Donnerstag, Oktober 3

Heute Nacht um 3 Uhr Schweizer Zeit treffen die zwei US-Präsidentschaftskandidaten zum wohl einzigen Schlagabtausch aufeinander. Das Wichtigste kurz vor der entscheidenden Debatte.

Beide Präsidentschaftskandidaten haben Übung in der Kunst der politischen Debatte.

Wer stolpert über die eigenen Argumente? Wer ist schlagfertiger, wer verliert den Faden oder gar die Haltung? Wer lächelt zu wenig, wer zu viel? Setzt sich eine Fliege auf jemandes Haar, wie 2020 bei Mike Pence? Bei Fernsehduellen vor amerikanischen Präsidentschaftswahlen spielen Emotionen fast eine grössere Rolle als Sachpolitik. Wer gewinnt, hängt von vielen, auch unberechenbaren Faktoren ab. Da können sich die beiden Kandidaten noch so gut vorbereiten.

Dass der Schlagabtausch vor der Kamera matchentscheidend für den Wahlausgang sein kann, das zeigte sich früh. Schon die erste Fernsehdebatte im September 1960 zwischen Richard Nixon und John F. Kennedy war schicksalhaft: Gegen den jungen, telegenen Demokraten hatte der schwitzende, unrasierte Republikaner keinen Stich. Nixons Image war danach ramponiert, und er verlor die Wahl.

64 Jahre später, in den Wahlen 2024, könnte das TV-Duell zwischen Kamala Harris und Donald Trump ebenso folgenreich werden. Verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle: die kontrastreichen Kandidaturen, der angriffige Debattenstil der beiden Persönlichkeiten und das harte Kopf-an-Kopf-Rennen, das sich zwischen der Vizepräsidentin und dem früheren Präsidenten abzeichnet.

Welche Ausgangslage zeigen die Umfragen?

Die Anzeichen mehren sich, dass die anfängliche Euphorie für Kamala Harris im demokratischen Lager vorerst einen Zenit erreicht hat. Der späte Kampagnenstart von Harris verlief erstaunlich gut, sie holte in den Umfragen rasch den Rückstand von Joe Biden auf Donald Trump auf – und überholte Trump national, aber auch in einigen der wichtigen Swing States. Doch inzwischen ist der Abstand wieder geschrumpft. Eine neue nationale Umfrage von «New York Times» / Siena stellt sogar einen leichten Vorsprung von Trump fest. In allen sieben Swing States, in denen die Wahlen entschieden werden, herrscht eine Pattsituation. Alle Resultate befinden sich innerhalb der Fehlerquote – ein ähnliches Bild zeigte sich letztmals 2016 im Rennen zwischen Hillary Clinton und Donald Trump. Harris’ Kampagnenleiterin Jen O’Malley Dillon sieht die Demokratin als klare Underdog-Kandidatin.

Was sagen Trump und Harris im Vorfeld übereinander?

Eine Debatte beginnt wie ein Boxkampf vor dem Start mit öffentlichen Einschüchterungsversuchen. Insbesondere Trump hat sich auf den sozialen Plattformen in hoher Frequenz abschätzig über seine Opponentin geäussert, wie eine Zusammenstellung der «New York Times» seit dem Rückzug Joe Bidens zeigt. Die Beleidigungen sind grob und reichen von «dumm wie ein Stein», «linksradikale Irre» bis zu seinem favorisierten Schimpfnamen «Lyin’ Kamala Harris» und «Genossin Kamala». In den vergangenen Tagen verbreitete er erneut die Verschwörungstheorie, die Demokraten hätten die Wahl gestohlen und wollten es wieder tun.

Harris hingegen hält sich auf X zurück mit Schimpfwörtern: «ein unseriöser Mann», «unfähig, etwas anderes zu verstehen als den Eigennutz» sollen Trumps Bedeutung abwerten. Die Harris-Kampagne platziert auf dem konservativen Sender Fox News neue Negativwerbung: Im Video mit dem Titel «Trump ist untauglich für das Amt» warnen ehemalige Weggefährten des 45. Präsidenten der USA wie sein Vize Mike Pence und sein Verteidigungsminister Mark Esper vor den Gefahren einer zweiten Präsidentschaft Trumps.

Wie positionieren sich die beiden politisch?

Im Gegensatz zur aggressiven Rhetorik schlagen Harris wie Trump politisch moderatere Töne an. Letzterer erstaunte seine Anhänger mit dem Vorschlag, die In-vitro-Fertilisation zu subventionieren, und distanzierte sich wiederholt von der radikalen Regierungsreform «Project 2025» der Heritage Foundation. Trump vertritt im Vergleich zur Denkfabrik moderatere Positionen in der Abtreibungsfrage, bei LGBTQ-Rechten sowie der Altersvorsorge. Harris ihrerseits ist auch von radikaleren Positionen abgerückt, die sie früher vertreten hat, wie ein Erdgas-Fracking-Verbot. Zudem versucht sie, gegenüber Joe Biden Unabhängigkeit zu markieren. So will sie deutlich tiefere Kapitalgewinnsteuern erheben als Biden. Am Tag vor der Debatte machte sie unter dem Slogan «A new way forward» das lange fehlende offizielle politische Programm publik.

Welche taktischen Ratschläge geben Experten?

In den amerikanischen Medien schiessen Experten derzeit wie Pilze aus dem Boden. Sie scheinen genau zu wissen, wie der eine Kandidat oder die andere Kandidatin die Debatte nach Punkten gewinnen kann. Als Trumps Schwäche werden sein Charakter und seine Gewohnheit angesehen, verächtlich über politische Gegner und Frauen zu sprechen. Sei einfach nicht «ein rasendes Arschloch», lautete der pointierte Rat eines republikanischen Experten, bevor Trump gegen Biden antrat. Das gilt wohl noch viel mehr für das Duell gegen Harris. Diese hingegen hat die Schwierigkeit, angriffig zu sein, ohne verbissen und unsympathisch zu wirken. Zudem muss sie unabhängigen Wählern klarmachen, was von ihr als Präsidentin zu erwarten wäre. Viele Wähler, die Trump skeptisch gegenüberstehen, kennen Harris schlicht nicht; sie muss diese mit Überschallgeschwindigkeit davon überzeugen, dass sie zumindest wählbar ist. Beide Kandidaten sollten in diesem Stadium des Wahlkampfs zeigen, dass sie mehrheitsfähige Positionen vertreten.

Wie läuft die Debatte ab?

Die Debatte findet in Philadelphia statt und wird vom traditionellen Fernsehsender ABC News ausgerichtet. Sie dauert 90 Minuten. Das Mikrofon ist für diejenige Person, die gerade keine Redezeit hat, stumm geschaltet. Das gilt allgemein als Vorteil für Trump, da ihm dieses Format dabei hilft, disziplinierter zu wirken, wie die Debatte gegen Biden im Juni zeigte. Die Kampagnenleitung von Harris wollte die Regel umstossen, aber scheiterte damit.

Wann öffnen die ersten Wahllokale?

Schon kurz nach der TV-Debatte beginnt in fünf Teilstaaten das sogenannte Early Voting, unter anderem im wichtigen Swing State Pennsylvania am 16. September oder in Illinois am 26. September. Vor vier Jahren stimmten mehr als 100 Millionen Amerikaner vor dem eigentlichen Wahltermin im November entweder brieflich oder in einem Wahllokal ab. Damals herrschte der Covid-Ausnahmezustand, aber man darf davon ausgehen, dass diese flexiblen Wahlmöglichkeiten 2024 attraktiv bleiben. Insbesondere dürften diesmal mehr Republikaner die Briefwahl nutzen.

Mike Pence Fly : A fly lands on Pence's head during debate

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