Freitag, März 21

Netanyahu erklärte, kein Vertrauen mehr in Ronen Bar zu haben. Der Shin-Bet-Chef hatte zuletzt wegen möglicher illegaler Verbindungen nach Katar im Umfeld des Ministerpräsidenten ermittelt. Tausende Israeli protestieren gegen den Schritt, der zu einer Verfassungskrise führen könnte.

Spät in der Nacht herrschte Gewissheit: Die israelische Regierung hat einstimmig die Entlassung von Ronen Bar beschlossen, Chef des Inlandgeheimdiensts Shin Bet. Bar muss seinen Posten spätestens am 10. April räumen. Das teilte das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu am Freitag um zwei Uhr morgens mit. Erstmals in der Geschichte Israels hat eine Regierung den Chef des Shin Bet entlassen. Netanyahu hatte den Schritt bereits am Sonntag angekündigt. Er habe das Vertrauen in den Leiter des Inlandgeheimdiensts verloren, sagte der Ministerpräsident.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

In Israel regt sich massiver Widerstand gegen die Entlassung, die auch rechtlich fragwürdig ist. Nach Netanyahus Ankündigung hatte Israels Generalstaatsanwältin einen Brief an den Regierungschef geschickt, in welchem sie schrieb, dass Bars Entlassung zuerst von einem beratenden Ausschuss genehmigt werden müsse, der für die Besetzung von führenden Staatsposten in Israel zuständig ist.

Benjamin Netanyahu hat sich um diese Einschätzung nicht geschert und das Kabinett trotzdem am späten Donnerstagabend zusammengerufen, um Bars Entlassung durchzusetzen. In Jerusalem protestierten Tausende Menschen gegen die Entscheidung, die die Kritiker des Ministerpräsidenten als Angriff auf die Demokratie sehen: «Israel ist nicht die Türkei, Israel ist nicht Iran», skandierten die Demonstranten immer wieder.

Und auch Ronen Bar selbst leistet Widerstand: Der Shin-Bet-Chef nahm nicht an der Kabinettssitzung teil und schickte der Regierung kurz vor dem Entscheid einen Brief, der schnell veröffentlicht wurde. Darin schreibt Bar, der Versuch, ihn zu entlassen, sei von «persönlichen und institutionellen Interessenkonflikten höchsten Ranges geprägt». Was Bar damit genau meint, ist in Israel den meisten klar: Es geht um die Untersuchungen des Shin Bet zum sogenannten Katargate.

Wurden Netanyahus Mitarbeiter von Katar bezahlt?

Seit dem 7. Oktober 2023 wird Katar in Israel regelmässig als Terrorunterstützer gegeisselt – vor allem weil die Exilführung der Hamas in Doha residiert. Umso brisanter sind die Ermittlungen in Netanyahus Umfeld, die vor wenigen Wochen an die Öffentlichkeit kamen: Mehrere enge Mitarbeiter des Ministerpräsidenten sollen Geld aus dem Emirat erhalten haben, um das Image Katars zu verbessern. Einer der Verdächtigen soll laut Medienberichten Eli Feldstein sein, dem ebenfalls vorgeworfen wird, geheime Dokumente an die deutsche Zeitung «Bild» weitergegeben zu haben.

Zwei Mitarbeiter aus Netanyahus Büro wurden wegen der mutmasslichen Katar-Connection bereits befragt und verhaftet, kamen unter Auflagen allerdings wieder auf freien Fuss. Die Untersuchungen im Komplex «Katargate» führt der Shin Bet – und damit Ronen Bar.

Kritiker des Ministerpräsidenten vermuten daher, dass er Bar mit einem gefügigeren Beamten ersetzen will. In seinem öffentlichen Brief schrieb Israels oberster Geheimdienstler, dass er momentan eine hochsensitive Ermittlung bezüglich Katars Verwicklung in Israels höchste Entscheidungsprozesse durchführe. «Ich betrachte den vollständigen Abschluss dieser Untersuchung und die Suche nach der Wahrheit, unabhängig von ihrem Ergebnis, als eine öffentliche Aufgabe von zentraler Bedeutung, die mir anvertraut wurde.»

Benjamin Netanyahu wehrt sich gegen die Vorwürfe, dass der Rauswurf Bars etwas mit den Ermittlungen zu tun habe. Israels Ministerpräsident warf dem Geheimdienstchef vor, in den Verhandlungen mit der Hamas zu schwach gewesen zu sein. Ausserdem habe er seit dem 7. Oktober kein Vertrauen mehr in den Geheimdienstchef gehabt. Es stellt sich allerdings die Frage, warum Netanyahu gerade jetzt den Geheimdienstchef entlässt, wenn er ihm schon seit über anderthalb Jahren nicht mehr vertraut. Bar selbst – dessen Behörde für die Katastrophe des 7. Oktobers erhebliche Verantwortung trägt – hatte bereits bekanntgegeben, zu gegebener Zeit zurücktreten zu wollen.

Gericht setzt Entlassung Bars vorerst aus

Die Entlassung Ronen Bars heizt zudem den Konflikt zwischen der Regierung und dem Justizsystem in Israel wieder an. Das erste Jahr der am weitesten rechts stehenden Regierung in Israels Geschichte war geprägt vom Streit um die sogenannte Justizreform, gegen die Hunderttausende Israeli monatelang demonstriert hatten. Der Krieg hat das grosse innenpolitische Projekt der Koalition zwar verzögert, doch sie hat nicht von ihrem Vorhaben abgelassen, das Oberste Gericht in seinen Befugnissen zu beschneiden.

Auch die Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara ist jetzt ins Fadenkreuz geraten. Schon länger wird sie von Netanyahu und seinen Ministern kritisiert – doch jetzt könnte es ernst werden. Am Sonntag soll das Kabinett einen Misstrauensantrag gegen sie beraten, nachdem sich Baharav-Miara gerade erst gegen eine Entlassung von Ronen Bar gestellt hatte. Sollte die Regierung die Generalstaatsanwältin entlassen, wäre das ein ebenso präzedenzloser Schritt wie die Entlassung des Shin-Bet-Chefs.

Am Freitag haben mehrere Oppositionsparteien und Nichtregierungsorganisationen Petitionen bei Israels Oberstem Gericht eingereicht, um die Entlassung Bars rückgängig zu machen. Kurz darauf beschloss das Gericht eine einstweilige Verfügung, die die Entlassung Bars vorerst verhindert. Diese bleibt so lange in Kraft, bis das Gericht die Petitionen angehört hat, was es bis spätestens zum 8. April tun will.

Verfassungskrise mitten im Krieg?

Schon bald wird sich der im Januar gewählte Vorsitzende des Obersten Gerichts, Isaac Amit, mit dem Fall befassen. Allerdings ist unklar, wie viel Gewicht seine Worte noch haben: Netanyahus Regierung boykottiert Amit seit seiner Wahl vor zwei Monaten, die Justizminister Yariv Levin «illegitim» nannte.

Israels Regierung will den Entscheid des Gerichts offenbar nicht akzeptieren. Das sagte zumindest Kommunikationsminister Shlomo Karhi kurz nach der Veröffentlichung der einstweiligen Verfügung. «Sie haben keine rechtliche Befugnis, sich in diese Angelegenheit einzumischen. Das ist die Aufgabe der Regierung», erklärte Karhi. «Ihre Anordnung ist ungültig.» Ministerpräsident Benjamin Netanyahu äusserte sich ähnlich: «Es wird keinen Bürgerkrieg geben! Israel ist ein Rechtsstaat, und gemäss dem Gesetz entscheidet die israelische Regierung, wer den Shin Bet leitet.»

Rechtsprofessoren der Denkfabrik Israel Democracy Institute sehen das anders. Gemäss dem Befund von Amichai Cohen und Eran Shamir-Borer durfte Netanyahu Ronen Bar aus einer juristischen Perspektive nicht entlassen – weil begründete Sorgen um einen Interessenkonflikt existieren.

Israels Regierung scheint gewillt, den Konflikt mit der Justiz eskalieren zu lassen. Sie nimmt damit eine mögliche Verfassungs- und Staatskrise in Kauf – während wieder Panzer in den Gazastreifen rollen und immer noch israelische Geiseln unter schrecklichen Bedingungen von der Hamas festgehalten werden.

Exit mobile version