Donnerstag, Februar 6

Der Bundesrat will internationale Adoptionen verbieten und die Eizellenspende legalisieren. Dabei geht es um schwierige ethische Fragen. Etwa: Gibt es ein Recht auf ein Kind? Und wenn ja, zu welchem Preis?

Der Bundesrat hat vergangene Woche zwei Entscheide gefällt, die in die Familienplanung eingreifen: Adoptionen von Kindern aus dem Ausland sollen verboten werden und die Eizellenspende legalisiert.

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Die geplanten Gesetzesänderungen haben vordergründig nichts miteinander zu tun, doch im Kern befeuern sie dieselbe, kontrovers geführte Debatte: Wie weit darf man gehen, um sich den Wunsch nach einem Kind zu erfüllen?

Ziemlich weit, sagt der Ethiker und Rechtswissenschafter Eran Fish. Weil der Wunsch nach einem Kind für viele Bestandteil eines erfüllten Lebens sei. Fish forscht am deutschen Max-Planck-Institut und unterrichtet an der Universität Luzern zum Thema Bevölkerungsethik. In diesem Gebiet der Philosophie geht es unter anderem um die Fragen, ob es ein Recht auf ein Kind gibt und welche Interessen es beim Kinderwunsch zu schützen gilt.

Herr Fish, die wichtigste Frage vorweg: Gibt es ein Recht auf ein Kind?

Es gibt ein Recht darauf, eine Familie zu gründen. Das steht unter anderem in der Uno-Menschenrechtserklärung und ist relativ unbestritten. Kontrovers wird es, wenn wir darüber diskutieren, was dieses Recht konkret bedeutet: Auf wie viele Kinder hat man ein Recht? Unter welchen Umständen? Welches Gewicht hat der Kinderwunsch im Vergleich mit anderen Interessen?

Sprechen wir hier von einem Recht, das man juristisch einfordern kann, oder einem Recht im moralischen Sinne?

Beides. Verschiedene Rechtsdokumente begründen das Recht, Eltern zu werden oder zumindest nicht daran gehindert zu werden. Zum Beispiel die Artikel 8 und 12 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die das Recht auf Achtung des Privatlebens und jenes auf Familiengründung schützen. Viele glauben aber, dass es auch ein moralisches Recht gibt. Konkret bedeutet das: Jemanden ohne triftigen Grund daran zu hindern, Eltern zu werden, ist moralisch falsch. Dieses Recht ist nicht absolut, aber es ist ein wichtiger Anspruch.

Womit wird ein Recht auf ein Kind begründet?

Einige sind der Meinung, dass es im Recht auf Autonomie gründe. Man hat das Recht, zu entscheiden, was mit dem eigenen Leben, mit dem eigenen Körper geschieht. Das ist ein starkes Argument, aber daraus folgt noch nicht das Recht, dass einem jemand dabei helfen muss, ein Kind zu bekommen. Andere argumentieren, dass es beim Wunsch nach einem Kind um ein starkes Interesse gehe, das schützenswert sei. Für viele Menschen ist ein Kind zu haben, es aufzuziehen und zu lieben ein zentraler Bestandteil eines vollständigen, erfüllten Lebens.

Nehmen wir an, jemand wünscht sich ein Kind, ist aber unfruchtbar. Was bringt dieser Person das Recht auf ein Kind?

Es kommt darauf an, ob wir dieses Recht auf Kinder als positives oder negatives Recht ansehen. Ob der Staat beim Kinderkriegen helfen muss oder ob er uns einfach nicht daran hindern darf. Ist das Recht auf ein Kind negativer Natur, können unfruchtbare Menschen verlangen, dass bestehende Fortpflanzungsmöglichkeiten erlaubt sind. Ein positives Recht bedeutet, dass der Staat auch Menschen den Zugang zu Fortpflanzungsmedizin ermöglichen muss, wenn sie sich diese nicht leisten können. In manchen Staaten existiert tatsächlich ein positives Recht auf ein Kind.

Aber ein Kind ist keine Notwendigkeit wie etwa ein Dach über dem Kopf zu haben. Es gibt Leute, die sagen, Kinder seien ein egoistisches Projekt.

Ein Kind zu bekommen, ist zwar nicht unmittelbar notwendig wie ein Dach über dem Kopf. Menschen haben jedoch Rechte auf mehr als nur das Nötigste. Ein vergleichbares Beispiel ist der Zugang zu Bildung. Wir glauben, dass Menschen darauf ein Recht haben, aber Bildung ist nicht überlebenswichtig. Der Kinderwunsch ist weder vollkommen uneigennützig noch gänzlich egoistisch. Klar, wir fragen das Kind nicht, ob es geboren werden möchte, sondern zwingen ihm unseren Willen auf. Aber wir tun es in den meisten Fällen nicht nur für uns selbst. Menschen mit Kinderwunsch wollen Eltern werden, weil sie jemanden lieben und umsorgen wollen. Darum geht’s: Liebe weiterzugeben.

Familienplanung wird in der Schweiz kontrovers diskutiert. Samenspenden sind zwar erlaubt, Eizellenspenden für Frauen aber noch verboten, die Leihmutterschaft ebenfalls. Und nun soll auch die Adoption eingeschränkt werden. Was berechtigt den Staat, dies zu tun?

Der Kinderwunsch steht nicht über allem. Es ist manchmal zulässig, Rechte einzuschränken, wenn es Risiken gibt und die Rechte anderer geschützt werden müssen. Dazu braucht es aber eine sehr gute und relevante Begründung. Die Sorge um die Interessen und das Wohlergehen der Spenderin, des Kindes oder der Leihmutter ist ein Grund, den Zugang einzuschränken.

Sie meinen, dass die Spenderin einer Eizelle über die gesundheitlichen Risiken des Eingriffs informiert wird und die Spende nicht aus einer finanziellen Not heraus macht?

Die Gesundheit der Spenderin muss geschützt sein. Zudem besteht die Sorge, dass die Frauen ausgebeutet werden könnten. In einer finanziellen Not ist nicht gewährleistet, dass die Spende freiwillig geschieht. Der Bundesrat hat bei der Zulassung der Eizellenspenden Bedingungen definiert, etwa dass die Spenderin aufgeklärt werden muss und die Spende unentgeltlich sein soll. Damit hat er, meine ich, ein plausibles Gleichgewicht gefunden.

Die Samenspende ist seit langem erlaubt. Wieso hat man unfruchtbaren Frauen bisher nicht erlaubt, was Männern zusteht: mit einer Spende ein Kind zu zeugen?

Ist der Mann unfruchtbar, gibt es die Samenspende. Dass Frauen bisher keine Eizellen spenden durften, klingt daher wie eine Ungleichheit. Doch es ist komplizierter. Gleichberechtigung bedeutet, gleiche Fälle gleich zu behandeln. Aber hier sind die Fälle nicht gleich. Eine Samenspende ist medizinisch unbedenklich. Eine Eizellenspende dagegen ist ein komplizierter und invasiver medizinischer Eingriff. Die Eizellenspende sollte erlaubt sein. Aber es ist sinnvoll, Bedingungen festzulegen, die bei der Samenspende nicht gelten.

Beim Verbot der Adoption aus dem Ausland ist der Bundesrat zu dem Schluss gekommen: Zum Schutz der Interessen der Kinder und deren Familien soll die Praxis ausnahmslos verboten werden. Sind sie einverstanden?

Die Abwägung war bei der Adoption anders als bei der Eizellenspende. Laut den Expertinnen und Experten, die den Bundesrat beraten haben, gibt es kein Recht auf eine Adoption. Die Adoption hat ihren primären Zweck darin, dem Kind zu helfen. Das Wohl des Kindes ist weitaus wichtiger als der Adoptionswunsch der Eltern. Das ist auch in vielen anderen Ländern die Rechtslage. Bei internationalen Adoptionen befürchten die Behörden, dass Kinder Opfer von Babyhandel und anderen Formen des Missbrauchs werden. Zudem können Standards im Ausland nur schwer überwacht werden. Vergangene Fälle bestätigen dies.

Die Risiken sind gross. Aber braucht es ein absolutes Verbot?

Man könnte auch einen gemässigteren Ansatz wählen. Anstelle eines kategorischen Verbots könnte der Bundesrat Ausnahmen machen. Beispielsweise könnte er die Adoption aus Ländern erlauben, die relevante internationale Übereinkommen ratifiziert haben und diese einhalten. Grundsätzlich gilt: Es ist verhältnismässiger, eine Praxis einzuschränken, als sie komplett zu verbieten.

Bei den Adoptionen oder Eizellenspenden im Ausland wird argumentiert, dass Kinder wissen müssten, wo sie herkämen. Warum wird dieses Wissen so hoch gewichtet?

Nicht alle denken so, es gibt auch Forschende, die sagen, der Genetik werde eine zu hohe Bedeutung beigemessen. Aber das Bedürfnis, die Herkunft zu kennen, ist legitim. Nehmen wir das Beispiel des Verdachts, dass ein Kind seiner ursprünglichen Familie unrechtmässig entzogen wurde. Es ist wichtig, dass dieses Kind die Wahrheit herausfinden kann. Zudem haben viele Kinder auch unter weniger tragischen Umständen ein starkes Bedürfnis, zu wissen, wo sie herkommen. Das muss man respektieren.

Mit der Eizellenspende gäbe es mehr Alternativen, um Kinder zu bekommen. Ist das eine gute Entwicklung?

Mehr Optionen zu haben, ist gut. Was für viele künftige Eltern primär zählt, ist, ein Kind zu bekommen, Eltern zu werden und eine Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen. Mit welcher Methode das Kind entsteht, ist zweitrangig, solange die Interessen aller Beteiligten geschützt werden.

Manche Menschen halten Fortpflanzungsmedizin für unnatürlich. Woher kommt diese Vorstellung, dass die Zeugung von Kindern natürlich passieren sollte?

Verständlicherweise ziehen es zukünftige Eltern vor, ohne medizinische Hilfe ein Kind zu zeugen. Auch weil die medizinisch unterstützte Fortpflanzung belastend sein kann und teuer ist. Aber das bedeutet nicht, dass die Beziehung der Eltern zum Kind bei alternativen Fortpflanzungsmethoden anders ist. Es geht primär darum, dass Menschen, die einen Kinderwunsch haben, Eltern werden können. Natürlichkeit ist dabei nicht unbedingt besser. Wir leben generell in einer unnatürlichen Welt, greifen in vieles medizinisch ein. Und dies aus guten Gründen.

Bei Männern gibt es keine Altersbeschränkung, um Vater zu werden. Bei Frauen spricht man hingegen von einer biologischen Uhr. Mit der Eizellenspende ändert sich das. Und doch ist in den meisten Ländern, die Eizellenspende erlauben, das Alter der Frau auf 46 bis 50 Jahre beschränkt. Sollte das auch in der Schweiz gemacht werden?

Mögliche medizinische Gründe kann ich nicht kommentieren. Was hingegen die Elternschaft betrifft, ist mir keine Forschung bekannt, die besagt, dass jüngere Eltern besser seien als ältere. Eine Frau kann je nach Gesundheitszustand auch in höherem Alter noch Mutter sein. Wer diese Möglichkeit auf ein bestimmtes Alter begrenzt, muss zuerst beweisen können, dass eine ältere Mutter einen Nachteil für das Kind darstellt.

Eine klare Einschränkung gibt es im Vorschlag des Bundesrates bereits: Die Eizellenspende ist auf Paare beschränkt. Singles können davon keinen Gebrauch machen. Ist dies gerechtfertigt?

Auch alleinstehende Menschen haben ein Recht darauf, Eltern zu werden. Es gilt dasselbe wie beim Alter: Es müssten sehr starke Gründe dafür sprechen, ihnen den Zugang zur Eizellenspende zu verwehren. Die Gesetzgeber müssten empirisch nachweisen, dass das Wohl des Kindes gefährdet ist, wenn es von einem alleinerziehenden Elternteil geboren wird. Eine solche Erkenntnis ist mir aus der Forschung nicht bekannt.

Sie sind sehr offen für neue Methoden in der Fortpflanzungsmedizin. Gibt es für sie einen Punkt, an dem es unethisch wird?

Die Gefahren gehen nicht unbedingt von neuen Methoden aus, sondern von der Art und Weise, wie Menschen sie nutzen. Ein oft genanntes Beispiel ist die Gentechnik, mit der man – nebst sinnvollen Anwendungen – auch die Genetik von Embryonen ohne medizinische Notwendigkeit verändern könnte. Aus gesellschaftlicher Sicht weckt dieses Vorgehen Assoziationen mit der Eugenik im 20. Jahrhundert, der Lehre der vermeintlich guten und schlechten Erbanlagen von Menschen.

Aber am Ende läuft es doch auf dasselbe hinaus: Mit medizinischen Methoden hebeln wir die Natur aus. Wo liegt der Unterschied zwischen Gentech-Babys und Kindern, die durch Eizellenspende entstehen?

Bei einer Eizellenspende wird geholfen, damit die Frau ein Kind austragen kann. Auf das Kind selbst hat die Methode keinen Einfluss. Mit der Gentechnik könnten wir künftig das Erbgut des Kindes nach eigenem Gutdünken verändern. Es ist mit der Selbstbestimmung des Kindes unvereinbar, wenn seine Eigenschaften bewusst von jemand anderem kontrolliert und diktiert werden. Ich möchte auch nicht in einer Gesellschaft leben, die implizit Menschen aufgrund ihres Aussehens oder anderer genetischer Merkmale in wünschenswert und unerwünscht einteilt.

Haben Sie eigentlich selbst Kinder?

Ja, ich habe einen Sohn. Ein neugieriger und sehr witziger Neunjähriger.

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