Freitag, Oktober 18

Der Aargauer Nationalrat, der bei der SVP für das Dossier Zuwanderung und Migration verantwortlich ist, will das Urteil anfechten.

Dass Andreas Glarner vor Gericht erscheinen muss, ist gar nicht so selten. Mit seinen Beiträgen auf den sozialen Netzwerken hat der Aargauer SVP-Nationalrat in den letzten Jahren immer wieder für Empörung und negative Schlagzeilen gesorgt. Ein Tweet war auch der Anlass für eine bemerkenswerte Verhandlung, die am Mittwoch vor Bezirksgericht Bremgarten stattfand.

Abgesetzt wurde dieser allerdings nicht von Glarner selbst, sondern vom bekannten Journalisten Hans-Jürgen (Hansi) Voigt. Der Medienunternehmer hatte Glarner im Dezember 2022 auf Twitter (heute X) als «Gaga-Rechtsextremist» bezeichnet. Auf Anzeige von Glarner hatte die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten Voigt im Juni 2023 zu einer bedingten Geldstrafe von 1000 Franken verurteilt.

Nicht in seiner Ehre als Mensch verletzt

Gegen diesen Strafbefehl erhob Voigt Beschwerde, so dass der Fall gerichtlich beurteilt werden musste. Gemäss mehreren Medienberichten waren sowohl Voigt als auch Glarner anwesend – letzterer allerdings ohne anwaltschaftliche Vertretung. Das Gericht sprach Voigt nun frei.

Laut der schriftlichen Zusammenfassung der mündlichen Urteilsbegründung greife der strafrechtliche Schutz im politischen Diskurs erst, wenn jemand nicht als Politiker, sondern in seiner Ehre als Mensch verletzt werde. «Das ist hier nicht der Fall.» Der Ausdruck Gaga-Rechtsextremist habe sich nicht auf die Ehre von Glarner als Mensch bezogen. Zudem müsse es erlaubt sein, jemandem eine politische Gesinnung zuzuschreiben, die zur öffentlichen Wahrnehmung seiner Person im politischen Umfeld passe.

Der von Voigt gewählte Ausdruck beschreibe Glarner «in sachbezogener Weise, einerseits im Sinne der klassischen Verortung im politischen Spektrum», so das Gericht in der Zusammenfassung. Andererseits werde auch sein Politstil eingeordnet. Diese Einordnung sei Teil eines politischen Diskurses gewesen, auf welchen sich der Schutzbereich des Strafrechts grundsätzlich nicht erstreckt.

Glarner beschimpfte Nationalratskollegin

Voigts Anwalt argumentierte gemäss den Zeitungen der TX-Group vor allem mit Medienberichten über die zahlreichen öffentlichen Kontroversen, die Glarner als SVP-Parlamentarier und früherer Gemeindepräsident von Oberwil-Lieli ausgelöst hatte. So veröffentlichte er 2018 eine Klassenliste aus einer Dübendorfer Schule und stellte die Kinder wegen ihrer ausländisch klingenden Namen an den medialen Pranger. Mit der Lehrerin einigte sich Glarner später aussergerichtlich.

Ein Jahr später veröffentlichte Glarner die Telefonnummer einer Lehrerin. Dies weil sie in einem Elternbrief darauf hingewiesen hatte, das muslimische Kinder während des Fastenbrechens zu Hause bleiben dürfen. 2020 unterstellte Glarner der Nationalrätin Sibel Arslan (Grüne) vor laufenden Kameras, sie sei keine echte Schweizerin.

Der Anwalt wollte mit diesen Beispielen aufzeigen, dass Voigts Tweet in der Sache zutrifft. Die Vorfälle würden nämlich zeigen, «dass Herr Glarner die digitalen Kanäle dazu nutzt, hetzerische und diskriminierende Äusserungen zu verbreiten», zitieren die Medien der TX-Group aus dem Plädoyer. Solche «digitale Gewalt» sei typisch für den modernen Rechtsextremismus.

Auch in seiner Partei umstritten

Das Urteil des Bezirksgerichts dürfte in den kommenden Tagen die Diskussion über die Rolle von Glarner innerhalb der Partei anheizen. Der Aargauer Nationalrat ist auch innerhalb seiner Partei nicht unumstritten. Problematisch ist das Urteil für den Aargauer Nationalrat nicht zuletzt deshalb, weil er innerhalb seiner Partei für das Dossier Zuwanderung und Migration verantwortlich ist. Bemerkenswert ist ausserdem, dass die Anzeige wegen eines Tweets von einem Vertreter der SVP eingereicht wurde – jener Partei, die sich gerne gegen angebliche und tatsächliche Sprechverbote zur Wehr setzt.

Auch im Kanton Aargau dürfte der Richterspruch die Diskussionen über den Stil des umstrittenen Politikers anheizen. Glarner vertritt die Aargauer SVP nicht nur im Nationalrat, er ist auch deren Präsident. Seine Aktionen sorgten auch in diesem Kreis immer wieder für Kopfschütteln und wurden teilweise für das schlechte Abschneiden der Partei bei Wahlen verantwortlich gemacht.

Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Es wird voraussichtlich an das Aargauer Obergericht und möglicherweise sogar an das Bundesgericht weitergezogen.

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