Die Disziplin im Opec-Kartell bröckelt, dessen Eingriffe verpuffen. Riad steht vor einem Taktikwechsel – und ist für einen Verdrängungskampf gut gerüstet.
Wenn der Sinn eines Kartells ist, einen Preis künstlich hoch zu halten, dann macht das Bündnis Opec+ derzeit einen schlechten Job. Die Allianz aus der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) sowie verbündeten Ölproduzenten wie Russland und Kasachstan hat seit Ende 2022 ihre Förderung stark gekürzt, um den Preis für das Schmiermittel der Weltwirtschaft zu stützen.
Doch stattdessen kostet Rohöl der Referenzsorte Brent mittlerweile nur noch rund 71 Dollar je Fass. Der Preis ist über 20 Prozent tiefer als im September 2023 und liegt nahe am tiefsten Stand seit drei Jahren. Das freut die Weltwirtschaft, die gegenwärtig um Haltung ringt. Die Sorgen um die Konjunktur in Europa und den USA sowie jüngst insbesondere in China dämpfen auch die Nachfrage nach Öl, was zur Preisschwäche beiträgt.
Gemeinsam stark gilt nicht mehr
Im Gegenzug ist das Angebot recht gross, denn Förderländer ausserhalb des Bündnisses produzieren viel Öl – vor allem die USA, aber auch Kanada und Brasilien. Und innerhalb des Opec+-Bündnisses gibt es Abweichler, die mehr fördern, als sie sollten: Kasachstan, Russland sowie vor allem der Irak.
Weil die Massnahmen des Kartells nicht wirken, scheint nun die Stimmung zu kippen: von «Gemeinsam sind wir stark» zu «Rette sich, wer kann». Es wird erwartet, dass Saudiarabien, der weltgrösste Produzent, ab Dezember die Förderung hochfährt. Das Kalkül in Riad: Wenn der Preis sich nicht verteidigen lässt, dann vielleicht der Marktanteil. Andere Länder könnten es dem Königreich gleichtun, solange das den Preis nicht zu sehr in den Keller treibt.
Kommt es hart auf hart, hat Saudiarabien die besten Karten. Nirgendwo wird Öl zu so niedrigen Kosten produziert wie in dem Wüstenstaat. Sorgt ein Überangebot für einen Preiszerfall, kann Riad aufgrund seiner Finanzreserven die Zähne zusammenbeissen, während Konkurrenten aus dem Markt gedrängt werden.
Das Königreich wäre in der Lage, sich als «last man standing» zu versuchen, kommentieren Analysten von Bernstein Research. Mit dieser Taktik versuchte Saudiarabien zum Beispiel vor zehn Jahren, seinen Marktanteil gegen die schnell wachsende Schieferölproduktion in den USA zu verteidigen. Daraufhin fiel der Erdölpreis unter 30 Dollar je Fass.
In der Verteidigung ist Disziplin am schwierigsten
Nun gilt als wahrscheinlich, dass Saudiarabien auch dann mehr fördern wird, wenn Kasachstan, Russland und der Irak nicht wie versprochen ihre Produktion einschränken. Diese Einschränkungen hatten sie gelobt, eben weil sie zuletzt mehr förderten, als ihnen im Bündnis zugestanden worden war. Mit dem komplizierten Schema aus erlaubten Fördermengen, mit dem die Opec+ die Interessen aller Mitglieder bedienen will, sollte das Gesamtangebot stabil gehalten werden.
Doch beispielsweise Russland muss weiterhin einen Angriffskrieg finanzieren und braucht Einnahmen. In jedem Kartell werde es schwieriger, die Disziplin zu wahren, wenn die Hoffnung auf die Verteilung von künftigem Wachstum sich in ein Ringen zur Verteidigung der eigenen Position wandle, kommentiert die Bank of America. Ausserhalb der Opec+ dürfte in den kommenden fünf Jahren so viel mehr Öl gefördert werden, dass es über 80 Prozent des erwarteten Nachfragewachstums abdecke, erwarten Analysten.