Freitag, Dezember 27

Staatshilfe oder Produktionsverlagerung: Meyer-Burger-Chef Gunter Erfurt setzt der Politik das Messer auf die Brust – und hat wohl Erfolg. Der deutsche Bundestag arbeitet an einem Subventionspaket für die Solarbranche.

Auf dem Gang in die Kantine spürt Gunter Erfurt die bangen Blicke der Mitarbeiter. Sie könnten bald ihre Jobs verlieren. Dem Werk von Meyer Burger in der Stadt Freiberg im Erzgebirge droht die Schliessung. 500 Jobs stehen auf der Kippe.

Seit über 20 Jahren lebt CEO Gunter Erfurt in Freiberg. Sein Büro in der Solarmodulfabrik ist sein zweites Zuhause. Die drohende Schliessung, die Angst der Menschen geht ihm nah. «Ich bin als Manager ebenso ein Mensch, es ist nichts, was man erleben möchte», sagt er.

Mitte Januar verkündete Erfurt die Hiobsbotschaft über das mögliche Ende der Modulherstellung. Ohne Subventionen könne die Produktion in Europa nicht fortgeführt werden.

Europäischer Solarwirtschaft droht der Zusammenbruch

Nun geht der Showdown in die Endphase. Seit Wochen weibelt Erfurt für staatliche Unterstützung. Er schreibt Brandbriefe, führt Gespräche mit Politikern, organisiert die Branche. Im schwarzen Anzug, lässig geöffnetem weissem Hemd ohne Krawatte tourt der durchtrainierte 50-Jährige durch Talkshows. Sein Mantra: «Es geht nicht nur darum, dass die chinesischen Hersteller billiger produzieren. Deren Module werden um bis zu 50 Prozent unter den dortigen Herstellungskosten angeboten – subventioniert durch den Staat.»

Ohne Gegenmassnahmen werde die europäische Solarwirtschaft nach dem Zusammenbruch vor gut zehn Jahren ein zweites Mal untergehen und damit Tausende Industriearbeitsplätze. Dagegen kämpft Erfurt mit aller Kraft.

Mit seinem Job als CEO eines Solarkonzerns erfüllte er sich einen Jugendtraum. Erfurt wuchs in Karl-Marx-Stadt auf, dem heutigen Chemnitz. Beide Eltern waren Ingenieure, sie prägten sein Interesse für Naturwissenschaften. In der Wendezeit, mit 16 Jahren, engagierte er sich für die Umweltbewegung. Erfurt studierte Physik und kam als Doktorand nach Freiberg, promovierte in der Festkörperphysik.

Jobs in der Schweiz sind nicht bedroht

2015 heuerte Erfurt bei Meyer Burger an. Der Standort Schweiz sei sehr wichtig für die Technologieentwicklung, sagt er. In Thun werden auch wieder Maschinen gebaut, die für die Produktion in den USA eingesetzt werden. Die etwa 130 Arbeitsplätze im Berner Oberland sind nicht bedroht.

Doch in Deutschland droht der Kahlschlag. Letztes Jahr hatte Meyer Burger bereits den Ausbau der Zellproduktion im Werk Thalheim bei Leipzig gestoppt und die eingeplanten Maschinen in die USA weitergeleitet, wo derzeit zwei neue Werke entstehen. Neben einem Steuerbonus in Milliardenhöhe durch die Inflation Reduction Act (IRA) winken feste Abnahmeverträge, mit denen Meyer Burger wieder in die Gewinnzone kommen will.

«Die USA haben den Marktzugang für chinesische Produkte deutlich erschwert, so dürfen Komponenten nicht durch Zwangsarbeit entstehen», sagt Erfurt. Er erwartet, dass das Programm auch unter Trump fortgesetzt würde. Auch Indien hat den Markt für Fotovoltaikmodule aus China geschlossen, daher werde Europa, wo es keinerlei Barrieren gibt, überflutet.

Aktienkurs von Meyer Burger ist im freien Fall

Zwar boomte der Markt für Sonnenenergie 2023, allein in Deutschland verdoppelte sich die installierte Leistung. Dennoch schrieb Meyer Burger tiefrote Zahlen: Bei einem Umsatz von 135 Millionen Franken fielen 126 Millionen Franken Verlust an. Fast die Hälfte der Produktion liegt im Lager. Fünfmal ging Meyer Burger die Aktionäre in den letzten 15 Jahren um neues Geld an. Nun droht erneut die Pleite. Der Aktienkurs ist seit letztem Sommer im freien Fall.

Letzte Hoffnung sind Staatsgelder. Der deutsche Bundesverband für Solarwirtschaft will den Absatz der teureren Produkte aus Europa mit sogenannten Resilienz-Boni ankurbeln. Wenn Kunden heimische Solarpanels kaufen, sollen sie über Jahre eine höhere Einspeisevergütung erhalten. Finanziert würde der Aufschlag durch Einnahmen aus dem CO2-Zertifikatehandel. Auch bei Ausschreibungen für Solarpojekte ist eine solche Kompensation geplant.

Im deutschen Bundestat zeichnet sich eine Mehrheit ab

Nach langen Debatten zeichnet sich im Deutschen Bundestag eine politische Mehrheit für diesen Vorschlag ab. In der kommenden Woche soll der Bundestag entscheiden. Etwa 30 Hersteller und der Branchenverband fordern ebenso wie Meyer Burger diese Massnahme. Auch anderen Herstellern wie Solarwatt und Heckert Solar droht sonst das Aus. Erfurt will bis Ende Februar über das Schicksal des deutschen Werks entscheiden.

Ist er ein Subventionsjäger, der dort produziert, wo es das meiste Staatsgeld gibt? Diesen Vorwurf empfindet er als opportunistisch. «Warum werden Subventionen in anderen Ländern hingenommen, auch wenn diese uns direkt schaden? Nur in Europa halten wir den freien Markt hoch. China hat allein im letzten Jahr 120 Milliarden Dollar in die Solarfabriken gepumpt. Mit den Überkapazitäten fluten diese nun Europa. Wir hätten lieber einen funktionierenden Markt als Subventionen», sagt Erfurt.

Ohne Subventionen droht eine Solar-Opec

Ohne bessere Rahmenbedingungen für die europäischen Hersteller werde die Solarindustrie zu einem Kartell. «Dann entsteht in der Fotovoltaikbranche eine Art Opec, die China als einziges Mitglied hat», warnt er. Angesichts der Ausbauziele der EU von 100 Gigawatt im Jahr bis 2050 müsse die heimische Produktion gestärkt werden. «Das bedeutet, dass mindestens 450 000 Module am Tag verbaut werden – täglich wären das 550 Container, die durch Europa fahren. Diese Masse komplett auf dem Seeweg von einem Lieferland zu beziehen, birgt Risiken – beispielsweise bei einer neuen Pandemie oder im Fall einer Taiwan-Krise», so Erfurt.

Bereits vor einem Jahr hatte die EU die Net Zero Industry Act (NZIA) auf den Weg gebracht, um strategisch bedeutende Branchen widerstandsfähiger gegenüber geopolitischen Entwicklungen aufzustellen – darunter auch die Solarindustrie. 40 Prozent der Wertschöpfung soll künftig in Europa entstehen.

Und wenn das nur Planspiele sind, die an der Marktrealität zerschellen? «Ich bin Lebensoptimist», erklärt Gunter Erfurt, er könne sich nicht vorstellen, dass sich Europa in eine neue strategische Abhängigkeit begebe. Wenn es um die Zukunft geht, leuchten seine Augen. «In der Schweiz arbeiten wir bereits am nächsten grossen Ding», sagt er. Die neue Modul-Generation sei noch langlebiger und habe nochmals einen deutlich höheren Wirkungsgrad. «Das sind Produkte für die Ewigkeit, wie eine gute Schweizer Uhr», schwärmt er.

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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