Mit der Ablösung der regelbasierten Nachkriegsordnung wird die Politik für den Anlageerfolg wichtiger. Damit gleichen sich die Industrie- den Entwicklungsländern an.
In der Definition von Ian Bremmer, einem der profiliertesten Politologen unserer Zeit, sind «Emerging Markets» jene, in denen Politik mindestens so viel zum Anlageerfolg beiträgt wie die wirtschaftliche Entwicklung.
In einem in der «Finanz und Wirtschaft» vom 12. März erschienenen Beitrag schrieb er, dass wir Zeugen seien eines «Übergangs von einem regelbasierten System gesteuerter Wirtschaftsintegration zu einem System erzwungener Entkopplung, chaotischer Fragmentierung und wirtschaftlicher Eigenständigkeit».
Politische Börsen, wie wir sie derzeit erleben, sind Börsen, denen es an Orientierung mangelt und die den brüchigen Wandel ankündigen.
Weiter gehen Alexander Corley und Daniel Nexon in ihrem Artikel in der Ausgabe in «Foreign Affairs» vom Januar/Februar 2025, den sie unter dem programmatischen Titel «Trump’s Antiliberal Order» stellen.
Sie sehen die Politik des Präsidenten als von Ideologie getrieben mit dem Ziel, die ursprünglich vor allem von den USA konzipierte freiheitliche und regelbasierte Ordnung nicht nur zu reformieren, sondern abzuschaffen und durch eine neue staatliche Organisationsform zu ersetzen.
Die Autoren kommen zum Schluss, dass Trump und seine Gehilfen aus ideologischer Opposition zur liberalen Ordnung eine Reihe aussenpolitischer Irrtümer zu Lasten der Interessen der USA begehen werden. Viele können das artikulieren, andere spüren es intuitiv. Niemand kann es jedoch quantifizieren. Entsprechend sprunghaft sind die Märkte.
Ein Historiker von Format geht noch einen Schritt weiter
Fast prophetisch wird das 2022 vom Historiker Gary Gerstle veröffentlichte Buch « The Rise and Fall of the Neoliberal Order».
Gerstle versteht unter dem Begriff «Order» ein grundsätzliches Einverständnis eines grossen politischen Spektrums von rechts bis links hinsichtlich der Ausrichtung gemeinschaftlichen Handelns und staatlicher Einwirkung.
So führte Franklin D. Roosevelt gegen den Widerstand der Republikaner unter dem Begriff «New Deal» sozialpolitische und wirtschaftsinterventionistische Normen ein, die ab der Präsidentschaft von Dwight D. Eisenhower auch von den Republikanern im Weissen Haus und im Kongress weitgehend adaptiert wurden.
Ähnliches geschah in Grossbritannien, wo die Konservativen und Labour sich so weit angenähert hatten, dass die Ansichten des Schatzkanzlers R. A. Butler und jene des Labour-Schattenkanzlers Hugh Gaitskell sich so sehr ähnelten, dass der von den Namen der beiden Politiker abgeleitete Begriff «Butskellism» die Runde machte.
Die Übereinstimmung endete mit der Präsidentschaft von Ronald Reagan und der Übernahme der Regierungsverantwortung durch Margaret Thatcher als Premierministerin.
Ihre von Friedrich von Hayek inspirierte Politik wurde als «neoliberal» bezeichnet, womit ein Begriff übernommen wurde, der in den Medien mit einem anderen Inhalt befüllt wurde, als ihn Friedrich von Hayek und ihm ähnlich gesinnte Ökonomen und Politiker verstanden haben wollten.
Später gesellten sich Tony Blair in Grossbritannien, Gerhard Schröder in Berlin und Bill Clinton in Washington zu den Politikern linker Provenienz, die sich grosso modo als Fortführer einer leicht revidierten liberalen Ordnung verstanden, um in aller Kürze die wichtigsten Exponenten zu benennen.
Gerstle sieht das Ende dieser links und rechts weitgehend geteilten Ordnungspolitik, verbunden mit den Verwerfungen, die für tektonische Verschiebungen typisch sind.
Die Gesellschaft war bereit für Disruptoren
Aus meiner Warte gibt es keinen Zweifel, dass wir vor einer gewaltigen Herausforderung der Ordnung stehen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg ursprünglich konstruktivistisch etablierte und sich im Laufe der Zeit evolutorisch und emergent weiter entwickelte.
Eine Figur wie Donald Trump – und ähnliche, die in anderen Ländern an die Macht drängen – wäre nicht möglich, wenn «die Gesellschaft der Gesellschaft» nicht dazu bereit wäre, um einen Titel von Niklas Luhmann zu bemühen.
Im Kleinen kennen wir es von den Aktienmärkten, dass exogene Entwicklungen keinen Trendbruch herbeiführen können, wenn nicht endogen die Bereitschaft vorhanden ist, eine neue Richtung einzuschlagen. Um das zu tun, muss ein pfadabhängiges System in einer Bifurkationsphase angelangt sein. Ich meine, dort ist das angekommen, was unter dem Begriff «der Westen» subsumiert wird.
Was uns die Geschichte lehrt
Im Jahre 2008 publizierte der legendäre Investment-Stratege von Morgan Stanley, Barton Biggs, ein Buch unter dem Titel «Wealth, War & Wisdom». Das Buch des hochgebildeten Autors ist eine Trouvaille wirtschafts- und finanzhistorischer Erkenntnisse. Seine minuziösen Recherchen, die die Periode von 1929 bis 1945 abdecken, zeigen, dass die Aktienindizes kommende Entwicklungen vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges sowie Erfolge und Misserfolge der Kriegsparteien während des Krieges mit unglaublicher Treffsicherheit vorweggenommen haben. Das führte dann auch dazu, dass er für ein Kapitel den Titel wählte: «Global Markets Understood What Was Happening during WWII».
Auf seine Recherchen basiert er folgende Feststellung in seinem Buch: «I maintain that markets have great wisdom. The investor ignores their message at his extreme peril».
Das mit der Weisheit möchte ich allerdings etwas relativieren. Aktienmärkte sagen nicht voraus, was geschieht. Sie haben ja kein eigenes Wissen. In ihren Kursen werden die Meinungen der Akteure reflektiert, die aber die Zukunft nicht kennen. Sie bilden aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen und ihrer kognitiven Fähigkeiten Perzepte der Zukunft, setzen sie in Handlungen um und lösen dadurch jene Entwicklungen aus, die sehr oft das vorwegnehmen, was eintritt.
Das, was man nutzen kann
Das, was man nutzen kann, sind Strukturbrüche. Strukturbrüche sind Brennpunkte. Sie zeigen, dass im Markt die Daten nicht mehr gleich interpretiert werden wie bisher, obwohl sich im ökonomischen Datenkranz nichts wesentliches verändert hat.
Daher mein Mantra, dass unsere Analysen nur einen Zweck haben: Die Gegenwart auf den Punkt zu bringen. Die Gegenwart, die zeigen soll, ob der bisherige Umgang mit Informationen im Prinzip gleich bleibt oder sich in Folge eines Strukturbruchs neu ausrichtet.
Daher auch das Mantra, dass man sich von Brennpunkt zu Brennpunkt orientieren soll.
Jedes der von Barton Biggs identifizierten Marktsignale wies nichts anders als das typische Muster eines Brennpunktes auf.
Zwischen den Brennpunkten gibt es Schwankungen, die für die Entwicklung bis zum nächsten Brennpunkt keine Relevanz haben. Daher die immer wiederkehrende Ermahnung, Raum für Kursschwankungen zu gewähren und nicht auf Nachrichten zu reagieren.
Zwischen den Brennpunkten kommt es immer wieder zu Präferenzverschiebungen zwischen Industrien, Sektoren und Regionen. Sie werden über die Veränderungsrate der relativen Stärke manifest und können für taktische Massnahmen in den Portfolios genutzt werden.
Alfons Cortés