Samstag, April 26

Während Jahren nutzt der Gitarrist einer Zürcher Band eine Tänzerin und eine Managerin aus.

Als Joshua Jones (Name geändert) 2009 in die Schweiz kommt, hat er einen Traum: Er möchte in die Kulturbranche einsteigen und sich kreativ verwirklichen. Dazu gründet er ein Unternehmen für Filmproduktionen, mit dem er ein Projekt in Brasilien realisiert.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Dass seine Karriere am Zürcher Bezirksgericht endet, ahnt er damals noch nicht.

Nach dem Film wendet sich Jones der Musik zu. Mit zwei Frauen ruft er 2012 eine Rockband ins Leben, deren Songs er selbst schreibt. Die Gruppe probt regelmässig in einer kleinen Zürcher Gemeinde – und erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Man spielt mehrere Alben ein und hat bald Fans auf der ganzen Welt.

2019 begibt sich das Quartett und seine Entourage auf eine zweimonatige Tournee. Eine Tänzerin wird angestellt. Die 19-jährige Französin soll die Darbietungen der Gruppe ergänzen. Sie erhofft sich von dem Engagement ihren Durchbruch als Künstlerin. Doch für sie wird die Band zu einer Qual – genau wie für die Managerin und die Sängerin der Gruppe.

Jones zahlt keine Löhne. Stattdessen sammelt er alle Einnahmen der Gruppe auf seinem Konto. Wer Kleider oder Nahrungsmittel beschaffen möchte, muss ihn um Erlaubnis bitten, die Kreditkarte benutzen zu dürfen. Und: Jones nutzt die finanzielle und emotionale Abhängigkeit der Frauen aus, um sexuelle Handlungen von ihnen zu verlangen.

Am Freitag musste er sich wegen mehrfacher sexueller Nötigung und mehrfacher Ausnutzung einer Notlage vor Gericht verantworten.

«Man kann das als Kind nicht einordnen»

Joshua Jones kommt 1973 in Neuseeland zur Welt und wächst in einer christlichen Sekte auf. Die Sitten in der Gemeinschaft sind so eigenartig wie problematisch. Die Mitglieder leben ihre Sexualität freizügig aus. Mit wechselnden Partnern – und sie beziehen auch Kinder ein.

Im Alter von vier Jahren wird der Bub erstmals Opfer von sexuellen Übergriffen.

Daneben machen ihm die Umzüge der Familie zu schaffen. Zuerst wandert sie in die Philippinen aus, dann nach Japan, später nach Australien. Während der ganzen Zeit wächst Joshua in der geschlossenen Gemeinschaft der Sekte auf. Zur Aussenwelt hat er nur selten Kontakt: Nach der Schule muss er missionieren gehen und Fremde von den Idealen der Sekte überzeugen.

Mit zwölf Jahren gilt er in der Sekte als volljährig. Von da an wird Joshua Jones regelmässig sexuell missbraucht.

Vor Gericht spricht der heute 51 Jahre alte Mann nur das Nötigste. Über seine Kindheit sagt er auf Englisch: «Wenn man so aufwächst, denkt man, das sei normal. Man kann diese Dinge als Kind nicht einordnen.» Erst im Alter von 35 Jahren sei es ihm gelungen, sich von der Sekte loszusagen.

Eine Sklavin werden, um ein besserer Mensch zu sein

In diesen traumatischen Erlebnissen sieht ein psychiatrisches Gutachten, das das Gericht hat anfertigen lassen, die Erklärung für Jones’ späteres Verhalten: Er sei in einem Umfeld sozialisiert worden, in dem Nähe eng an Grenzüberschreitungen geknüpft gewesen sei. Stabile, gleichberechtigte Beziehungen zwischen zwei Erwachsenen habe er nie gekannt.

Als Erwachsener verhält er sich also so, wie er es von den erwachsenen Sektenmitgliedern gelernt hat. In der Band ist Jones in jeder Hinsicht der Guru. Er gibt die Ausrichtung der Gruppe vor, schreibt die Texte, organisiert die Auftritte – und wird auch ausserhalb des Arbeitsalltags zur dominanten Figur.

Nach den Proben lädt er seine Mitmusikerinnen zu Getränken ein. Er inszeniert sich als Lebensberater und spirituelle Führungsfigur. Er hält lange Vorträge und weist die Frauen an, den Kontakt zu Freunden und Verwandten abzubrechen. Stattdessen sollen sie täglich beten – doch dabei bleibt es nicht. Immer wieder hält er sogenannte «yelling sessions» ab. Er schreit die Frauen minutenlang an. In Einzelfällen dauern die «sessions» bis zu 5 Stunden.

Jones ist überzeugt, dass er den Frauen damit einen Gefallen tut. Er lässt sie glauben, dass er den «spirituellen Krebs» heile, an dem sie angeblich litten. Dass er «böse Geister» zu vertreiben vermöge. Zu einer von ihnen sagt er auch: Sie müsse lernen, sich als Sklavin zu sehen, wenn sie ein besserer Mensch werden wolle.

Als Lohn für die «harte Arbeit», wie Jones seine Schrei-Therapie bisweilen nennt, fordert er immer wieder manuelle und orale Befriedigung. Zwischen 2020 und 2022 verlangt er von den Bandkolleginnen ausserdem immer wieder Geschlechtsverkehr – zum Teil direkt im Proberaum.

Er tut dies, obwohl er weiss, dass die Frauen ihm gefügig sind, allein wegen des Machtgefälles, das zwischen ihnen besteht. Er weiss, dass sie das Böse fürchten, das angeblich in ihnen steckt – und ihn selbst.

Selbstvertrauen geschädigt

Die Vertreterin der Opfer macht vor Gericht geltend, dass ihre Mandantinnen nach wie vor sehr unter dem Geschehenen zu leiden hätten. Nicht nur die wiederholten Fälle sexuellen Missbrauchs lasteten schwer auf ihnen – die Vorfälle hätten auch ihr Selbstvertrauen nachhaltig geschädigt.

Es koste die Frauen heute noch viel Kraft, nach vorne zu blicken.

Trotz diesen Wunden einigten sich die Opfer mit der Staatsanwaltschaft und Joshua Jones’ Verteidiger vorab auf einen Urteilsvorschlag. Dadurch kann der Fall im abgekürzten Verfahren behandelt werden.

Der Urteilsvorschlag sah eine Freiheitsstrafe von 36 Monaten vor. Davon sollten 6 Monate vollzogen werden – abzüglich der 4 Monate, die Jones bereits in Untersuchungshaft verbracht hat. Jones sollte des Landes verwiesen und mit einer acht Jahre dauernden Einreisesperre belegt werden. Den Geschädigten sollte er 20 000 beziehungsweise 10 000 Franken Genugtuung zahlen.

Für die Opfer sei es bei dieser Einigung vor allem darum gegangen, das Strafverfahren möglichst rasch hinter sich zu bringen, sagt ihre Vertreterin.

Doch das Gericht hat lange beraten, bevor es dem Urteil zustimmt. Die Sanktion liege an der unteren Grenze dessen, was er für angemessen halte, sagt der Richter. Zudem sei das Geständnis des Täters dünn. Angesichts der Vorgeschichte von Joshua Jones wolle er aber Nachsicht walten lassen.

Exit mobile version