als viele Studenten die Welt verändern wollten, zog er nach Chur. Dort hatte der Kanton Graubünden gerade ein Amt für Landschaftsschutz geschaffen, eher widerwillig, eine Vorgabe «aus Bern». Statt nur die Böschungen neuer Autobahnabschnitte mit der richtigen Sorte Gras zu begrünen, mischte sich Hans Weiss bald in die Raumplanung der Gemeinden ein – und bodigte als Beamter Bauvorhaben, über die man heute nur noch den Kopf schütteln kann.

Im Oberengadin war die ganze Ebene zwischen Silvaplaner- und Silsersee sowie das Fextal als Bauzone freigegeben worden. Ohne den von Weiss schweizweit mitorganisierten Widerstand und das Eingreifen des Kantons Graubünden wäre dieses Juwel der Alpen verschandelt worden. Und bei Rhäzüns hätte eine vierspurige Autobahn mitten durch die prächtige Auenlandschaft des Hinterrheins führen sollen. Weiss sorgte dafür, dass der Direktor des Bundesamts für Strassen einen Augenschein vor Ort nahm – und den ursprünglichen Plan kurzfristig über Bord warf: Die A 13 musste mit einem Tunnel durch den Berg gelegt werden.

Später amtete Weiss als erster Geschäftsführer der Stiftung für Landschaftsschutz, einem Werk der Bürgerlichen: Gründungspräsident war Ruedi Schatz, ein freisinniger Nationalrat, Teilhaber der Bank Wegelin und Alpinist. Weiss, der sich als bürgerlicher Nonkonformist verstand, suchte politisch breit abgestützte Allianzen. Er schrieb Bücher und Artikel, oft auch in der NZZ, hielt Vorträge über den «Nutzen des Nichtnutzens» und gegen die Verschandelung der Schweiz. Er gestaltete die eidgenössische Raumplanung mit, prägte Gesetze und Verordnungen.

Weitsichtige Planung statt Wildwuchs

Die Touristiker von heute dürfen Hans Weiss dankbar sein: Er konnte verhindern, dass die damals noch wenig bekannte Greina-Hochebene durch einen Stausee überflutet wurde. Als im Salgesch im Walliser Rhonetal die traditionellen Rebberge plattgemacht werden sollten für den industriellen Weinbau, ging Weiss bis vor Bundesgericht. Berühmt ist auch der Fall Galmiz: Zwischen Murten-, Bieler- und Neuenburgersee, mitten im Landwirtschaftsgebiet, erklärte die Freiburger Regierung die Fläche von 77 Fussballfeldern zur Industriezone – auf Wunsch eines amerikanischen Pharmakonzerns, der dort einen Firmensitz aus dem Boden stampfen wollte. Weiss organisierte den Protest gegen diesen «Super-GAU der Raumplanung», die Firma zog sich zurück.

Wo ein Anwalt der Landschaft gefragt war, setzte sich Hans Weiss ein, während eines halben Jahrhunderts. «Nie allein, immer mit vielen Mitstreitern», wie er betonte. Seinen Gegnern galt er als Querulant, Verhinderer, Ewiggestriger. Er nahm die Kritik gelassen. Er stemme sich nicht gegen die Zukunft, sagte er, aber «es braucht gesunden Menschenverstand» bei der Gestaltung. Die Verhältnismässigkeit war für ihn zentral: Wie viel intakte Natur soll etwa geopfert werden für ein paar Gigawattstunden mehr Strom? Er plädierte für Bauten, wo es bereits Infrastruktur hatte, für eine koordinierte, weitsichtige Planung statt des schnellen Wildwuchses – und für mehr Effizienz und Sparsamkeit.

Die Entwicklungen der letzten Jahre behagten ihm nicht. Er sah einen schleichenden «Abbau von Errungenschaften» im Landschaftsschutz, gerade in der Raumplanung und beim Beschwerderecht. Bis zuletzt blieb er kämpferisch, nahm öffentlich Stellung, etwa im Komitee gegen das Stromgesetz.

Vor einigen Tagen ist Hans Weiss, 84-jährig, in Piemont an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben.

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