Sonntag, April 20

Eine grüne Stadträtin steht unter Beschuss, weil ihre Amtschefin gleich mehrere heikle Personalentscheide gefällt oder vorbereitet hat. Am Montag traf sich die Regierung zu einer Krisensitzung.

Der Genfer Stadtrat tagt normalerweise nicht am Montag – erst recht nicht während der Osterferien. Gemäss Recherchen war es diese Woche anders, die fünf Magistraten trafen sich am Nachmittag zu einer eilig einberufenen Sitzung. Details der Diskussion liessen sich am Montagabend nicht in Erfahrung bringen, der Stadtrat will offenbar erst am Dienstag kommunizieren.

Klar ist allerdings: Bei der Krisensitzung ging es um Personalentscheide, welche die ohnehin schon skandalerprobte Genfer Republik derzeit ziemlich in Aufregung versetzen. Im Fokus steht dabei die Co-Direktorin des Bau- und Verkehrsdepartements. Wie die «Tribune de Genève» enthüllte, heuerte die Stadt letztes Jahr – mit einem befristeten Arbeitsvertrag – deren Halbschwester für einen Kommunikationsposten an.

Das Problem: Die Co-Direktorin hatte es offenbar nicht für nötig erachtet, ihre Chefin – die grüne Stadträtin Frédérique Perler – über die enge verwandtschaftliche Bindung zu informieren.

Der Briefkasten beim Bauernhof

Doch das war erst der Anfang: Die gleiche Co-Direktorin engagierte im vergangenen Sommer eine Städteplanerin, die sie persönlich kannte. Das ist nicht per se verboten, die Umstände der Anstellung lassen jedoch aufhorchen: Gemäss Personalreglement müssen städtische Mitarbeiter in Genf oder innerhalb eines bestimmten Perimeters rund um den Kanton wohnen.

Die Frau lebte in der Region Paris – doch Probleme sind schliesslich da, um gelöst zu werden. Also gab sie als Wohnsitz kurzerhand einen Bauernhof im Kanton Waadt an, wie «Léman Bleu» berichtete. Und wem gehört dieses Landgut? Dem Schwiegervater der Co-Direktorin. Pikanterweise nutzte sie jenen Briefkasten im Jahr 2019 ebenfalls, als es um ihre eigene Anstellung ging.

Allenfalls wäre das Waadtländer Domizil für die Stadtplanerin gar nicht zwingend gewesen, schliesslich können Ausnahmebewilligungen genehmigt werden. Die Co-Direktorin selbst erhielt eine solche und wohnte danach wieder in Yverdon. Dem Vernehmen nach zieht sie nun in die Region Genf.

Paris ist nicht Genf

Das politisch heikelste Dossier betrifft freilich eine dritte Anstellung, die Mitte März erfolgt ist. Es geht um einen Kaderposten für Finanzplanung. Erhalten hat den Job ein Mann, der ebenfalls aus Paris stammt – und «zufälligerweise» der Lebenspartner der im letzten Jahr verpflichteten Stadtplanerin ist.

Anstellungen auf dieser Hierarchiestufe müssen zwingend vom Gesamtstadtrat genehmigt werden. In der Regel sind solche Beschlüsse eine Formalität – doch dieses Mal flogen die Fetzen. Zwar stimmte letztlich eine knappe Mehrheit des Gremiums für die Anstellung, zwei von fünf Stadträten – darunter gar Perlers Parteikollege Alfonso Gomez – widersetzten sich aber formell.

Dem Vernehmen nach gründete deren Ablehnung weniger in der privaten Bindung zur Stadtplanerin als in seiner Herkunft. Zwar hat der Mann eine solide Ahnung von Finanzen und Berufserfahrung in einer öffentlichen Verwaltung, aber halt eben in Paris. Wie soll also jemand, der weder die Stadt Genf noch die Feinheiten des politischen Räderwerks von Grund auf kennt, von allem Anfang an voll einsatzfähig sein? Hinzu kommt, dass es weitere fähige Kandidaten für die Funktion gab.

«Mangel an Transparenz»

Nach den diversen Enthüllungen scheint sich die Stadtexekutive bei dieser und weiteren Fragen nicht mehr so sicher zu sein. Ende März verschickte sie ein Communiqué, in dem sie den «Mangel an Transparenz» bedauert, der innerhalb des Bau- und Verkehrsdepartements «gewisse Anstellungsprozesse, insbesondere im Umgang mit Interessenkonflikten, überschattet» habe. Eine interne Untersuchung sei im Gang, allfällige Massnahmen würden danach getroffen.

Die grosse Frage in dieser ganzen Angelegenheit ist: Was wusste Stadträtin Perler, und hat sie allenfalls gar entscheidende Informationen gegenüber ihren Regierungskollegen verschwiegen?

Wie auch immer die Antwort darauf lautet: Schmeichelhaft wird sie für die Grüne nicht sein. War sie im Bild über die verwandtschaftlichen Beziehungen der verschiedenen Personen – wovon nicht auszugehen ist –, fühlen sich die Regierungskollegen (noch mehr) verschaukelt. War sie es nicht, hat sie ihren Laden nicht im Griff.

Steilpass für politische Gegner

Beides ist schlecht für die Glaubwürdigkeit einer Politikerin, die voraussichtlich nächstes Jahr wiedergewählt werden möchte – und die nicht zum ersten Mal mit Negativschlagzeilen auffällt. 2021 wurde bekannt, dass sie über eine illegale Aktion von Aktivisten, die mitten in der Stadt den Asphalt aufhämmerten, vorab informiert war, wenn auch nicht in allen Details. Sie entschuldigte sich später für ihren «Einschätzungsfehler», blieb aber von einem Disziplinarverfahren verschont.

Für die politischen Gegner Perlers ist die Gelegenheit jedenfalls zu schön, um sie nicht auszunützen – schliesslich gilt es, sich für die bevorstehenden Gesamterneuerungswahlen in Stellung zu bringen. Am lautesten schreien naturgemäss jene Parteien, die im Genfer Stadtrat nicht vertreten sind. Mit je zwei Personen von SP und Grünen sowie einer Mitte-Politikerin ist dieser klar links dominiert.

Die SVP Genf fordert Perlers Rücktritt, das Mouvement Citoyens Genevois (MCG) will gar, dass der Stadtrat, der «skandalöse Praktiken» decke, in corpore abtritt. Auch die FDP zeigt sich «tief besorgt» und verlangt, dass Perler – sollten sich die Vorwürfe bestätigen – allenfalls das Departement entzogen wird.

Die Grünen ihrerseits stehen vor einer heiklen Entscheidung: Erneuern sie das Vertrauen in ihre Stadträtin – und riskieren im Frühling eine schmachvolle Abwahl? Oder lassen sie die 63-Jährige fallen und riskieren damit ein internes Zerwürfnis? Die Parteiversammlung vom 22. April wird zweifellos erste Antworten darauf liefern.

Vater und Tochter

Nicht zuletzt dürfte sich auch in der Genfer Bevölkerung ein gewisser Unmut breitmachen, wenn es um Vorwürfe von Vetternwirtschaft geht. Keinen Monat ist es her, dass die Staatsrätin Delphine Bachmann unter Beschuss geriet, weil ihr Vater zum neuen Informatikdirektor des Kantons ernannt worden ist.

Die Fälle sind allerdings nur bedingt miteinander vergleichbar. Tochter Bachmann ist vor und während des Staatsrats-Entscheids in den Ausstand getreten – und der Vater Bachmann wohnt schon sein ganzes Leben lang in Genf.

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