Samstag, Dezember 28

Der Preiskampf unter den Anbietern nimmt dramatische Ausmasse an. Viele von ihnen geben den Druck an ihre Zulieferer weiter. Trotzdem dürften im kommenden Jahr einige Autohersteller vom Markt verschwinden.

Die Mail, die der chinesische E-Auto-Hersteller BYD Ende November an seine Zulieferbetriebe verschickte, hatte es in sich und sorgte, wenig überraschend, landesweit für einen Aufschrei. In seiner Nachricht forderte der Konzern aus dem südchinesischen Shenzhen die Zulieferer dazu auf, die Preise für ihre Komponenten im Jahr 2025 um 10 Prozent zu reduzieren. Der Markt für Elektroautos trete 2025 in seine «finale Schlacht» ein, liess BYD verlauten.

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Die Mail des Autoherstellers fand vermutlich mithilfe eines Zulieferers den Weg in die chinesischen Medien. Zwar versuchte BYD später zurückzurudern. So erklärte ein Sprecher des Unternehmens gegenüber der NZZ, die Zahl von 10 Prozent sei lediglich eine Richtmarke, über die verhandelt werden könne. Doch damit liess sich die Empörungswelle, die auch die sozialen Netzwerke erfasst hatte, nicht mehr stoppen.

Am Ende werde die Qualität der Produkte sinken, schimpfte ein Nutzer auf dem chinesischen X-Pendant Weibo. Der Aufstieg der chinesischen Automobilindustrie dürfe nicht zulasten der heimischen Arbeiter und Zulieferbetriebe gehen, sagte der Vertreter eines Zulieferers und fügte hinzu: Man könne die Forderung des Unternehmens nicht akzeptieren und sei nicht gewillt, bei dieser Art von Kooperation, die die geschäftliche Ethik und die menschliche Natur verletze, mitzumachen.

Schätzungsweise achtzig Hersteller buhlen um Kunden

Doch der Vorgang zeigt, unter welchem Druck die chinesische Automobilindustrie steht. Auf dem chinesischen Markt buhlen schätzungsweise 80 Pkw-Hersteller mit mehr als 120 Marken um Kunden. Mit weltweit beispiellosen Rabattschlachten versuchen die Unternehmen, sich gegenseitig Kunden abzujagen.

BYD, der Marktführer bei Elektroautos, senkte die Preise im laufenden Jahr mehrfach. Li Auto, einer der am schnellsten wachsenden Anbieter, reduzierte seine Preise letztmals im November, Tesla ebenso. «Es ist ein Blutbad», sagt der Automobilexperte Lei Xing aus Amherst in den USA. Von einem Preiskampf will Lei nichts wissen. Was derzeit auf dem chinesischen Markt stattfinde, sei vielmehr eine «Preis-Zerstörung».

Der von der Regierung mit öffentlichen Hilfen angeheizte Investitionsboom hat gewaltige Überkapazitäten entstehen lassen. Derzeit beträgt die Auslastung der Automobilindustrie lediglich rund 70 Prozent. Damit die Unternehmen halbwegs wirtschaftlich arbeiten, müsste die Auslastung bei mindestens 80 Prozent liegen.

Kein E-Auto-Startup ist profitabel

Von den zahlreichen E-Auto-Startups ist denn auch keines profitabel. Selbst prominente Hersteller wie Nio oder Xpeng schieben Verluste vor sich her. Lediglich der Platzhirsch BYD, der einen Drittel des Marktes für batteriebetriebene Autos kontrolliert, verzeichnet Gewinne. «Es gibt zu viele Marken, die trotz Verlusten weitermachen», sagt der Experte Lei Xing, «und trotzdem lancieren die Hersteller immer neue Marken.»

Um die Verluste irgendwie zu begrenzen, versuchen viele Hersteller, beim Einkauf zu sparen, und setzen ihre Zulieferer unter Druck. Laut einem Bericht der Zeitung «China Securities Journal» schickte auch der Hersteller SAIC Maxus Automotive kürzlich eine Aufforderung an seine Zulieferer, sie möchten bitte die Preise senken. Die Zielmarke war gleich hoch wie die von BYD: 10 Prozent.

Die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage könne kurzfristig nicht geschlossen werden, heisst es in der E-Mail der Herstellers. Mit ihren Preissenkungen Anfang Jahr hätten BYD und Tesla eine neue Runde im Preiskampf losgetreten.

Manche Zulieferer verwenden minderwertige Materialien

Aus lauter Verzweiflung machen sich die Zulieferer daran, ihrerseits die Kosten zu senken, bisweilen mit fragwürdigen Methoden. Manche Betriebe haben damit begonnen, bei der Produktion minderwertige Materialien zu verwenden. Andere haben ihre Qualitätskontrollen abgeschafft, um die Kosten zu drücken.

Längst bekommen auch ausländische Zulieferer den gnadenlosen Preiskampf zu spüren. Das Unternehmen Webasto aus der Nähe von München ging im Jahr 2001 nach China. Jahrzehntelang profitierte die Firma, die Heizsysteme und elektronische Systeme für Schiebe- und Panoramadächer herstellt, vom Boom auf dem chinesischen Automobilmarkt. Im Laufe der Jahre eröffnete Webasto insgesamt neun Fabriken im Reich der Mitte.

Der Wendepunkt kam im vergangenen Jahr. Erstmals verzeichnete die Firma in China einen Umsatzrückgang. In der Folge fuhr Webasto die Produktion in zwei Werken herunter. In diesem Jahr schloss das Unternehmen die beiden Fabriken schliesslich. 500 Mitarbeiter verloren ihre Jobs.

Der Wettbewerb mit lokalen Konkurrenten habe sich in den vergangenen Jahren deutlich verschärft, heisst es bei Webasto, die Chinesen seien extrem schnell. Erschwerend hinzu komme die schleppende Konjunktur. Ausserdem hätten sich die Vorlieben der chinesischen Konsumenten gewandelt. Inzwischen gehe Feature vor Funktionalität, heisst es bei Webasto. Chinesinnen und Chinesen sind verrückt nach verspielten Innenausstattungen, bunten Displays oder Sprachsteuerungen.

Die Marktbereinigung beginnt

Experten wie Lei Xing erwarten, dass sich das Sterben unter den Automobilherstellern im kommenden Jahr beschleunigen wird. Einige der Startups für E-Autos haben bereits aufgegeben, weitere würden folgen.

Ji Yue etwa ist ein Joint Venture zwischen dem Autohersteller Geely und dem Internetkonzern Baidu und fertigt seit August 2023 Elektroautos. Doch bis heute hat das Unternehmen nur 14 000 Autos ausgeliefert. Seit der Gründung im Jahr 2021 hat die Firma knapp 1,4 Milliarden Dollar Verluste angehäuft. Vor wenigen Tagen gab der Hersteller das Aus bekannt.

Auch die ausländischen Hersteller, die den chinesischen Markt jahrzehntelang dominierten, stehen unter Druck. Konzerne aus dem Westen und Japan haben zu spät gemerkt, dass sich der chinesische Markt mit seinen vielen neuen lokalen Anbietern innert wenigen Jahren radikal wandelte.

Chinesinnen und Chinesen kauften im vergangenen Jahr insgesamt rund 25 Millionen Autos. Im laufenden Jahr dürften es ebenso viele sein. Doch um Pkw ausländischer Anbieter machen die Chinesen immer öfter einen Bogen. Erstmals im Jahr 2022 verkauften chinesische Hersteller mehr Pkw als die Konkurrenten aus dem Ausland. Dieser Trend dürfte sich in den kommenden Jahren beschleunigen.

Mitsubishi hat bereits aufgegeben

In der Folge dürften deshalb auch Firmen aus dem Ausland vom chinesischen Markt verschwinden. Mitsubishi hat sich bereits aus China zurückgezogen. General Motors gab vor wenigen Wochen bekannt, dass es auf seinem Joint Venture mit dem chinesischen Hersteller SAIC eine Wertberichtigung in Höhe von 2,6 Milliarden Dollar vornehmen muss. Ausserdem fielen in China Restrukturierungskosten in Höhe von 2,7 Milliarden Dollar an, teilte das Unternehmen mit.

Auch Volkswagen, jahrzehntelang der marktbeherrschende Anbieter in China, muss über die Bücher. Derzeit prüft der Konzern, welche der 39 Fabriken er schliessen wird. Produktionskapazitäten für Fahrzeuge mit Verbrennermotoren würden Schritt für Schritt reduziert, teilt Volkswagen mit. Nicht überleben wird nach Angaben aus Konzernkreisen ein Werk in Nanjing bei Schanghai.

Was den ausländischen Automobilherstellern in China derzeit widerfährt, ist keine zyklische Unwucht, sondern ein Dammbruch. Paul Gong, Autoanalyst der UBS in Hongkong, hat errechnet, dass in China Gewinne ausländischer Autohersteller in Höhe von insgesamt 20 Milliarden Dollar zur Disposition stünden.

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