Mittwoch, April 23

Der türkische Präsident hat am Wochenende den Chef der Hamas in Istanbul empfangen. Er will die internationale Aufmerksamkeit zurück auf Gaza zu lenken. Und auch innenpolitisch lässt sich daraus Kapital schlagen.

Erstmals ist der politische Chef der Hamas dorthin zurückgekehrt, wo er sich zum Zeitpunkt des Überfalls befand: nach Istanbul. Der türkische Präsident empfing den Hamas-Chef am Samstag beim Dolmabahce-Palast am Bosporus zu einem Arbeitsgespräch. Dabei rief Erdogan laut seinem Kommunikationschef die Palästinenser zur Einheit auf.

Zudem sei es wichtig, die internationale Aufmerksamkeit auf die Ereignisse im Gazastreifen zurückzulenken. Dabei klang die Sorge an, die Verurteilung des iranischen Angriffs auf Israel werde jene Stimmen im Westen schwächen, die Israels Kriegsführung im Gazastreifen kritisierten.

Diplomatische Initiative der Türkei

Die Türkei ist sichtlich bemüht, den Krieg im Gazastreifen zurück auf die internationale Agenda zu bringen und sich darin eine prominente Rolle zu sichern, als Vermittlerin eines Waffenstillstands und generell als Fürsprecherin der Palästinenser. Ebenfalls am Samstag empfing der türkische Aussenminister Hakan Fidan seinen ägyptischen Amtskollegen Samih Shukri in Istanbul. Dabei ging es unter anderem um Hilfslieferungen für den Gazastreifen.

Das grösste Augenmerk galt in den vergangenen Tagen aber der Hamas. Bereits vergangene Woche traf Fidan in Katar mit Haniya zusammen. Erdogan hatte dem Hamas-Chef zudem kürzlich telefonisch kondoliert, nachdem durch einen israelischen Raketenangriff drei von Haniyas Söhnen und mehrere Enkel getötet worden waren.

Am Mittwoch dann erklärte Erdogan, die Hamas sei für die Palästinenser, was die sogenannten Kuva-yi Milliye für die Türkei seien. Diese Verbände kämpften nach dem Ersten Weltkrieg vor der Bildung von Atatürks Befreiungsarmee gegen das westliche Besatzungsregime im Osmanischen Reich. Bereits früher hatte Erdogan die Hamas als legitime Freiheitsbewegung bezeichnet. Anders als ihre Verbündeten in der Nato im Westen betrachtet die Türkei die Hamas nicht als Terrororganisation.

Durchaus in Anlehnung an das historische Vorbild der osmanischen Sultane nimmt Erdogan für sich und sein Land die Rolle eines Fürsprechers für die gesamte muslimische Welt in Anspruch, die noch immer unter dem Imperialismus des arroganten Westens leide. Der Konflikt im Gazastreifen gibt ihm Gelegenheit zur Profilierung.

Innenpolitische Erwägungen

Noch mehr im Blick haben dürfte er zurzeit aber die Meinung im eigenen Land. Erdogan wird vorgeworfen, nicht genug für die Palästinenser zu tun. Die Kritik kommt vor allem von religiös-konservativer Seite, aber nicht nur. Die in vielen politischen Fragen stark polarisierte Bevölkerung ist in ihrer Empörung über die vielen zivilen Opfer im Gazastreifen weitgehend geeint.

Zwar greift der türkische Präsident Israel und besonders den Regierungschef Netanyahu rhetorisch immer wieder aufs Schärfste an. Die anfängliche Zurückhaltung hatte Erdogan bereits wenige Tage nach dem Überfall der Hamas abgelegt. Er sprach früh von einem «Genozid» an den Palästinensern und verglich Netanyahu mit Hitler. Auf dem zentralen Taksim-Platz in Istanbul befindet sich seit Monaten eine propagandistisch gefärbte Dauerausstellung über den Gazastreifen.

Obwohl die erst vor kurzem erreichte Normalisierung der diplomatischen Beziehungen damit bereits wieder Geschichte ist, blieben die wirtschaftlichen Kontakte zwischen der Türkei und Israel jedoch weitgehend intakt. Ungeachtet einiger oberflächlicher Boykottaufrufe wurde der Handel fortgesetzt.

Die Neue Wohlfahrtspartei (YRP) machte bei den Lokalwahlen Ende März Erdogans vermeintliche Halbherzigkeit zu einem prominenten Wahlkampfthema und hatte damit einigen Erfolg. Die kleine islamistische Partei erhielt mehr als 6 Prozent der Stimmen aus dem religiösen Lager, was zum generell schlechten Abschneiden von Erdogans AKP beitrug. In zwei Provinzen errang die YRP sogar die Mehrheit.

Darauf reagiert Erdogan nun. Am 9. April verhängte die Regierung etwa ein Verbot, Stahl, Treibstoff und Güter Dutzender anderer Produktkategorien nach Israel zu exportieren.

Geplanter Schiffskonvoi nach Gaza

Dennoch ist Ankara bemüht, den Bogen nicht zu überspannen, auch aus Rücksicht auf das Verhältnis zu Washington. Erstmals seit dem Amtsantritt seines Amtskollegen Joe Biden vor mehr als drei Jahren reist Erdogan am 9. Mai für ein bilaterales Treffen in die Vereinigten Staaten.

Die Türkei erhofft sich von dem Besuch, auf den man jahrelang hingearbeitet hat, unter anderem ein positives Signal an dringend benötigte Investoren. Auf den iranischen Angriff und den israelischen Gegenangriff reagierte Ankara deshalb auffallend zurückhaltend.

Der Druck von der aktivistischen Basis bleibt aber bestehen. Ein Dutzend propalästinensischer Hilfsorganisationen aus der Türkei und dem Ausland hat kürzlich vier Schiffe gechartert, die teils mit Hilfsgütern beladen werden, teils Aktivisten aufnehmen und dann gemeinsam Richtung Gaza fahren sollen.

Die Initiative sieht sich als Nachfolgerin jener Flottille, die 2010 versuchte, durch die israelische Seeblockade nach Gaza zu gelangen. Ein Schiff, die «Mavi Marmara», wurde damals von israelischen Sicherheitskräften gestürmt, wobei zehn Personen getötet wurden. Der Vorfall belastete die israelisch-türkischen Beziehungen während Jahren schwer.

Die Organisatoren präsentierten am Freitag den Medien das Passagierschiff der neuen Flottille, das zurzeit in einem Industriehafen bei Istanbul hergerichtet wird. Dabei wurde angedeutet, dass es noch kein grünes Licht aus Ankara gebe. Dennoch wolle man möglichst bald in See stechen, vielleicht noch vor dem nächsten Wochenende.

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