Donnerstag, Dezember 26

Während sich OC Oerlikon in die Aufspaltung flüchtet, setzt der Winterthurer Industriekonzern Sulzer auf Wachstum. Seine Chefin hat dabei die Zügel fest in der Hand – und legt gerade erst los.

Am Donnerstag war es endlich so weit, nach Monaten des Wartens: An der Jahresmedienkonferenz des Winterthurer Industriekonzerns Sulzer stellte die CEO Suzanne Thoma die neue Strategie des Unternehmens vor. Aus dem Pumpenhersteller soll ein Anbieter von Lösungen in den Bereichen Energie und natürliche Ressourcen werden. Hundert verschiedene Initiativen sollen das Unternehmen international an die Spitze bringen. Im Gegensatz zum Pfäffiker Maschinenhersteller OC Oerlikon, der im Februar seine Aufspaltung bekanntgab, setzt Sulzer also auf Wachstum.

Wer Suzanne Thoma kennt, glaubt an ein Déjà-vu. Bekanntheit erlangte sie schliesslich dadurch, dass sie in den 2010er Jahren den Berner Energieversorger BKW umbaute. Als dieser in Schieflage zu geraten drohte, suchte Thoma neue Geschäftsfelder, schaltete das AKW Mühleberg ab und baute den Dienstleistungsbereich aus – mit grossem Erfolg.

Am liebsten wird sie selbst aktiv

An diesen Erfolg will sie bei Sulzer anknüpfen. Bei dem fast 200 Jahre alten Industriekonzern ist Suzanne Thoma seit November 2022 nicht nur Verwaltungsratspräsidentin, sondern auch Geschäftsführerin. Das ist in zweifacher Hinsicht ungewöhnlich: weil solche Doppelmandate in der Schweiz selten geworden sind und weil erstmals in der Firmengeschichte eine Frau diese Position innehat.

Den Griff nach der Macht begründete Thoma damit, dass bei Sulzer wegen Verschiebungen bei der Nachfrage «dringender Handlungsbedarf» bestehe. Und wenn das der Fall ist, legt sie am liebsten selbst Hand an.

Wer sich über Thoma erkundigt, hört fast überall dasselbe: Sie sei jemand, der anpacke und Vorhaben durchziehe. Der eine sehr konkrete Vorstellung davon habe, wie die Dinge zu laufen hätten. Jemand mit dickem Fell. Streng, zuweilen kompromisslos.

Die Geschäftsführung wurde ausgewechselt

Was das bedeutet, konnte man bei Sulzer sehen. Kaum wurde sie 2021 VR-Präsidentin, ging der langjährige CEO Greg Poux-Guillaume von Bord. Nur acht Monate später war auch sein Nachfolger Frédéric Lalanne weg, dessen Posten Thoma übernahm. Innerhalb kürzester Zeit besetzte sie die gesamte Geschäftsleitung neu. Als VR-Präsidentin dabei zusehen zu müssen, wie jemand anderes die operativen Geschäfte führt, fiel ihr offensichtlich schwer. Von ehemaligen Weggefährten ist zu hören, sie verzweifle daran, wenn jemand die Dinge nicht so mache, wie sie es machen würde.

Sie selbst sagt, sie habe eine grosse Freude am Gestalten. Als Schülerin war Thoma, die 1962 in Zug geboren wurde, Mitglied der Jungfreisinnigen – zu einer Zeit, in der die Jugendunruhen die Schweiz erschütterten. «Damals hiess es, ‹Alle Jungen sind links›. Aber es gab eben ein Trüppchen, das es nicht war», erzählt sie. Vielleicht habe sie das auch etwas gereizt, dieser Konflikt, nicht mit dem Mainstream zu gehen.

Auch in ihrer späteren Karriere hat sie Konflikte nie gescheut. Nicht bei der BKW, wo sie Kritik immer wieder mit dem Argument zurückwies, ein börsennotiertes Unternehmen müsse eben gewinnorientiert ausgerichtet sein. Und nicht bei Sulzer, wo sie ihr Doppelmandat stets damit verteidigt, es sei das Beste für die Firma. Das «argumentative Schwerterkreuzen», wie sie selbst es bezeichnet, liegt ihr.

Unbequeme Entscheidungen sind kein Problem

Die einen sagen, sie sei schwierig im Umgang und in ihren Entscheidungen unerbittlich. Die anderen sagen, sie sei offen für Anregungen und neue Meinungen. Aber wenn sie sich ihrer Sache sicher sei, ziehe sie diese auch durch.

Bei der BKW erarbeitete sie sich rasch den Ruf einer Chefin, die Köpfe kürzt, wenn ihr jemand nicht passt. Der ehemalige VR-Präsident des Unternehmens, Urs Gasche, sieht das anders: «Ja, sie hatte die nötige Konsequenz und auch die Härte, unbequeme Führungsentscheidungen zu treffen. Aber sie war dabei stets menschlich und hat jedem Mitarbeiter mehrere Chancen gegeben.»

Sie selbst ist davon überzeugt, dass es nötig ist, Menschen zu fordern – so, wie sie sich selbst stets neuen Herausforderungen stellt. Kurz vor der Matura, zu ihren FDP-Zeiten, hatte sie noch vor, Betriebswirtschaft zu studieren. Dann entschied sie sich doch für Chemieingenieurwesen an der ETH – was wohl auch eher dem Wunsch ihres Vaters entsprach, der Physiker war und selbst an der renommierten Hochschule studiert hatte.

Eine Karriere dank Beharrlichkeit

In den ersten zwei Jahren an der ETH sei sie «ein bisschen auf die Welt gekommen». Neben dem Studium blieb für politisches Engagement und ihre Leidenschaft, das Reiten, keine Zeit mehr. Weibliche Vorbilder gab es für sie wenige. «In meinem ganzen Studium bin ich keiner Professorin begegnet, höchstens mal einer Oberassistentin.» Dennoch erlangte sie 1989 die Promotion und stieg als Verfahrensingenieurin bei der Ciba Spezialitätenchemie (heute BASF) ein, wo sie bis 2002 tätig war.

Sie, die immer anpacken wollte, musste sich lange Zeit ihrer Karriere gedulden. «In der chemischen Industrie hat man auf mich als junge Frau und Mutter von zwei Kindern damals nicht unbedingt gewartet», sagt sie rückblickend. «Ich denke, dass meine Karriere deswegen eher langsam angefangen hat, weil man teilweise zurückhaltender war beim Übertragen von Verantwortung.»

Heute glaubt sie, dass es ihre Beharrlichkeit war, die sie so weit brachte – und dass die Tatsache, dass ihre Karriere sich eher stetig entwickelte, ihr dabei half, zu reifen. In schwierigen Situationen nicht aufzugeben, bezeichnet sie als ihre Stärke. Erstmals CEO wurde Thoma 2007 bei dem auf Hightech-Materialien spezialisierten Startup Rolic Technologies, das inzwischen ebenfalls in BASF aufgegangen ist. Zur BKW kam sie 2010, als Leiterin der Netzsparte. Drei Jahre später wurde sie Geschäftsführerin des Konzerns.

Bei der BKW machte sie sich nicht nur Freunde

Damit fand sie nach langer Zeit in der Industrie gewissermassen den weg zurück in die Politik. Weil die BKW zu 52 Prozent dem Kanton Bern gehört, sorgte Thomas kompromisslose Wachstumsstrategie bei der Konkurrenz für Kritik. Ein vom Staat kontrolliertes Unternehmen mit Einnahmen aus der Monopolversorgung, das als Konkurrent lokaler Gewerbeunternehmen auftrat, kam bei vielen nicht gut an. Auch intern sorgte sie für einen Kulturwandel. «Es ist nicht so, dass die Leute nicht gearbeitet haben», sagt sie heute. «Aber es gab wirklich viel Bürokratie. Man hat gewisse Sachen einfach gemacht und nicht hinterfragt.»

Der Erfolg gibt ihr recht. Urs Gasche bezeichnet sie heute als einen «Glücksfall, den es so in meinem Berufsleben nur ein einziges Mal gegeben hat». Die BKW-Aktionäre dürften ihm da zustimmen: Der Aktienkurs hat sich bis zu ihrem Abgang fast vervierfacht.

Ob ihr das mit Sulzer auch gelingen wird, wird sich zeigen. Suzanne Thoma betont bei jeder Gelegenheit, das Unternehmen habe viel ungenutztes Potenzial. Klar, dass sie da nicht tatenlos zusehen kann. Leute, die sie kennen, sagen, die Rolle der VR-Präsidentin passe eigentlich gar nicht zu ihr. Sie sei die geborene CEO.

Bis 2028 soll die neue Sulzer-Strategie umgesetzt werden. Ob sie bis dahin am Doppelmandat festhalten will, lässt Thoma offen. An ein mögliches Ende der Macht oder gar ans Rentenalter zu denken, fällt der 62-Jährigen schwer. Es gibt schliesslich noch viel zu tun. Nicht nur die Zukunft der Schweizer Industrie bereitet ihr Sorgen, sondern die des ganzen Landes. In der Bevölkerung gehe der Gedanke, dass Wohlstand immer erarbeitet werden müsse, immer mehr verloren, sagt sie im Gespräch. Doch um ihre Standards zu halten, müsse die Schweiz top sein, nicht nur Mittelklasse.

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