Wegen des Streits um die Ukraine verläuft ein tiefer Graben durch die Orthodoxie. Die Wahl des Oberhaupts der Gläubigen in Bulgarien ist deshalb auch ein Richtungsentscheid.

Wenn sich Kirchen im Kriegszustand befinden könnten, wäre das innerhalb der Orthodoxie der Fall. Die Ukraine-Frage hat das traditionell angespannte Verhältnis zwischen den beiden wichtigsten Oberhäuptern der Glaubensgemeinschaft vollständig zerrüttet: dem Patriarchen von Konstantinopel Bartholomaios und seinem Moskauer Amtskollegen Kirill.

Wichtige Stimme im Land

Auslöser war die Anerkennung einer eigenständigen ukrainischen Kirche durch Bartholomaios vor fünf Jahren. Der frühere KGB-Agent Kirill, ein Unterstützer von Putins imperialistischer Politik, verurteilte den Schritt aufs Schärfste und brach alle Kontakte ab. Der Vorgang war damals schon hochpolitisch. Als Ausdruck der ukrainischen Selbstbehauptung hat er seit dem russischen Grossangriff nur an Bedeutung gewonnen.

Das Zerwürfnis prägt die Orthodoxie bis heute. Einige Kirchen sind Konstantinopel gefolgt, andere Moskau, und dritte suchen einen Mittelweg. Das ist über das Geistesleben hinaus bedeutsam.

Besonders in Ost- und Südosteuropa haben die orthodoxen Kirchen eine starke Bedeutung für die nationale Identität. Die Kirchenvertreter mögen mit ihren Roben, Bärten und rituellen Gesängen wie aus der Zeit gefallen wirken. Aber wie sie sich zu politischen Fragen positionieren, auch zu geopolitischen, hat durchaus Gewicht.

Sympathien für den Kreml

Vor diesem Hintergrund ist die Wahl eines neuen Patriarchen in Bulgarien auch eine Richtungsentscheidung. Der frühere Amtsinhaber Neofit war im März verstorben. Die bulgarische Kirche ist seit dem 10. Jahrhundert autokephal, also eigenständig. Sie wurde zu Ende des 14. Jahrhunderts mit der osmanischen Eroberung abgeschafft und ins ökumenische Patriarchat Konstantinopels eingegliedert.

In ihrer heutigen Form besteht sie seit 1953. Das Patriarchat pflegt traditionell enge Beziehungen zu Moskau. Zum Bruch mit Konstantinopel kam es im Streit um die Ukraine zwar nicht. Die Existenz einer eigenständigen ukrainischen Kirche wird aber nicht anerkannt.

Das dürfte auch so bleiben. Mit dem Metropoliten Daniil wurde unter den drei Kandidaten ein Kirchenmann gewählt, der in der Vergangenheit auffallend viel Verständnis für den Kreml zeigte. Seine Kritik am russischen Einmarsch in der Ukraine relativierte er mit Parallelen zu den Maidan-Protesten in Kiew, die ebenfalls den Versuch einer feindlichen Machtübernahme dargestellt hätten. Dies entspricht der Darstellung des Kremls.

Die Ausweisung dreier russisch-orthodoxer Priester aus Bulgarien wegen Spionagetätigkeit im vergangenen September verurteilte Daniil ebenfalls scharf. Sofia hat in den vergangenen Jahren Dutzende von russischen Diplomaten wegen Spionageverdachts des Landes verwiesen.

Russische Einflussnahme

In Bulgarien war die Verbundenheit mit dem grossen orthodoxen Bruder Russland lange Zeit sehr gross. Seit dem russischen Überfall wendet sich aber das Blatt. Putin, einst der populärste ausländische Staatsmann, hat stark an Sympathie eingebüsst. Die euroatlantische Integration des Landes wird nur von einer Minderheit infrage gestellt. Die Skepsis gegenüber Waffenhilfen an die Ukraine ist aber weiterhin gross.

Besonders prominent vertritt diese Position Präsident Rumen Radew, der deshalb auch nicht am Nato-Gipfel kommende Woche teilnehmen wird. Radew begrüsste die Wahl Daniils. Geradezu euphorische Reaktionen kamen aus den offen prorussischen Parteien im Parlament, Wiedergeburt und Grösse.

Die Wahl eines prorussischen Patriarchen darf als Erfolg für Moskaus Schattendiplomatie gelten, auch wenn diese allein kaum den Ausschlag gegeben hat. Aber russische Einflussnahme gab es durchaus.

Patriarch Kirill brach symbolträchtig alle Kontakte zu den bulgarischen Bischöfen ab, die im Mai in Istanbul mit ukrainischen Würdenträgern eine Messe gefeiert hatten. Dass das Oberhaupt der ukrainischen Kirche zur Beerdigung des verstorbenen Patriarchen eingeladen wurde, nannte die russische Botschafterin in Sofia eine «riesige Provokation».

Auch deshalb sprach Abt Nikanor, ein kircheninterner Gegner Daniils, von einer «Wahl nach KGB-Drehbuch». Der prominente Vorsteher des Zagarski-Klosters kündigte noch am gleichen Tag seinen Rücktritt an.

Regierungsbildung scheitert erneut

Während Bulgariens Orthodoxe nun wieder ein geistliches Oberhaupt haben, ist die politische Landesführung weiterhin vakant. Der erste Versuch zur Bildung einer Regierung nach den Wahlen im Juni ist am Mittwoch gescheitert. Der Wahlsiegerin Gerb, der konservativen Partei des früheren Regierungschefs Bojko Borisow, gelang es nicht, genügend Unterstützung für eine Mehrheit zu finden.

Nun geht das Mandat zur Regierungsbildung an zwei weitere Parteien. Scheitern auch diese, stehen Neuwahlen an. Es wären die siebten in etwas mehr als drei Jahren.

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