Samstag, Januar 4

Die USA sind ein Autoland. Entsprechend sorgt das geplante Road-Pricing für Manhattan für erbitterten Widerstand. New York hofft, die Gebühr aber noch vor dem Amtsantritt von Donald Trump einführen zu können.

Wer den New Yorkern verspricht, sie von Verkehrsstau und Autolärm zu befreien, erntet meist nur ein müdes Lächeln. Ebenso gut könnte man den Regen verbieten oder die New York Jets in den Superbowl führen. Aber Kathy Hochul, die Gouverneurin des Gliedstaats New York, meinte es ernst, als sie am 14. November sagte: «Wir werden unsere Strassen befreien, die Verschmutzung reduzieren und Millionen New Yorkern einen besseren öffentlichen Verkehr bringen.»

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Am 5. Januar wird New York als erste Stadt in Nordamerika eine Staugebühr für Autofahrer einführen. Betroffen ist der südliche Teil von Manhattan, vom Finanzviertel an der Spitze der Halbinsel bis zum Central Park (siehe Karte). Wer diese Zone mit dem Auto befährt, muss täglich 9 Dollar zahlen. Für Taxis, Fahrdienste und Lastwagen gelten andere Tarife. Ausnahmen gelten für Rettungsdienste oder Schulbusse und für die blosse Durchfahrt auf den Stadtautobahnen.

Hohe Ziele

Mit der Verkehrsabgabe verfolgen die Stadt und der Gliedstaat New York drei Hauptziele: weniger Stau, bessere Luft und mehr Einnahmen für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs.

Die Luft in New York ist in den vergangenen Jahrzehnten zwar bereits deutlich sauberer geworden, etwa dank Katalysatoren und Abgasnormen für die Industrie. Aber das Verkehrsaufkommen produziert immer noch schädlichen Feinstaub. Die Elektrifizierung des Autoverkehrs wird die Luftwerte weiter verbessern, auch wenn sie Amerika-weit eher schleppend vorankommt.

Doch auch Elektroautos brauchen Platz, und der ist in Manhattan knapp: 29 000 Personen wohnen hier auf jedem Quadratkilometer Fläche. Würden die Schweizer so dicht beieinander wohnen, hätten fast alle im Kanton Schaffhausen Platz.

Hinzu kommen mehrere Millionen Pendler, Touristen und Dienstleister, die auf die kleine Insel hineinfahren. Bis zu 4 Millionen Leute befinden sich tagsüber auf Manhattan, wie eine Studie der New York University schon 2012 schätzte. Seither haben sich Fahr- und Lieferdienste wie Uber, Lyft und Doordash stark ausgebreitet. Die New Yorker bestellen sich sehr gern Essen und Einkäufe aller Art nach Hause und vergessen mitunter, dass sie so den Lieferverkehr verursachen, über den sie sich sonst so gerne beklagen.

New York gilt gemäss dem Verkehrsanalysebüro Inrix als Stadt mit den schlimmsten Verkehrsstaus der Welt. Über 100 Stunden pro Jahr verbringen Autofahrer hier im Stau. Während der Pandemie ging die Zahl der Pendler stark zurück, und die Stadtregierung hat Radstreifen und breitere Fussgängerzonen auf den grossen Avenues eingerichtet. Seit 2022 hat die Zahl der Fahrzeuge aber wieder stark zugenommen; auch weil einige Pendler die U-Bahn weiterhin meiden.

Die Stauabgabe soll Besserung bringen, indem sie einen Teil der Kosten internalisiert, die jeder Autofahrer und jeder Uber-Passagier bisher der Öffentlichkeit auferlegt hat. New York liess sich dabei von Singapur, London oder Stockholm inspirieren, die schon länger solche Abgaben erheben.

Geld für die U-Bahn

Die Einnahmen aus dem Road-Pricing, rund 1 Milliarde Dollar pro Jahr, sollen dem öffentlichen Verkehr zugutekommen. Der ist in New York, im inneramerikanischen Vergleich, zwar sehr gut ausgebaut, so dass viele Einwohner auf ein eigenes Auto verzichten. Es gibt zahlreiche U- und S-Bahn-Linien, die von den Aussenbezirken und den Vororten nach Manhattan hineinführen. In Brooklyn und Queens sorgen Busse für Querverbindungen.

Ein Teil der Infrastruktur ist aber stark veraltet: Die «Subway»-Wagen quietschen und schütteln in den Kurven und auf den Brücken. Immer wieder fallen die Züge aus, weil Weichen oder Signale, die aus der Zwischenkriegszeit stammen, ihren Dienst versagen. Auf manchen Linien fahren nur 70 Prozent der Züge pünktlich ab. Die Busse stecken am Feierabend derweil im Stau fest und verkehren so langsam, dass man zu Fuss oft schneller ans Ziel kommt.

In den weitläufigsten und bevölkerungsreichsten Bezirken Queens und Brooklyn sind manche Quartiere gar nicht an die U-Bahn angeschlossen. Deswegen haben in Queens 63 Prozent der Haushalte ein Auto, in Brooklyn 44 Prozent. In Manhattan, wo ein eigener Parkplatz als Statussymbol gilt, sind es dagegen bloss 22 Prozent.

Mit dem zusätzlichen Geld könnte die Verkehrsbehörde die klapprigsten Waggons aus den 1980er Jahren ersetzen und endlich auch den Ausbau des U-Bahn-Netzes voranbringen: etwa die Linie unter der Second Avenue, die sich seit bald einem Jahrhundert in Planung befindet, von der 2017 aber erst drei Stationen eröffnet worden sind. Für den Rest fehlt das Geld.

Republikaner leisten Widerstand

Bei der Bevölkerung ist das Road-Pricing noch nicht sonderlich beliebt. Gemäss einer Umfrage des Siena College Research Institute sind 51 Prozent der New Yorker gegen die Stauabgabe, 20 Prozent sind unentschlossen und nur 29 Prozent dafür. Eigentlich hätte die Abgabe bereits im Juli 2024 eingeführt werden sollen, die Kameras an den Einfahrtachsen waren bereits installiert. Aber Gouverneurin Hochul zog die Notbremse.

Sie befürchtete, dass Proteste gegen die Abgabe die Wiederwahlchancen ihrer Parteikollegen rund um New York schmälern würden. Schliesslich hatte die Inflation der vergangenen Jahre die Amerikaner schon genug verärgert.

Im November gewann Donald Trump trotzdem. Und so legte Hochul eine Woche nach den Wahlen eine Kehrtwende ein: Sie sprach sich nun doch für eine Einführung per Anfang 2025 aus, allerdings mit einer tieferen Gebühr. «Wie ich von Beginn weg gesagt habe, waren 15 Dollar einfach zu viel für dieses wirtschaftliche Umfeld», sagte Hochul. Deshalb starte man mit 9 Dollar pro Tag. In ein paar Jahren soll die Abgabe schrittweise auf 15 Dollar ansteigen.

Hochul reagierte nicht zuletzt auf Druck der Lobby des öffentlichen Verkehrs. Diese argumentiert, dass New York die Abgabe unbedingt noch vor Trumps Amtsantritt einführen müsse.

Der gebürtige New Yorker Trump hatte die Staugebühr im Wahlkampf auf seiner Nachrichtenplattform Truth Social als «Desaster» bezeichnet, sie werde zu einem Ladensterben führen. «Ich werde die Stauabgabe beenden, in meiner ersten Woche zurück im Amt!!!», schrieb er.

Augen zu und durch

New York braucht die Zustimmung aus Washington, weil die Abgabe auch auf Strassen erhoben wird, die der Bundesstaat bezahlt hat. Weil Präsident Joe Biden die Zustimmung aber schon erteilt hat, kann sie Trump nicht einfach so wieder entziehen.

Dennoch droht ein föderaler Streit um den Verkehr, wie er auch in der Schweiz zwischen linken Städten und autofreundlichen Kantonen immer wieder entbrennt. Angeführt von Parlamentariern aus dem Grossraum New York, haben die Republikaner im Kongress bereits ein gesetzliches Verbot der Staugebühr angekündigt, falls Trump diese nicht per Beschluss abschaffen kann. Darüber hinaus laufen zahlreiche Gerichtsverfahren gegen das Road-Pricing, angestrengt unter anderem vom Gouverneur des benachbarten Teilstaats New Jersey.

Hochuls Team hofft darauf, dass die Abgabe trotz allem eingeführt werden kann und sich die Stadtbewohner rasch daran gewöhnen, wie es in London oder Stockholm geschehen ist. Und vielleicht haben die verbleibenden Autofahrer in Manhattans Strassenschluchten dann tatsächlich öfters freie Fahrt. Es ist immerhin wahrscheinlicher, als die Jets demnächst im Superbowl anzutreffen.

Exit mobile version