Montag, November 18

Die mediterrane Ernährung könne das Gemüt stabilisieren, erklärt die Psychiatrieprofessorin Undine Lang. Sie gibt ihren Patienten Probiotika, um Depressionen zu lindern, und ist sicher, dass die Bedeutung der Ernährung in der Psychiatrie weiter wachsen wird.

Frau Lang, es heisst, Darm und Hirn hätten eine ganz besondere Verbindung. Warum?

Undine Lang: Das Gehirn in seinem knöchernen, dunklen Gehäuse ist angewiesen auf Input. Man könnte ja denken, die Seele schwebe immateriell über dem Rest des Körpers und definiere, wie die Organe funktionieren sollen. Aber das stimmt natürlich nicht. Man hat erst in den letzten Jahren verstanden, dass der Darm ein bisschen wie ein Sinnesorgan für das Hirn funktioniert.

Was meinen Sie damit?

Es ist, als wäre der Darm so etwas wie die Augen und Ohren für das Gehirn. Er hat eine riesige Fläche zur Aussenwelt, verdaut die Lebensmittel und agiert mit dem Immunsystem. Dadurch kann er sehr viele Informationen ans Gehirn geben.

Zur Person

PD

Professorin Undine Lang

Als Direktorin leitet sie die Klinik für Erwachsene und die Privatklinik der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört das Zusammenspiel von Darm und Psyche.

Sie sind Psychiaterin. Spielt der Darm in Ihrem Alltag in der Klinik überhaupt eine Rolle?

Durchaus. Wir sehen bei unseren Patientinnen und Patienten häufig Magenschmerzen und Durchfall, zum Beispiel, wenn jemand gestresst ist, Angstzustände oder eine Depression hat. Wir sehen aber auch Verstopfungen, zum Beispiel bei Antriebsstörungen. Der Darm reagiert mit, und wir wissen manchmal gar nicht so genau, was die Henne und was das Ei ist.

Schon der griechische Arzt Hippokrates sagte vor mehr als 2000 Jahren, der Darm sei der Vater aller Trübsal.

Ja, gewisse Zusammenhänge haben die Menschen schon lange beobachtet. Die Forschung in diesem Bereich ist aber noch jung. Und man ist noch dabei, die Kommunikationswege zwischen Darm und Hirn besser zu verstehen.

Auf welchen Wegen tauschen sich die beiden denn miteinander aus?

Ein wichtiger Kommunikationskanal ist der Vagusnerv, der sich vom Gehirn bis zum Darm erstreckt und Informationen transportieren kann. Durch eine Stimulation dieses Nervs kann man zum Beispiel therapeutisch Schmerzen oder Depressionen beeinflussen. Auch Hormone, die im Darm gebildet werden, spielen eine wichtige Rolle bei der Kommunikation. Wir haben in einem Kooperationsprojekt mit der Charité in Berlin beobachtet, dass antidepressive Therapien diese Hormone beeinflussen können. Zudem hat das Immunsystem einen Einfluss auf die Psyche – und das wiederum interagiert vor allem mit dem Darm. Darüber hinaus bilden bestimmte Bakterien in unserem Darm die Neurotransmitter Dopamin und Serotonin.

Diese Botenstoffe sind wichtig für die psychische Gesundheit. Leitet der Darm unsere Gedanken, Gefühle, Bedürfnisse?

Mir fällt eine Studie ein, die gut verdeutlicht, welchen Einfluss der Darm auf unser Befinden hat. Hier bei uns an den Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel hat ein Kollege eine Untersuchung durchgeführt, bei der Versuchspersonen verschiedene Zuckerarten per Magensonde verabreicht wurden.

Das heisst, die Leute schmeckten gar nicht, was man ihnen gab?

Genau. Trotzdem hat man Veränderungen im Gehirn gesehen, und die Probanden verspürten ein Verlangen nach Zucker – obwohl sie ja gar nicht wussten, dass sie welchen bekommen hatten.

Das aktive Schmecken ist also gar nicht so entscheidend für unsere Lust auf Süsses?

Die wichtigste Kommunikation geht vom Dünndarm ins Gehirn. Bei Personen, denen ein Teil des Dünndarms entfernt wurde, sehen wir, dass sie oft massiv Gewicht verlieren und sich ihre Gesundheit verbessert. Gelegentlich hat solch ein Eingriff unerwünschte Folgen. Wir sehen manchmal Menschen, die plötzlich suizidal werden oder eine Alkoholabhängigkeit entwickeln. Welche Zusammenhänge zu diesen Resultaten führen, wissen wir nicht. Es ist vieles noch unklar, was das Zusammenspiel von Hirn und Darm betrifft.

Auf jeden Fall klingt es, als würde der Darm sehr oft den Ton angeben. Ist ihm das Gehirn untertan? Haben wir es mit einer Bottom-up-Herrschaft zu tun?

Also ich weiss nicht, ob man das quantifizieren kann. Aber so wie ich es einschätze, geht tatsächlich ein sehr grosser Teil der Kommunikation vom Darm zum Gehirn.

Können Sie über den Darm das psychische Befinden Ihrer Patienten positiv beeinflussen?

Da gibt es Ansätze. Wir haben zum Beispiel eine Studie durchgeführt, in der wir den Einfluss von Probiotika untersucht haben.

Das sind Mikroorganismen, die zu einer gesunden Darmflora beitragen.

Gewisse Bakterienstämme reichern sich durch die Probiotika im Darm an. Wir haben beobachtet, dass sich depressive Symptome in der Folge stark bessern. Mittlerweile werden Probiotika in den Leitlinien zur Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen mit Nahrungsergänzungsmitteln empfohlen. Denn es gibt genügend Untersuchungen, die einen positiven Effekt zeigen.

Was meinen Sie, kann ich meine Psyche durch gesunde Ernährung schützen, um gar nicht erst psychisch zu erkranken?

Na ja, letztlich entstehen psychische Erkrankungen aufgrund von sehr vielen verschiedenen Faktoren. Manchmal kann man gar keinen Auslöser festmachen. Aber natürlich ist es hilfreich, sich gesund zu ernähren. Es gibt gute Daten, die zeigen, dass eine mediterrane Diät prophylaktisch wirksam ist und bei der Behandlung psychischer Erkrankungen helfen kann. Sie ist sicher keine Alternative zu einer Therapie, wenn man wirklich an einer Depression erkrankt ist, aber man kann mit ihr dazu beitragen, psychische Stabilität zu erreichen.

Was gehört zu dieser Ernährungsweise?

Leider weder Pizza noch Spaghetti. Im Prinzip ist es das, wozu die Schweizer Ernährungsempfehlungen raten, also viel frisches Gemüse und auch Obst auf dem Teller, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Fisch, eher wenig Fleisch.

Wieso soll diese Ernährungsweise förderlich für die psychische Gesundheit sein?

Die Inhaltsstoffe, die ganz allgemein die Gesundheit fördern, sind das eine. Wir sehen bei vielen Patienten mit psychischen Erkrankungen, dass sie Mangelerscheinungen haben, auch bedingt durch eine einseitige Ernährung. Vermutlich ist aber eine ebenso wichtige Komponente der mediterranen Ernährung, dass man das Essen selbst frisch zubereitet, dass man sich Zeit dafür nimmt und es bewusst geniesst.

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Wird die Bedeutung der Ernährung und der Vorgänge in unserem Darm künftig wichtiger werden für die Behandlung von psychischen Erkrankungen?

Wir haben ja schon lange Ernährungsberatungen in sämtlichen psychiatrischen Kliniken. Denn intuitiv wussten wir immer schon, eine gesunde Ernährung ist auch förderlich fürs psychische Befinden. Vermutlich wird die Bedeutung der Ernährung in diesem Bereich künftig noch wachsen. Bei Sport war es ähnlich. Lange Zeit hiess es, man soll sich ertüchtigen, auch in psychiatrischen Kliniken. Aber erst seit einigen Jahren steht Sport tatsächlich in Leitlinien zur Behandlung von psychischen Erkrankungen. Ich könnte mir vorstellen, dass es beim Thema Ernährung in eine ähnliche Richtung gehen wird.

Wenn Darm und Hirn eng miteinander verknüpft sind: Ist die Ernährung dann ein Schlüsselfaktor für unsere psychische Gesundheit, den wir nicht länger unterschätzen sollten?

So einfach ist es auch nicht. Psychische Gesundheit hat sehr viel damit zu tun, worauf wir uns im Leben fokussieren und ob wir uns überhaupt fokussieren können. Was entscheiden wir? Wie leben wir mit unseren Entscheidungen? Folgen wir in unserem Handeln unseren Werten? Wie sieht unser Lebenskompass aus? Ich glaube, all das ist wichtig, um mit Stress oder Herausforderungen umzugehen. Es geht nicht so sehr darum, was wir noch alles machen können, um gesünder zu sein. Es kommt auf die Ziele und Werte an, die wir für uns selber definieren, und darauf, dass wir diese aktiv verfolgen können. Das wiederum kann natürlich ein gesundes Verhalten veranlassen und damit die psychische Gesundheit stärken. Aber dieses gesunde Verhalten muss sich nicht in einer absolut gesunden Ernährung ausdrücken.

Sondern?

Sicher ist eine gesunde Ernährung wichtiger als bisher angenommen, aber sie ist nicht für jeden das richtige Ziel. Es gibt halt für unterschiedliche Menschen auch unterschiedliche Wege, gesund zu bleiben und achtsam zu leben. Beim Sport ist es übrigens ähnlich. Seine Wirkung ist zwar gut belegt, aber es gibt Menschen, die gar nicht davon profitieren. Es kann ja auch sein, dass jemand seinem persönlichen Kompass besser folgt, indem er sozial aktiv ist, sich kreativ entwickeln möchte oder spirituell ist, Freude an der Musik oder einen tollen Arbeitsplatz hat, den er als sinnerfüllend empfindet.

Also letztlich sollte man doch wieder das Gehirn einschalten, um für sich selbst den besten Weg zur psychischen Gesundheit zu finden?

Genau. Man sollte das Gehirn einschalten und auf sein Bauchgefühl hören.

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