Mittwoch, März 12

Im März 2000 begann die Internetblase zu platzen – Sparer und Anleger verloren viel Geld. Angesichts des KI-Booms befürchten Finanzexperten, die Geschichte könnte sich wiederholen.

Das Jahr 2000 ist schon eine ganze Weile her. Wladimir Putin trat damals die Nachfolge von Boris Jelzin als russischer Präsident an, George W. Bush gewann die Präsidentschaftswahl in den USA in einem Kopf-an-Kopf-Rennen gegen Al Gore, und Sydney trug die Olympischen Sommerspiele aus.

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Börsen-Crash folgt auf Spekulationswelle

Wirtschaftlich stand das Jahr im Zeichen der platzenden New-Economy-Börsenblase – oder war, besser gesagt, der Anfang vom Ende einer jahrelangen Spekulationswelle. Einige Jahre hatten sich die Anleger um Aktien aus den Sektoren Telekommunikation, Medien und Technologie – kurz TMT – gerissen. In Deutschland sorgte beispielsweise die Börseneinführung der Deutschen Telekom im November 1996 für Furore, der Titel wurde dabei zur «Volksaktie» hochstilisiert.

Hinzu kam der Durchbruch des Internets in den 1990er Jahren, der zu einem Hype und einer Vielzahl von Börsengängen von Dotcom-Unternehmen führte. Die Neuemissionen von Firmen an der amerikanischen Technologiebörse Nasdaq waren vielfach überzeichnet, Kursgewinne galten praktisch als garantiert. In Deutschland startete 1997 nach dem Vorbild der Nasdaq der «Neue Markt», ein für die Finanzierung innovativer Startup-Unternehmen gedachtes Segment der Deutschen Börse.

Jahrelang stiegen die Kurse der Unternehmen an der Nasdaq und am Neuen Markt rasant. Laut der Bank Goldman Sachs betrug der Gesamtwert der an der Börse Nasdaq gehandelten Aktien im Jahr 1990 rund 11 Prozent des Werts der an der Leitbörse New York Stock Exchange gehandelten Titel. Bis Dezember 1999 stieg er auf 80 Prozent.

Massive Kursgewinne bei Technologieaktien

Liquidität war an den Finanzmärkten im Überfluss vorhanden. Nach dem Kollaps des Hedge-Fund Long Term Capital Management hatte die US-Notenbank die Zinsen gesenkt. Allein im Jahr 1999 stieg der Nasdaq-Index laut Goldman Sachs um 86 Prozent. Kein Wunder, dass die Anleger die Manager von Technologiefonds damals wie Rockstars feierten.

Zudem hätten die Marktteilnehmer ab Oktober 1998 auf einen scheinbar endlosen Strom von Börsengängen von Internetfirmen gewettet, ohne gross auf die Geschäftsmodelle der Firmen zu achten, teilt die Bank weiter mit. Trotz den hohen Marktbewertungen sei nicht abzusehen gewesen, wann viele dieser Internet-Startups jemals Umsätze oder Gewinne erzielen würden.

Als Beweis für die zunehmende Bedeutung der New Economy wurde die Ankündigung der Megaübernahme des Medienriesen Time Warner durch den Internetanbieter AOL im Januar 2000 gewertet. Im März desselben Jahres begannen die Börsenkurse aber abzubröckeln, ein jahrelanger «Salami-Crash» setzte ein.

Massive Rückschläge bei DAX und S&P 500

Der amerikanische Standardwerte-Index S&P 500 erreichte Ende März 2000 einen Höchststand von 1527 Punkten und halbierte sich anschliessend bis Oktober 2002. Der deutsche DAX ging sogar noch stärker zurück: Von einem Höchststand bei 8064 Punkten fiel er bis März 2003 auf nur noch 2202 Zähler.

Für die deutsche Aktienkultur war dies ein schwerer Schlag. Viele der als «Börsen-Muffel» bekannten Deutschen hatten bei ihren ersten Schritten am Finanzmarkt gleich einiges an Lehrgeld bezahlt. «Die deutsche Aktienkultur ist nicht zuletzt deshalb bis heute beschädigt», sagt Erwin Heri, Finanzprofessor an der Universität Basel und Partner des Online-Finanzportals Fintool.

Starke Rückgänge auch beim SMI

Im März 2003 erreichte auch der Schweizer SMI bei 3675 Zählern ein Tief, nachdem er im August 2000 auf bis zu 8377 Punkte gestiegen war. Laut Heri spielte bei dem Abschwung am Schweizer Aktienmarkt die Tatsache eine grosse Rolle, dass die Versicherer aufgrund geänderter Rechnungslegungsvorschriften gezwungen waren, Aktien zu verkaufen. Dies habe viele Schweizer Titel hart getroffen.

Noch härter traf es freilich die Technologiebörsen. Der amerikanische Nasdaq-Composite-Index erreichte am 10. März 2000 einen Höchststand bei 5048 Punkten und verlor bis Oktober 2002 mehr als drei Viertel seines Werts. Laut Goldman Sachs übersprang der Nasdaq erst im April 2015 wieder seine damalige Höchstmarke, also mehr als 15 Jahre später. Für den Neuen Markt in Deutschland bedeutete der Börsen-Crash das Aus, er schloss im Juni 2003. Viele Geschäftsmodelle von Firmen hatten sich als Illusion erwiesen.

Das Internet hat trotzdem revolutionär gewirkt

Auch das damals kurzzeitig wertvollste Unternehmen der Welt, der Netzwerkausrüster Cisco Systems, musste kräftig Federn lassen. Das Unternehmen war im Dotcom-Boom bei den Anlegern so beliebt, weil seine Hardware als so wichtig für die Internetrevolution galt.

Beim Blick zurück zeigt sich aber, dass einige der Grundannahmen des damaligen Booms richtig waren. Das Internet hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Art, wie Menschen leben und arbeiten, von Grund auf verändert. Unternehmen wie Amazon oder Google, heute Alphabet, sind zu Technologieriesen herangewachsen.

Parallelen zwischen New-Economy-Boom und KI-Euphorie

Der New-Economy-Boom erinnert in Teilen an den heutigen Hype um Titel aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz (KI). «Neue Technologien wie das Internet zur Zeit des Dotcom-Booms oder KI heute laden die Investoren zu spekulativen Exzessen ein», sagt Guido Zimmermann, Senior Economist bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Die Anleger machen sich dabei Hoffnungen auf grossen Fortschritt.

Oft kaufen sie aber Titel, deren Geschäftsmodell sie nicht durchschauen – sie missachten also die Börsenregel «Kaufe nicht, was du nicht verstehst». Viele Investoren haben sich in den vergangenen Jahren von dem «Fomo»-Motto leiten lassen – der «fear of missing out», zu Deutsch: der Angst, etwas zu verpassen.

Momentan fliesse viel Geld in die für KI nötige Infrastruktur, sagt Zimmermann. Neue Produkte, die konsistente Ergebnisse bringen und damit massentauglich sind und für die Privatpersonen bereit wären, 100 bis 200 Franken pro Monat zu bezahlen, seien aber noch nicht zu sehen.

Bisher wenig Ergebnisse durch KI

Die meisten Unternehmen hätten bisher kaum Ergebnisse vorzuweisen, die zeigten, dass die Produktivität der Mitarbeiter nachhaltig erhöht oder die Kosten reduziert worden seien, sagt der LBBW-Ökonom. KI werde oft mit einer bahnbrechenden Querschnittstechnologie wie der Elektrizität verglichen. «Aber, um im Bild zu bleiben: Vielleicht werden bei KI gerade erst die Kupferkabel erfunden, aber noch nicht die Glühbirne», schreibt er in einer Analyse. Zunehmend stelle sich die Frage, wie die KI-Anbieter mit ihren Produkten Geld verdienen wollten.

Das Jahr 2025 könnte nun ein Jahr der Normalisierung und der Implementierung werden, so seine Erwartung: Chatbots in den Büros, KI-Bots in den Fabriken. Chat-GPT habe mittlerweile 400 Millionen Nutzer. Die KI-Entwicklung stehe aber trotzdem noch am Anfang. Ein grosses Problem blieben die sogenannten Halluzinationen der KI-Chatbots – sie geben oftmals plausibel klingende, aber falsche Antworten.

Deepseek sorgt für Verunsicherung

So ist mittlerweile nicht nur bei den Unternehmen, sondern auch an der Börse etwas Ernüchterung eingekehrt. Dabei spielt auch eine Rolle, dass das chinesische Startup-Unternehmen Deepseek im Januar dieses Jahres ein KI-Modell vorgestellt hat. Das Open-Source-Modell gilt in vielerlei Hinsicht als ähnlich gut wie die Modelle der Wettbewerber aus den USA, ist aber deutlich kostengünstiger.

Heri sieht derweil «erschreckende Ähnlichkeiten» zur Zeit der Jahre 1999 und 2000. Ihm machen vor allem die hohen Bewertungen der amerikanischen Technologietitel Sorgen. «Damals gab es in Zusammenhang mit dem Internet viele Phantasien, von denen sich einige gar nicht und viele erst mit Verspätung realisiert haben.» Bei KI könnte es ähnlich sein.

Heri beruft sich bei seinen Einschätzungen auf das sogenannte Shiller-KGV des amerikanischen Nobelpreisträgers Robert Shiller, das seit einigen Jahren deutlich überbewertet sei. Die auch als Cape-Ratio bekannte Kennzahl lag im Februar bei 35,6, am Ende des New-Economy-Booms Ende 1999 bis Anfang 2000 erreichte sie Werte von 43 bis 44. Die Kennzahl setzt US-Aktienkurse in Relation zum durchschnittlichen inflationsbereinigten Gewinn der vergangenen zehn Jahre.

Big Tech statt Startups

KI könnte einer der grössten Investment-Hypes der Börsengeschichte sein, aber auch grosse Gelegenheiten bieten, sagt Zimmermann. Der Unterschied zur New-Economy-Blase ist, dass es sich bei den Geldanlagegelegenheiten dieses Mal nicht um Startups, sondern um grosse, etablierte und profitable Unternehmen handelt – eben die Big-Tech-Konzerne. Dies sieht auch Heri so: «Immerhin werden nicht wie im New-Economy-Boom Firmen in den Himmel hochgehoben, die noch nie Geld verdient haben», sagt er.

Eben weil die wichtigsten Protagonisten im Bereich KI die hochprofitablen Technologieriesen seien und keine kleinen Startup-Firmen, sei an den Börsen vielleicht mit einer Korrektur zu rechnen, aber wohl nicht mit einem grossen Crash.

Etwas Sorge bereitet Zimmermann aber, wie stark auch Kleinanleger im Bereich KI engagiert sind. Dies erklärt sich aus seiner Sicht nicht zuletzt mit dem Aufstieg der Exchange-Traded Funds (ETF) in den vergangenen Jahren. Sehr viele Sparer und Privatanleger hätten in ETF in einen Welt-Aktienindex wie den MSCI World oder in den US-Leitindex S&P 500 investiert.

Der Aufstieg der Big-Tech-Konzerne hat indessen dazu geführt, dass sie sowohl in den amerikanischen Indizes als auch in den Welt-Aktienindizes stark gewichtet sind. Einen Absturz der Tech-Werte würden also weite Teile der Bevölkerung zu spüren bekommen.

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