Dienstag, November 26

Ein Dschungel von Zertifikaten, hohe Kosten und tausend Fragen: Ökologischer zu werden, ist für viele Firmen nicht einfach. Auf einer neuen Plattform gibt es jetzt Unterstützung innert Sekunden.

Ein Satz lautet: «Wir müssen aufhören, Kunststoff zu verbrennen, denn das setzt Kohlenstoffdioxid frei.» Ein anderer: «So, wie wir mit dem Planeten umgehen, haben wir keine Zukunft.» Solche Sätze stammen nicht von einem Naturschützer, sondern von Patrick Semadeni, Geschäftsführer der Semadeni Industry Group AG – einer Kunststofffirma aus Ostermundigen. Sich für die Umwelt einzusetzen und gleichzeitig mit Flaschen oder Pipetten aus Kunststoff zu geschäften, ist für ihn kein Widerspruch. Im Gegenteil: «Als Unternehmer kann ich gerade in diesem Bereich einen grossen Impact haben.»

Doch nachhaltig zu produzieren, kann sehr kompliziert sein. Unternehmer wie Semadeni müssen sich durch einen Dschungel von Vorschriften und Zertifikaten kämpfen und sich mit einer Menge Fragen herumschlagen: Sind Plastik- oder Kartonverpackungen besser für die Umwelt? Was bedeutet Kreislaufwirtschaft? Was gehört in einen Nachhaltigkeitsbericht? Diese Komplexität schreckt ab.

Für jeden die passende Antwort

Darum hat Patrick Semadeni zusammen mit dem Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) die «Toolbox Agenda 2030 für Unternehmen» lanciert – eine Online-Plattform für Firmen, die umweltbewusster werden wollen. Seit zwei Monaten können deren Vertreter diese Suchmaske ausfüllen: «Ich suche (Möglichkeiten, Standards, Praxisbeispiele usw.), um mein Unternehmen (in der Gastronomie, im Baugewerbe, im Detailhandel usw.) nachhaltiger zu machen.» Einen Mausklick später spuckt das Programm Informationen aus, wie man CO2-Emissionen reduzieren, Strom sparen oder Ansprechpartner finden kann. Geliefert werden auch Praxisbeispiele von ökologisch progressiven Unternehmen sowie ein Glossar mit Fachbegriffen. Kostenlos und ohne Registrierung.

Wie Semadeni sind auch die Bundesvertreter überzeugt, dass die Wirtschaft viel verändern kann im Land: «Die über 600 000 KMU der Schweiz zahlen Steuern, beschäftigen Mitarbeitende, brauchen Ressourcen und haben damit einen grossen Hebel», sagt Fabrice Burri, der die Toolbox beim ARE als wissenschaftlicher Mitarbeiter verantwortet hat. «Doch einem mittelgrossen Textilimporteur und einer regionalen Bäckerei stellen sich ganz andere Fragen, und sie haben unterschiedliche Ziele.» Die Toolbox soll alle schnell zu den richtigen Antworten führen.

Von so einer Starthilfe konnte Patrick Semadeni nur träumen, als er seine Firma 2017 ökologischer machen wollte. Motiviert hatte ihn ein Geschäftsfreund aus Dänemark, der aus gebrauchten Fischernetzen Kunststoff produzierte. Dies auf Basis der Uno-Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen, die Welt bis 2030 nachhaltiger zu gestalten: ökologisch, wirtschaftlich und sozial. Ziel 1 – keine Armut, Ziel 8 – menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum. Oder Ziel 13 – Klimaschutz. An diesen Zielen orientiert sich Semadeni heute ebenso wie der Bund. So trägt der Unternehmer genau wie Fabrice Burri vom ARE immer das bunte Logo der Uno-Agenda 2030 auf sich: Als Pin steckt es den Männern im Anzugsrevers.

Semadeni hat sich in Umweltchemie weitergebildet und gelernt, wann eine Alternative zu Kunststoff umweltfreundlicher ist, Glas zum Beispiel. Und er hat auch gelernt, wann es klüger ist, einen Einwegartikel statt ein wiederverwendbares Mehrwegprodukt zu verkaufen. Im medizinischen Bereich etwa kann es sein, dass die Reinigung einer Pipette mehr schädliche Stoffe generiert als die Verbrennung eines Einweg-Plastikprodukts. Die meisten Spritzen, Handschuhe oder Dosen, die Semadenis Firma herstellt, sind zwar immer noch aus Kunststoff.

Aber überall, wo es sinnvoll ist, wird das Material so bearbeitet, dass es entweder gewaschen und mehrfach gebraucht oder in Einzelteile zerlegt werden kann. Und manche Produkte werden aus wiederverwerteten Materialien produziert: Mit Migros und Coop stellt Semadeni Flaschen aus Plastik her, das rezykliert oder aus dem Meer gefischt wurde.

«Am schwierigsten ist das Umdenken», sagt Semadeni: alle Geschäftsfelder auf den Kopf zu stellen und Produkte neu zu designen, damit die Materialien für die Wiederverwertung auseinandergenommen werden können. Bei der Semadeni Industry Group AG, einer Firma mit über 200 Angestellten, ist der Umstellungsprozess noch immer am Laufen. Diese Prozeduren können den Firmen ebenso wenig abgenommen werden wie die Kosten: Allein die Massnahmen für den Klimaschutz – CO2-Reduktion, Wechsel auf erneuerbare Energien – beziffert Semadeni auf einen knapp sechsstelligen Betrag.

Nachahmer gesucht

Doch die Toolbox soll praktische Hilfestellungen anbieten, um die Transformation überhaupt anzugehen. Initiiert hat sie das ARE: Es versteht die Plattform als Beitrag zu den Uno-Zielen, auf die sich die Schweiz verpflichtet hat. Eine ähnliche Toolbox gibt es bereits ein Jahr länger für Gemeinden und Kantone, welche die Ziele umsetzen und sich vernetzen wollen. Zusammen mit fünfzehn Unternehmern aus verschiedenen Branchen – unter ihnen Patrick Semadeni, der die industrielle Fertigung repräsentiert – hat das ARE dieses Modell in rund anderthalb Jahren für Firmen weiterentwickelt.

Umstellungen könnten für die Firmen von grossem Nutzen sein, meint Fabrice Burri vom ARE. «Wir sind überzeugt, dass sich langfristig Unternehmen durchsetzen, die ökologisch, sozial und wirtschaftlich nachhaltig arbeiten.» Wer die Umwelt verschmutze, dem drohten Reputationsrisiken, und wer für jüngere Arbeitnehmer attraktiv sein wolle, müsse heute auch den Klimaschutz berücksichtigen. Und nicht zuletzt lasse sich langfristig auch Geld sparen durch umsichtige Umweltmassnahmen: «Wer schon vor dem Krieg Russlands auf Erneuerbare umgestiegen ist, hat das ziemlich sicher im Portemonnaie gespürt.»

Die Toolbox lässt sich der Bund 130 000 Franken kosten. Wie die Plattform in der Wirtschaftswelt ankommt, wird sich zeigen: Erste Auswertungen gibt es im Herbst. Semadeni hofft, dass viele Firmen das Angebot nutzen, denn seine Motivation, sich bei dem Projekt zu engagieren, ist schlicht und einfach: «Ich will Nachahmer haben.»

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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