Dienstag, Oktober 22

Die kanadische Polizei wirft der Gang vor, im Auftrag der indischen Regierung in Kanada mehrere Sikhs getötet zu haben. Auch in Indien sorgte die Bande kürzlich wieder für Schlagzeilen.

Im Streit zwischen Delhi und Ottawa um die Ermordung von mehreren Sikh-Separatisten in Kanada war es nur eine Randbemerkung. Doch es war eine Bemerkung, die die indische Presse aufhorchen liess: Laut der kanadischen Polizei steckt hinter der Ermordung der Separatisten die Bande von Lawrence Bishnoi. Der indische Geheimdienst habe die Gang eingesetzt, um Anhänger der Khalistan-Bewegung zu ermorden, die für einen eigenen Sikh-Staat in Nordindien kämpfe, erklärte die kanadische Polizei vergangene Woche.

Die Gang soll insbesondere an dem Mord an Hardeep Singh Nijjar beteiligt gewesen sein. Der 44-jährige Verfechter eines unabhängigen Sikh-Staats in Punjab war im Juni 2023 nahe Vancouver erschossen worden. Kanadas Premierminister Justiz Trudeau warf indischen Agenten daraufhin vor, die Tat in Auftrag gegeben zu haben. Er löste damit eine diplomatischen Krise aus, die vergangene Woche zur gegenseitigen Ausweisung der Botschafter führte.

Der Skandal rückt nun eine Verbrecherbande ins internationale Scheinwerferlicht, die ausserhalb Indiens bisher kaum jemandem ein Begriff war. In Indien ist die Gang von Lawrence Bishnoi allerdings keine Unbekannte. Erst vor einer Woche sorgte sie in Mumbai mit dem Mord an dem bekannten Politiker Baba Siddique für Schlagzeilen. Seither wird in Indien intensiv über die Hintergründe diskutiert.

Schon an der Universität baute Bishnoi seine Gang auf

Gegründet wurde die Bande laut indischen Medien im Jahr 2008 von Lawrence Bishnoi. Der heute 31-Jährige ist der Sohn eines Polizisten aus Punjab. Geboren wurde er als Balkaran Brar, doch nahm er während der Schulzeit den Namen Lawrence Bishnoi an. Während des Jurastudiums an der Universität von Chandigarh engagierte er sich für eine lokale Studentenorganisation, begann aber auch, eine eigene Gang aufzubauen. Damals wurde er das erste Mal festgenommen, weil er auf einen rivalisierenden Studentenführer geschossen hatte.

Die Gang machte früh mit Schutzgelderpressung und Revierkämpfen auf sich aufmerksam. Über die Jahre soll sie 30 Mitglieder rivalisierender Banden ermordet haben. Für besonderes Aufsehen sorgte der Mord an dem schillernden Rap-Star Sidhu Moosewala im Juni 2022. Der 28-Jährige war in Punjab mit politischen Songs bekannt geworden. Womöglich wurde er von der Bishnoi-Bande ermordet, weil er Verbindungen zu einer rivalisierenden Gang hatte.

Hinter dem Mord soll Bishnois rechte Hand, Goldy Brar, gestanden haben. Wie Bishnoi ist auch Goldy der Sohn eines Polizisten aus Punjab. Ihre Verbindung geht auf ihre Studentenzeit in Chandigarh zurück. Später ging Goldy zum Studium nach Kanada. Heute steht er dort auf der Liste der meistgesuchten Verbrecher, auch in Indien ist er zur Fahndung ausgeschrieben. Er soll in den USA leben.

Bishnoi zieht aus dem Gefängnis weiter die Fäden

Zur Zeit des Mordes an dem Rap-Sänger Moosewala 2022 sass Lawrence Bishnoi bereits seit acht Jahren in Haft. Doch auch im Gefängnis soll er seine Gang fest im Griff haben. Mehrfach wurde er in andere Gefängnisse verlegt, weil er aus seiner Zelle heraus die Fäden zog. Es gelang ihm sogar, einem Fernsehsender ein Interview zu geben, in dem er sich als indischer Patriot inszenierte und seinen kriminellen Aktivitäten einen politischen Anstrich zu geben versuchte.

Heute hat die Gang laut der indischen Antiterrorbehörde NIA 700 Mitglieder und ist auch in Kanada und den USA aktiv. Die NIA wirft Bishnoi vor, Verbindungen zur Khalistan-Bewegung geknüpft zu haben, um an Waffen zu kommen. Diese kämpft seit den achtziger Jahren mit Gewalt für die Abspaltung eines Sikh-Staats in Punjab. Heute findet ihr Kampf in Indien kaum noch Unterstützung, doch hat sie an den Sikhs in der Diaspora weiter einigen Rückhalt.

Allerdings ist unklar, wie genau Bishnoi zu der Bewegung steht. Er selbst stellt sich als ihr Gegner dar. Ob seine Bande tatsächlich Nijjar und andere Anhänger der Bewegung im Auftrag der indischen Regierung ermordet hat, ist umstritten. Indien beklagt, dass Kanada bis heute keine Beweise dafür vorgelegt habe und dass indische Agenten den Mord an Nijjar in Auftrag gegeben hätten. Nach indischer Darstellung handelte es sich eher um eine Abrechnung im kriminellen Milieu.

Ein undurchsichtiges Geflecht aus Politik und Kriminalität

Zumindest Teile der Khalistan-Bewegung sollen Verbindungen zum organisierten Verbrechen haben. So wurde der Sikh-Separatist Sukhdool Singh Gill, der wenige Monate nach Nijjar in Kanada ermordet wurde, in Indien wegen Erpressung und Mord gesucht. Laut der indischen Antiterrorbehörde NIA floss ein Teil der Erlöse aus seinen kriminellen Aktivitäten in die Finanzierung der Khalistan-Bewegung. Im Jahr 2017 floh Gill nach Kanada. Im September 2023 wurde er in Winnipeg ermordet. Zu dem Mord bekannte sich die Bishnoi-Gang.

Die Bande war womöglich auch an dem Mordkomplott gegen den Sikh-Führer Gurpatwant Singh Pannun im Sommer 2023 beteiligt. Das Komplott sorgt seit einem Jahr für Spannungen mit den USA. Auch hier steht der Verdacht im Raum, dass der Mord vom indischen Geheimdienst in Auftrag gegeben wurde. Der Drahtzieher dabei soll der frühere indische Geheimdienstmitarbeiter Vikash Yadav gewesen sein. Er wurde von den USA am Freitag als Verdächtiger benannt.

Wie nun bekanntwurde, wurde Yadav im vergangenen Dezember wegen Erpressung in Delhi festgenommen. Ein Geschäftsmann hatte Anzeige erstattet, weil Yadav ihn entführt und erpresst habe. Der Mann gab zu Protokoll, Yadav habe ihm gesagt, Bishnoi werde ihn töten, wenn er nicht zahle. Gehörte Yadav also zur Bishnoi-Bande? Und handelte er tatsächlich als Agent der indischen Regierung, als er den Mord an Pannun in Auftrag gab? Noch ist vieles unklar.

Alles aus Rache für den Tod zweier Antilopen?

In den indischen Medien wird auch heftig darüber spekuliert, warum die Bishnoi-Bande den Mumbaier Politiker Baba Siddique ermordet hat. Der 66-Jährige wurde am Abend des 12. Oktober im schicken Mumbaier Viertel Bandra vor dem Haus seines Sohnes niedergestreckt. Der frühere Minister und Abgeordnete war in Mumbai für seine Partys mit Bollywood-Stars bekannt und war insbesondere eng mit dem Schauspieler Salman Khan befreundet.

Indische Medien spekulieren nun, dass ihm diese Freundschaft zum Verhängnis geworden ist. Denn Lawrence Bishnoi pflegt seit Jahren eine erbitterte Feindschaft mit Salman Khan. Schon 2018 soll er aus dem Gefängnis heraus einen seiner Kumpane mit dem Mord an dem Bollywood-Star beauftragt haben. Im November 2023 und erneut im April dieses Jahr sollen Mitglieder der Bishnoi-Gang Schüsse auf das Haus des Schauspielers in Mumbai abgefeuert haben.

Der Grund für die bizarre Feindschaft soll die Tötung zweier Antilopen sein. Während Filmaufnahmen in der Wüste in Rajasthan schoss Salman Khan 1998 bei einem illegalen Jagdausflug mehrere Gazellen und zwei seltene Hirschziegenantilopen. Die Tiere mit den langen, gedrehten Hörnern und der markanten schwarz-weissen Färbung waren einst weit verbreitet auf dem Subkontinent, sie stehen heute aber unter Schutz in Indien. Salman Khan wurde entsprechend wegen Wilderei angeklagt und zu einer mehrjährigen Bewährungsstrafe verurteilt.

Womöglich ist das Motiv für den Mord auch prosaischer

Vor allem brachte die Tötung der Antilopen Khan aber die anhaltende Feindschaft von Lawrence Bishnoi ein. Wie sein Name andeutet, stammt er aus der Religionsgruppe der Bishnoi in Rajasthan. Diese sind bekannt für ihr Engagement für den Schutz von Wildtieren und Bäumen. Die Bishnoi betrachten die Antilopen als heilig, da sie als Inkarnation ihres Gurus Jambheshwar gelten. Die Bishnoi-Frauen sollen sogar mutterlose Jungtiere mit der eigenen Milch grossziehen.

Ob Bishnois Bande mit dem Mord an Siddique aber tatsächlich Rache für die Tötung der Antilopen nehmen wollte, ist umstritten. Laut indischen Medien könnte die Erklärung auch deutlich prosaischer sein. Demgemäss wurde der Politiker in Wahrheit von der Bishnoi-Gang wegen eines Streits um ein Projekt zur Entwicklung eines Slums in Mumbai getötet. Überraschend wäre dies nicht: Die Finanzmetropole gehört zu den teuersten Städten der Welt, und kriminelle Banden sind seit den neunziger Jahren im Immobiliensektor aktiv.

Exit mobile version