In Polen wird die im Mai anstehende Präsidentschaftswahl zeigen, wie wirksam die Kulturpolitik der polnischen Rechten anderthalb Jahre nach der Abwahl der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) noch ist. Der erwartete scharfe ideologische Bruch ist bisher ausgeblieben.
Der seit Oktober 2023 regierenden polnischen Bürgerplattform ist es durch einen neuen Stil gelungen, das aufgewühlte Fahrwasser zu glätten, das die Kultureinrichtungen umgab. Inzwischen wurden die wichtigsten Häuser auf nationaler Ebene in regulären Verfahren mit neuen Direktoren besetzt. In der Warschauer Nationalgalerie Zacheta, in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Ujazdowskie und im neu gegründeten Ghetto-Museum übernimmt eine neue Generation von Kuratoren, Historikern und Künstlern die Geschäfte. Sie kann den Bruderzwist der polnischen Generation, die sich noch vom runden Tisch 1989 kannte, beenden, indem sie sich in der praktischen Arbeit neuen Problemen zuwendet.
Langfristige Veränderungen stehen unter dem Vorbehalt der für den 18. Mai angesetzten Präsidentschaftswahlen. Gewinnt mit Rafal Trzaskowski der Kandidat der Bürgerplattform, hätten Ministerpräsident Donald Tusk und seine Kulturministerin zum ersten Mal die Möglichkeit, auch mit neuen Gesetzen die institutionelle Landschaft zu verändern. Dies war bis anhin aufgrund des Vetorechts des amtierenden Präsidenten, Andrzej Duda, nicht möglich.
Da Duda nicht mehr antreten kann, stellte die PiS als Gegenkandidaten den 1983 geborenen Historiker Karol Nawrocki auf, der 2017 auf Ansinnen von Jaroslaw Kaczynski zunächst das Museum des Zweiten Weltkriegs übernommen hatte, bevor er 2021 Präsident des Instituts für nationales Gedenken wurde. Er tritt im Mai von diesem Amt aus in den Wahlkampf, weil sich die Bürgerplattform prinzipiell an geltendes polnisches Recht hält.
Hütchenspieler-Taktik
In der Parlamentswahl für den Sejm hatten die polnischen Bürger 2023 auch eine Politik abgewählt, die den Kulturkampf von rechts acht Jahre lang in jedes Theater, jedes Museum und jede Galerie getragen hatte. Am Anfang des systematischen Umbaus hatte die formelle Zusammenlegung bestehender Institutionen gestanden, um deren Direktoren abberufen zu können.
Prominentes Beispiel für diese Hütchenspieler-Taktik war das Museum des Zweiten Weltkriegs, das 2017 trotz internationalen Protesten mit dem unbedeutenden Museum Westerplatte fusioniert wurde. Damit versuchte der Kulturminister Änderungen an der vom Gründungsdirektor Pawel Machcewicz auf den Weg gebrachten Dauerausstellung durchzusetzen.
Der zweite Schritt war die Gründung zahlreicher neuer Kulturinstitutionen, die fortan, mit viel Geld ausgestattet, die neue ideologische Leitlinie umsetzen sollten. Die Verve und die Summen, mit denen diese Klotzen-statt-kleckern-Strategie fortan realisiert wurde, brachten Beobachter in Polen und ausserhalb gleichermassen zum Staunen.
Das Pilecki-Institut, das zusätzlich zum Institut für nationales Gedenken an das Unrecht von Krieg und Diktatur erinnern soll, mietete 2019 in Berlin am Brandenburger Tor in unmittelbarer Nachbarschaft zur französischen Botschaft zwei Etagen an, um dort eine neue Dauerausstellung über das Wirken des Widerstandskämpfers Witold Pilecki zu zeigen, der sich freiwillig für den polnischen Untergrund in das Stammlager Auschwitz begab und nach Kriegsende von der kommunistischen Regierung Polens als Staatsfeind ermordet wurde. Als Pendant im Kleinen förderte das polnische Kulturministerium in der Kleinstadt Ostrow Mazowiecka im Norden von Warschau den Neubau eines Museums, das der Familie von Witold Pilecki gewidmet ist, mit 3 Millionen Euro.
Unter den ideologischen Flaggschiffen befinden sich zahlreiche neue Museen, die die Folgen des Zweiten Weltkriegs im 21. Jahrhundert mit neuen Stilmitteln erzählen. Das Wichtigste ist die radikal moderne Architektur, die wie etwa im Gedenkort Michniow eine internationale Formensprache von Gedenkkomplexen in Waschbeton und Roststahl aufgreift und in einer Mikrokonstellation neu interpretiert.
Im ostpolnischen Dorf entwarf der Warschauer Architekt Miroslaw Nizio eine Erinnerungslandschaft, die stellvertretend für Hunderte vollständig von Wehrmacht und SS zerstörte Dörfer im besetzten Polen steht. In Michniow ermordeten die deutschen Besetzer im Sommer 1943 über 300 Einwohner und zerstörten fast alle Gebäude. Der Architekt Nizio bildete die Kubatur dörflicher Holzhäuser und Scheunen in Beton nach und ordnete die Umrisse zerstörter Häuser in die Flucht ihrer Fassaden ein. Damit gelang es ihm, zugleich Museumsräume zu schaffen und mit der Leerstelle ein Symbol für die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg zu finden.
Museen wie dieses über das Martyrium des zerstörten polnischen Dorfs funktionieren auch nach dem Ende der PiS-Herrschaft, weil die in ihnen entwickelte Erzählung nicht nur die unmittelbaren Unterstützer von Jaroslaw Kaczynski anspricht. Auch anderthalb Jahre nach der Abwahl der PiS findet der Dreiklang aus der pathetischen Neuinterpretation der Spätmoderne, der Suche nach neuen Erzählformen und der nationalen Überhöhung von Heldentum und Opfertum beim Publikum Gehör.
Ähnliche ideologische Linie
Es gibt mehrere Gründe, warum mit der Wahl der Bürgerplattform 2023 kein gänzlich neues Zeitalter anbrach. So bediente sich das Kulturministerium unter Donald Tusk zunächst ähnlicher Mittel wie die PiS, um die neue Linie der polnischen Kulturpolitik durchzusetzen. Die erste Amtshandlung der Kulturministerin Hanna Wroblewska war die Versetzung des Direktors des Museums der polnischen Geschichte, der mit dem aufwendig in die Warschauer Zitadelle gefügten Neubau nach jahrelanger Arbeit kurz vor dem Erfolg stand, eine neue Erzählung von tausend Jahren polnischer Geschichte zu etablieren.
Weiter ist die ideologische Linie der Bürgerplattform in Geschichtsfragen nicht meilenweit von der Erzählung der Partei Recht und Gerechtigkeit entfernt. Auch sie stellt eine Nationalerzählung in den Mittelpunkt, befördert aber den Blick aus mehreren Perspektiven. Sodann entschied Donald Tusk, die grossen Budgets der neu entstandenen Kulturinstitutionen nicht grundsätzlich zu kappen, sondern sie für die Umsetzung eigener Projekte zu nutzen.
So wurde das 2020 neu gegründete Dmowski-Institut für nationales Denken in Warschau nicht wie angekündigt abgewickelt, sondern in Narutowicz-Institut für politisches Denken umbenannt und politisch auf Linie der heutigen Regierung gebracht. Auch das Pilecki-Institut wurde nicht wie von Fachleuten vorgeschlagen mit dem Institut für nationales Gedenken fusioniert, sondern wird derzeit unter der neuen Leitung zu einem Forschungsinstitut umgebaut.
Dass die PiS-Kulturpolitik die polnische Kulturlandschaft langfristig prägt, ist aufgrund der hohen Anzahl von Neugründungen, der Erhöhung der Budgets in ausgewählten Institutionen sowie deren starker ideologischer Ausrichtung mehr als wahrscheinlich. Der zuständige Kulturminister Jaroslaw Gowin hatte neben dem mit harter Hand geführten Kulturkampf auch die Vision, neue Erzählungen der Geschichte Polens zu entwickeln.
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit unterstützte das Warschauer Kulturministerium den Ankauf des historischen Gebäudes einer Synagoge in Miedzyrzecz durch das dortige Archäologische Museum. Da die Stadt bis 1945 Meseritz hiess und im Deutschen Reich lag, sprachen die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Deutsch und waren kulturell stark auf Breslau und Berlin ausgerichtet.
Die Synagoge wurde bis zur Corona-Pandemie als Asia-Markt genutzt und steht nun in Teilen unter Denkmalschutz. Die zukünftige Einbeziehung ihrer Geschichte in die Erzählung des Museums hat das Potenzial, die jüdisch-deutsche Geschichte des polnischen Westens neu zu erzählen. In Warschau, Berlin und Miedzyrzecz hat längst eine jüngere Generation polnischer Kulturvermittler das Ruder übernommen, die in den kommenden Jahren ihre eigene Sichtweise von Geschichte, Gegenwart und Zukunft Polens erarbeiten wird.
Felix Ackermann lehrt Public History an der Fernuniversität Hagen.