Mittwoch, April 30

Ein Medikament gegen Endometriose schürt die Erwartung auf eine bessere Behandlung. Wie begründet das ist, warum die Diagnose oft jahrelange dauert und wie sich die Schmerzen lindern lassen.

Endlich, nach Jahrzehnten, sei das erste Medikament gegen Endometriose in Aussicht – so titelte jüngst die Wirtschaftszeitung «The Economist». Britische Tageszeitungen schrieben gar von einem «Durchbruch». Die Nachrichten schüren Hoffnung: Eine Arznei, welche die quälenden, krampfartigen Schmerzen bessern soll, und erst noch hormonfrei und mit weniger Nebenwirkungen?

Eine von zehn Frauen leidet unter Endometriose. Die Krankheit kann die Lebensqualität der Betroffenen stark mindern, sie in Beruf und Alltag einschränken und sogar unfruchtbar machen. Bei der Krankheit wuchert die Schleimhaut der Gebärmutter ausserhalb des Organs, etwa in Eierstöcken, Scheide, Darm, Bauchfell, Lunge oder Nieren. Typisch sind Schmerzen um die Menstruation herum, je nach Ort der Herde in Bauch, Brust, Rücken oder Schultern.

Manche Frauen haben Schmerzen beim Sex, beim Wasserlösen oder beim Stuhlgang, sie haben Verdauungsprobleme oder ständig Harndrang. Die Schmerzen führen zu Erschöpfung, einige bekommen Schlafstörungen oder werden depressiv. Endometriose lässt sich nicht heilen. Die gängige Hormontherapie wollen oder vertragen viele Frauen nicht, zudem können sie während der Einnahme nicht schwanger werden.

Der neue, hormonfreie Wirkstoff, über den so enthusiastisch berichtet wird, heisst Dichloracetat. Die Substanz wird eingesetzt zur Behandlung seltener Stoffwechselstörungen bei Kindern und wird unter anderem getestet gegen Diabetes, Krebs und Durchblutungsstörungen. Bei diesen Anwendungen liess sich aber noch keine überzeugende Wirksamkeit nachweisen.

Die Studie zu Endometriose leitet ein Gynäkologe der Universität Edinburg. Bisher zirkulierten die Ergebnisse nur im Internet. Allein das lässt Michael Mueller, Co-Direktor der Uniklinik für Frauenheilkunde am Inselspital Bern, skeptisch werden: «Die Resultate sind schwer einzuordnen, solange sie nicht von unabhängigen Gutachtern validiert und in einer Fachzeitschrift publiziert worden sind», sagt er.

Pilotstudie ohne Vergleichsgruppe

In einer Pilotstudie mit 30 Patientinnen besserte Dichloracetat angeblich bei den meisten Frauen die Schmerzen. Zwei von drei brauchten weniger Schmerzmittel, und im Schnitt ging es ihnen generell besser. Allerdings könnte dafür auch ein Placebo-Effekt verantwortlich gewesen sein, denn es gab keine Vergleichsgruppe. Mittlerweile haben die schottischen Forscher eine Studie mit 100 Frauen gestartet, von denen die Hälfte Dichloracetat bekommt und die übrigen ein Scheinpräparat – das ist der Standard, um eine Wirksamkeit eines neuen Medikamentes nachzuweisen. Ergebnisse sollen 2030 vorliegen.

Doch selbst wenn Dichloracetat wirkt, darf man die Nebenwirkungen nicht ausser acht lassen. In Studien wurde über Nerven- und Leberschäden berichtet, zudem beklagten sich Patienten im Zusammenhang mit der Einnahme über Magen-Darm-Beschwerden. Aufhorchen lässt, dass die Internationale Agentur für Krebsforschung Dichloracetat als möglicherweise krebserregend eingestuft hat. «In der Therapie der Endometriose wird sich Dichloracetat sicher nicht durchsetzen», sagt Mueller.

Er könne verstehen, wenn Medien über jede noch so kleine Neuigkeit berichteten, sagt Julian Metzler, Oberarzt in der Klinik für Gynäkologie im Unispital Zürich. Viele Frauen seien unzufrieden mit der gängigen Therapie. Er und seine Kollegen stellten anhand von zwei Umfragen unter 4768 Frauen fest, dass Betroffene mit einer Hormontherapie oft negative Assoziationen verbinden würden – sie sei ineffektiv und verursache Nebenwirkungen –, gleichzeitig habe sich nur jede Dritte gut informiert gefühlt. «Die Hormone sind besser als ihr Ruf», sagt Metzler. «Aber natürlich wäre ein ebenso wirksames, hormonfreies Medikament wünschenswert.»

Die Behandlung der Endometriose hängt vom Ausmass der Beschwerden ab, von der Lokalisation der Herde sowie davon, ob eine Frau gerade ein Kind bekommen möchte. Bei leichten Symptomen kommen zunächst Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Diclofenac infrage, und wenn kein Kinderwunsch besteht, Hormone in Form der Antibabypille. Hilft das nicht, können die Wucherungen im Rahmen einer Bauchspiegelung so vollständig wie möglich entfernt werden. Danach wird eine weitere Hormontherapie empfohlen, um zu verhindern, dass die Schleimhaut-Herde wieder zu wachsen beginnen.

Zu den wirksamsten Substanzen zählen hier die sogenannten GnRH-Analoga, die allerdings öfter Beschwerden wie in den Wechseljahren verursachen: Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Kopfschmerzen. Manche Frauen bekommen deshalb zusätzlich eine kleine Dosis von Östrogenen und Gestagenen oder nur Gestagenen verschrieben, die diese Nebenwirkungen mildern. Ergänzend können nichtmedikamentöse Massnahmen helfen, etwa Physiotherapie, Sport, Yoga, Meditation, Akupunktur oder pflanzliche Präparate.

Das Risiko für psychische Krankheiten steigt

Nicht nur die ständigen Schmerzen machen zu schaffen. Kürzlich haben Forscher aus Helsinki in einer Studie mit 4532 Patientinnen festgestellt, dass jene, die in jungen Jahren die Diagnose Endometriose bekommen, ein höheres Risiko für psychische Krankheiten später im Leben haben. Das gilt insbesondere für Depressionen oder Angststörungen. Das liege vermutlich an den chronischen Schmerzen, spekulieren die Fachleute, deshalb sei eine frühe und effektive Schmerztherapie entscheidend.

Doch immer noch wird die Diagnose im Schnitt erst acht bis zehn Jahre nach Auftreten der Beschwerden gestellt, und die Symptome werden oft für andere körperliche Krankheiten oder gar für psychische Probleme gehalten. «Endometriose ist ein Chamäleon», sagt Michael Mueller. «Die Symptome kommen auch bei vielen anderen Krankheiten vor, und mitunter denkt man nicht gleich daran.» Leider gebe es auch immer wieder Kollegen, welche die Schmerzen für «normale» Menstruationsbeschwerden halten und nicht weiter abklären würden.

Doch selbst wenn eine Frau bei den besten Fachleuten landet, finden auch diese die Endometriose manchmal nicht, weil bestimmte Herde in der Bildgebung kaum zu erkennen sind. Vielversprechend tönen deshalb Ansätze, mithilfe von künstlicher Intelligenz Algorithmen zu erstellen, die auch geringste Auffälligkeiten im Ultraschall zu identifizieren vermögen. Zudem versucht man, anhand von Biomarkern im Blut die Krankheit möglichst früh aufzuspüren. Solche Tests müssen aber erst noch validiert werden.

Bereits auf dem Markt ist der Endotest, der nach einer bestimmten RNA-Zusammensetzung im Speichel sucht, die typisch sein soll für Endometriose. Er ist mit 781.20 Franken sehr teuer und wird bis anhin nicht routinemässig von der Grundversicherung übernommen. In einer Studie mit 200 Frauen, die entsprechende Symptome hatten, erkannte der Test die Krankheit in den meisten Fällen.

Noch fehlen weitere Analysen mit einer grösseren Anzahl von Probandinnen. «Aber es ist klar, dass das kein Screening-Test für jede Frau im gebärfähigen Alter ist», sagt Mueller. Die Schweizer Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe empfiehlt ihn nur Frauen mit Symptomen, bei denen aber im Ultraschall oder in der Magnetresonanztomografie keine eindeutigen Hinweise auf die Krankheit zu erkennen sind.

Die Krankheit betrifft die ganze Gesellschaft

Einige neue Therapien werden getestet. Manche Substanzen haben das Ziel, die mit der Endometriose einhergehende Entzündung und damit die Bildung der Herde zu unterdrücken. Sogenannte JAK-Inhibitoren, die sonst gegen entzündliche Autoimmunkrankheiten eingesetzt werden, und ein Antikörper gegen den Entzündungsbotenstoff Interleukin-8 haben die Endometriose zumindest bei Tieren schrumpfen lassen. Studien mit Patientinnen gibt es dazu noch nicht.

Man will auch Belege dafür gefunden haben, dass eine gestörte Bakterien-Flora zur Endometriose beiträgt. Mit Probiotika, die die Keimflora normalisieren, und mit Antibiotika verkleinerten sich die Herde bei Mäusen.

Das seien interessante Ansätze, sagt Michael Mueller. «Aber all das muss noch beim Menschen getestet und in seiner Wirksamkeit belegt werden – das kann Jahrzehnte dauern.» Für wichtiger hält er, dass sich Politik und Gesellschaft des Problems annehmen, und zwar nicht nur wegen des Leidens für die Frauen. 2012 verursachte Endometriose pro Jahr und Patientin – so eine Studie mit 909 Frauen aus Europa und den USA – Kosten in Höhe von rund 11 500 Franken. Der grösste Teil davon stand im Zusammenhang mit Arbeitsausfällen. Heute sei es vermutlich noch viel mehr, sagt Mueller, der an der Analyse beteiligt war.

«Begreifen die Politiker in der Schweiz, dass Endometriose eine gesellschaftlich relevante Krankheit ist, wird hoffentlich auch die landestypische Trägheit verschwinden.» In Frankreich, Deutschland und Australien wird die Endometriose-Forschung schon länger gezielt gefördert.

Ein Artikel aus der «»

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