Donnerstag, Oktober 3

Der ehemalige Universitätsrektor gelangte unerwartet an die peruanische Staatsspitze und wurde zu einem bedeutenden wirtschaftlichen Reformer. Doch die Überschätzung seiner Macht brach ihm letztlich das Genick. Nun ist er 86-jährig gestorben.

Für die einen war er der Retter Perus, für die anderen ein machtbesessener, skrupelloser Autokrat. Bis ins hohe Alter spaltete Alberto Fujimori, der Sohn japanischer Einwanderer, die Peruaner in zwei unversöhnliche Lager. Das Gros seiner Anhänger hielt ihm bedingungslos die Treue, dies auch, nachdem er als Präsident unhaltbar geworden und Hals über Kopf nach Japan ins Exil geflüchtet war. Später, als der gefallene Held wegen Machtmissbrauchs und Menschenrechtsverletzungen zu hohen Haftstrafen verurteilt und ins Gefängnis gesteckt wurde, erlangte er den Status eines Märtyrers.

Von der ungebrochenen Popularität ihres Vaters zehrte auch Fujimoris Tochter Keiko. Beinahe wäre auch sie ins Präsidentenamt gewählt worden. Inzwischen ermitteln Staatsanwälte gegen sie wegen des Verdachts auf Korruption. Sie soll in den Bestechungsfall um den Baukonzern Odebrecht verwickelt sein.

Aufstieg aus dem Nichts

Ohne echte Freunde und ohne organisierte Partei gewann Alberto Fujimori 1990 die Präsidentschaftswahlen. Nach der desaströsen ersten Regierungszeit des Jungstars der peruanischen Politik, des Sozialdemokraten Alan García, und seiner Clique sowie im Sog der zunehmenden Gewalt von zwei Terrorguerillas lag das Land am Boden. Inmitten der weitverbreiteten Untergangsstimmung trat aus dem Nichts der Aussenseiter Fujimori wie ein Messias auf die politische Bühne. Der Rektor der wichtigsten landwirtschaftlichen Universität Perus hatte den einsamen Entschluss gefasst, die Wahlheimat seiner Eltern zu retten. Um den Wahlkampf zu finanzieren, verkaufte er eigenes Land und Traktoren. Auf einem umfunktionierten Lastwagen, dem «Fujimobil», tingelte er durchs Land auf der Suche nach Wählern.

Sein potenter Gegner, der angesehene Schriftsteller und spätere Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa, hatte in der Stichwahl das Nachsehen. Trotz anfänglich weitverbreiteten Sympathien verlor der wortgewaltige liberale Intellektuelle und Repräsentant der weissen Oberschicht das Rennen gegen den volksnahen, häufig unbeholfen auftretenden Chino – so der Übername für alle aus Asien stammenden Peruaner.

Vater des Wirtschaftswunders

Einmal im Amt, machte sich der Mathematiker und Ingenieur ans grosse Aufräumen. Mit einschneidenden Wirtschaftsmassnahmen, dem «Fujischock», stoppte er die galoppierende Inflation, brachte die Staatsfinanzen ins Lot und beendete den Pariastatus des Landes bei den ausländischen Kreditgebern. Ein beispiellos hartes Strukturanpassungsprogramm neoliberalen Zuschnitts machte Schluss mit der verkrusteten Staatswirtschaft und öffnete das Land für ausländische Investoren. Nicht zu Unrecht gilt Fujimori als Vater des Wirtschaftswunders, das Peru in den folgenden Jahrzehnten erlebte.

Doch Fujimori besass im Parlament keine Mehrheit, und es kam immer wieder zu Konflikten mit der Legislative. Da löste er das Parlament mit Unterstützung des Militärs am 5. April 1992 in einem Autogolpe (Selbstputsch) kurzerhand auf und suspendierte die verfassungsmässigen Rechte der Judikative. Er liess eine neue, von seinen Vorstellungen geprägte Verfassung ausarbeiten. Weil der Modernisierer Inflation und Terror besiegte, verzieh ihm das Volk diese willkürliche Auflösung des Kongresses und wählte ihn 1995 mit überwältigendem Mehr für eine zweite Amtsperiode. Massive Investitionen in Schulen, Spitäler, Strassen und die Elektrizitätsversorgung, gepaart mit Programmen zur zielgerichteten Bekämpfung der Armut, förderten die Popularität des Präsidenten unter der Masse der Bevölkerung auf dem Land und in den Slums der Städte.

Das Glück auf seiner Seite

Viele abergläubische Peruaner sind überzeugt, dass Fujimori mit dem Glück im Bunde stand. Glück hatte er allemal, als er entgegen allen Prognosen zum Präsidenten gewählt wurde. Ein besonderer Glücksstrahl traf ihn sodann, als zu Beginn seiner Regierungszeit die Polizei Abimael Guzmán, den meistgesuchten Mann Perus, in dessen Versteck aufspürte und gefangen setzte. Unter dem Kriegsnamen «Presidente Gonzalo» hatte der Philosophieprofessor aus den Anden die maoistisch inspirierte, äusserst gewalttätige Untergrundorganisation des Leuchtenden Pfades gegründet und als deren ideologischer und militärischer Führer erstarken lassen. Terroranschläge und Massaker brachten Peru an den Rand der Unregierbarkeit. Die Richter verurteilten Guzmán zu lebenslänglicher Haft, Fujimori stand als glanzvoller Sieger da.

Nicht weniger Glück hatte Fujimori, als er 1996 der Geiselnahme durch einen Trupp der linken Túpac-Amaru-Rebellen in der Residenz des japanischen Botschafters in Lima entging. Statt seiner gerieten Fujimoris Mutter und weitere 600 Partygäste in die Hand der Geiselnehmer. Die Glückssträhne setzte sich fort, als es Monate später einem Sonderkommando der Armee gelang, ohne grosses Blutvergiessen der Botschaftsbesetzung ein Ende zu bereiten. Fujimori lehnte Verhandlungen mit den Geiselnehmern strikte ab. Mit seinen Militärberatern plant er ein kühnes Unternehmen. Wochenlang gruben Bergwerksspezialisten unbemerkt einen Tunnel zur besetzten Villa, durch den die Elitesoldaten schliesslich vorrücken konnten. Unbestrittener Sieger der Operation war einmal mehr der kaltblütige Planer und Feldherr Fujimori.

Lebensende in Haft

Fujimoris Stern begann zu sinken, als er sich anschickte, für eine dritte Amtsperiode zu kandidieren. Ein umstrittenes Gesetz ebnete ihm den Weg zur erneuten Wiederwahl, was vielen Peruanern in den falschen Hals geriet. Bereits zirkulierten Gerüchte über Korruption und Machtmissbrauch im Umkreis des machthungrigen Präsidenten. Massive Manipulationen trübten den Wahlprozess des Jahres 2000, der Fujimori im Amt bestätigte. Opposition und internationale Wahlbeobachter kritisierten die schamlose Einflussnahme der Regierung und des Geheimdienstes bei den Urnengängen. Ins Fadenkreuz von Opposition und internationalen Wahlbeobachtern geriet insbesondere Vladimiro Montesinos, der wichtigste Berater im Apparat des Geheimdienstes.

Unehrenhaft aus der Armee ausgeschieden, hatte sich der frühere Hauptmann und Winkeladvokat das Vertrauen Fujimoris erschlichen. Teils mit Einwilligung des Präsidenten, teils hinter dessen Rücken entwickelte er immer raffiniertere Verfahren, um Opposition und Gerichte auszuschalten, Beamte einzusetzen sowie Politiker und Medienunternehmer zu bestechen. Der peruanische Rasputin stolperte schliesslich über eine Reihe von Skandalen, in die er persönlich verwickelt war. Dazu gehörte die Überweisung von Profiten aus illegalen Waffenschiebereien auf Bankkonten in Panama und der Schweiz. Fujimori musste Montesinos fallenlassen – und fiel mit ihm. Aus Japan, wo er an einer internationalen Tagung teilnahm, reichte Fujimori per Fax Ende 2000 seinen Rücktritt als Staatschef ein.

Es folgten Jahre des Exils in Japan und Chile. Schliesslich war ein Auslieferungsgesuch der peruanischen Behörden erfolgreich. Zurück in Peru, sah sich der alt gewordene Ex-Präsident in eine Reihe von Prozessen wegen Machtmissbrauchs und schweren Menschenrechtsvergehen im Kampf gegen die Guerilla verwickelt. Ab 2009 verbüsste er dafür eine auf fünfundzwanzig Jahre angesetzte Gefängnisstrafe. Im Dezember 2023 wurde der gesundheitlich schwer angeschlagene Fujimori aus der Haft entlassen.

Richard Bauer war in den 1990er Jahren Korrespondent der NZZ in Peru.

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