Freitag, Januar 10

Das Bonner Beethoven-Haus hat ein bedeutendes Autograf zum späten Streichquartett op. 130 erworben. Es hat eine wechselvolle Geschichte.

Die Manuskripte grosser Komponisten besitzen eine faszinierende Aura. In der Begegnung mit den handgeschriebenen Noten eines Meisterwerks meint man dem Geheimnis des künstlerischen Schaffens unmittelbar nahe zu sein. Denn hier, auf diesem mehr oder weniger lesbaren Papier, manifestieren sich erstmals jene Ideen, die später womöglich den Gang der Musikgeschichte verändert haben.

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Wer etwa die rare Gelegenheit bekommt, einen Blick auf die Originalpartitur von Mozarts Requiem zu werfen – die vermutlich wertvollste Musikhandschrift der Welt wird allerdings nur selten und unter strengen Sicherheitsvorkehrungen ausgestellt –, spürt das fast überdeutlich: An diesen vergilbten Manuskriptseiten konkretisiert sich Geschichte, sie sind der Ursprung all der Mythen und Anekdoten, die das Werk bis heute umgeben.

Derart geschichtenschwere Manuskripte gibt es auch bei Beethoven. Das Autograf von dessen 9. Sinfonie gehört seit 2001 zum Dokumentenerbe der Menschheit. Dabei war Beethoven alles andere als ein säuberlicher Schreiber. Doch gerade in dem immer noch sichtbaren Ringen mit der Materie wird der kreative Prozess anschaulich. Geradezu drastisch zeigt das die Handschrift der Diabelli-Variationen, deren Ankauf dem Bonner Beethoven-Haus 2009 mithilfe von Spenden aus aller Welt gelang: Auf dem Höhepunkt des Stücks findet sich hier ein fetter, schwarzer Klecks – offenbar hat Beethoven im Schaffensrausch sein Tintenfass umgeworfen.

Doppelbödige Idylle

Jetzt ist dem Bonner Forschungsinstitut wieder ein bedeutender Ankauf geglückt. Und wieder verbindet sich mit dem Manuskript Musikgeschichte – und ein historisches Drama. Es handelt sich um die einzige authentische Niederschrift des vierten Satzes aus Beethovens Streichquartett op. 130.

Dieses Spätwerk von 1826 umgibt auf dem Gebiet der Kammermusik ein ähnlicher Nimbus wie die zwei Jahre ältere 9. Sinfonie. Sein langsamer Satz, die tiefsinnige «Cavatine», die Beethoven selbst als «Krone» seines Quartettschaffens empfand, reist seit 1977 mit der Sonde Voyager 2 auf einer goldenen Schallplatte durch den Weltraum. Der nachkomponierte Finalsatz ist Beethovens letztes vollendetes Stück; es ersetzt die später separat veröffentlichte «Grosse Fuge» op. 133 – eine seiner radikalsten Konzeptionen.

Der nur gut drei Minuten dauernde vierte Satz, «Alla danza tedesca» betitelt, erscheint demgegenüber wie ein idyllischer Rückblick auf die Quartetttradition der Wiener Klassik. Doch unter der heiteren Oberfläche gibt es, wie immer beim späten Beethoven, subtile Störungen und rhythmische Verschiebungen, die der Idylle etwas Ironisch-Doppelbödiges verleihen.

The Emerson String Quartet: 4th mvt of Beethoven Opus 130 (Alla danza tedesca)

Enteignung und Restitution

Die nun mit Geldern zahlreicher Stiftungen und privater Unterstützer angekaufte Niederschrift hatte während des 20. Jahrhunderts ein bewegtes Schicksal. Die Noten, eingefasst in einen Prachteinband aus farbigem Seidensamt mit Messingbeschlägen, befanden sich ab den 1920er Jahren im Besitz der jüdischen Familie Petschek in Aussig. Von den Nazis verfolgt, verliess die Familie 1938 ihre Heimat; ihr Besitz wurde beschlagnahmt. Als sich die NS-Behörden 1942 an die Verwertung ihrer Kunstsammlung machten, soll der damalige Leiter der Musiksammlung des Mährischen Museums in Brünn die Noten für das Museum gesichert haben. Ihr Verbleib in der Endphase des Krieges ist unklar.

Als die Familie Petschek die Handschrift nach 1945 in der Tschechoslowakei aufspürte, verweigerte die kommunistische Regierung die Herausgabe. Das Autograf wurde erst im Jahr 2022 an die Nachkommen restituiert. Sie erklärten sich Ende 2024 bereit, es in die Sammlung des Beethoven-Hauses zu geben. Über den Kaufpreis herrscht Stillschweigen. Er dürfte angesichts der Bedeutung von Komponist und Werk mindestens im sechsstelligen Bereich liegen.

Daniel Hope, der Musikdirektor des Zürcher Kammerorchesters und seit 2020 auch Präsident des Beethoven-Hauses, zeigte sich bei einem Festakt in Bonn überglücklich, «dass wir die letzte bekannte grosse Beethoven-Handschrift, die sich noch in Privatbesitz befand, für unsere Sammlung erwerben konnten». Nachdem der Zugang zu der handschriftlichen Quelle jahrzehntelang verwehrt war, soll das Kleinod nun digitalisiert und im Online-Archiv des Beethoven-Hauses einsehbar werden. Von Juni an wird das Original ausserdem in einer Sonderausstellung präsentiert.

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