Donnerstag, November 13

Der neurechte Aktivist aus Österreich ist auf Lesereise durch Deutschland. Dabei kommt es immer wieder zu Zwischenfällen.

Die Szene ist einigermassen absurd. Gerade als der österreichische Liebling der Neuen Rechten, Martin Sellner, einen Witz über die Probleme mit der Meinungsfreiheit in Deutschland macht, betreten Polizisten den Raum. «Schönen guten Tag», sagt ein Beamter auf der Videoaufnahme, die Sellner hinterher selbst veröffentlicht hat.

Eigentlich ging es bei dem Aktivisten gerade um die Razzia beim «Compact»-Gründer Jürgen Elsässer. Auf einer Leinwand hinter Sellner ist ein Foto von Elsässer in seinem Wohnhaus in Falkensee sichtbar. Als Elsässer morgens im Bademantel die Tür öffnete, stand er einer Schar von Polizisten gegenüber. Sein rechtsextremes Magazin «Compact» ist im Juli vom Bundesinnenministerium verboten worden.

Auch der kleine Saal, in dem Sellner referieren wollte, ist nun voller Polizisten in Sturmhauben. «Herrlich. Wie auf Kommando», entgegnet Sellner vom Rednertisch aus. Ein Beamter teilt Sellner mit, dass eine Aufenthaltsverbotsverfügung der Gemeinde Neulingen gegen ihn vorliege. Einige aus dem Publikum schimpfen «Schämt euch!» und «Schande!» in Richtung der Polizisten.

Damit ist der Vortrag in Pforzheim, einer Stadt im nordwestlichen Teil Baden-Württembergs, frühzeitig beendet. Sellner räumt sein Equipment ab und verlässt, von Beamten begleitet, den Saal. Der neurechte Aktivist muss die Gemeinde zügig verlassen. Der Platzverweis gilt bis zum nächsten Tag.

Warum das Ganze? Weder sind Sellners Bücher verboten, noch vertreibt er das von der Regierung verbotene Magazin «Compact». Die Antwort auf die Frage, warum ein Lesetermin mit einer Handvoll Zuhörern von etwa zwanzig Polizisten gestürmt wird, ist vielschichtig.

Sellner sprach beim Potsdamer Treffen über Remigration

So gelangte Sellner durch die Veröffentlichung «Geheimplan gegen Deutschland» des Mediums «Correctiv» zu deutschlandweiter Bekanntheit. Er war einer der Sprecher bei dem sogenannten Potsdamer Treffen, bei dem AfD- und CDU-Politiker und weitere Teilnehmer in einem Landhotel für strategische Vorträge zusammenkamen.

Die Stadt Potsdam erteilte dem Österreicher daraufhin ein Einreiseverbot. Dieses erwies sich als rechtswidrig, es wurde im Mai aufgehoben.

Sein Thema damals und während der Lesereise: Remigration. Der neurechte Aktivist wirbt in seinen Vorträgen und Büchern dafür, dass Asylbewerber, Ausreisepflichtige und «nichtassimilierte Staatsbürger» Deutschland und Österreich wieder verlassen müssen. Zwar freiwillig, doch mittels «Anpassungsdruck» und «massgeschneiderter Gesetze».

Kritiker erkennen verfassungsfeindliche Aussagen

Die nach Sellners Kriterien «Nichtassimilierten» – also Menschen mit deutschem Pass, die nicht gut genug angepasst sind – sind der Anlass, warum es immer wieder Proteste gegen seine Person und seine Auftritte gibt. Kritiker werfen ihm vor, dass seine Aussagen verfassungs- und fremdenfeindlich seien.

Das behördliche Verbot in Pforzheim ist nicht der erste Zwischenfall auf der Lesereise des rechten Aktivisten. In der hessischen Stadt Marburg kamen mehr als 2000 Menschen zusammen, um gegen den Lesetermin Sellners zu protestieren. Dort konnte der Österreicher trotzdem auftreten, die Lesung fand in einem benachbarten Ort statt.

Auch sein Auftritt im Saarland sorgte für Wirbel. Die linke Protestgruppe «Omas gegen Rechts» hatte sich gemeinsam mit der Saarländer Piratenpartei zu einer Gegendemonstration in Saarbrücken versammelt. Die Orte, an denen er vorträgt, hält der Aktivist meist bis kurz vorher geheim, um nicht gestört zu werden.

Mit Taktstock provoziert Sellner «Omas gegen Rechts»

Deshalb hatten sich die Demonstranten vor den Räumen einiger Burschenschaften versammelt. Tatsächlich trat Sellner nicht bei den Burschenschaften auf, suchte aber die Kundgebung gegen sich selbst auf. Unerwartet stürmte er die Bühne und provozierte das Publikum, indem er andeutete, es mit einem Taktstock dirigieren zu wollen.

Mehrere Medien meldeten später, dass es eine Anzeige gegeben habe wegen eines angeblichen Hitlergrusses von Sellner. Allerdings zeigen Videos und Fotos der Störaktion, dass wohl nichts dergleichen passiert ist. Der Autor kündigte an, gegen die Meldungen juristisch vorzugehen.

Dem Aktivisten, der sich selber als «Patrioten» bezeichnet, scheinen die Repressalien deutscher Behörden teilweise ganz recht zu kommen. Der Termin in Baden-Württemberg soll der letzte seiner Lesereise gewesen sein. Ohne die örtlichen Verbote und Gegendemonstrationen hätten vermutlich weit weniger Menschen von seinem Buch erfahren.

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