Donnerstag, April 17

Die Nervosität kippt in Panik. Die Korrektur markiere den Beginn eines Regimewechsels an den Börsen, sagt der Finanzkrisen-Experte Didier Sornette.

Es ist ein Börsencrash historischen Ausmasses, aber in Raten. Seit Donald Trump seine Pläne umfassender Importzölle am vergangenen Mittwoch vorgestellt hat, sehen die globalen Aktienmärkte die verlustreichsten Handelstage seit langem. Die Überraschung der Anleger über Trumps Zollpolitik und die willkürliche Zerstörung der alten Welthandelsordnung schlug Anfang Woche in Panik um.

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Denn Trump macht keine Anstalten, von seinem Kurs abzuweichen. Die Folgen: Am Montag sackten die asiatischen Börsen weiter ab. Der Hang-Seng-Index in Hongkong erlebte den grössten Tageseinbruch des Jahrhunderts. In Europa verlor der Schweizer Leitindex SMI zeitweise mehr als 6 Prozent, der DAX fast 10. US-Indizes schwankten wegen Unsicherheit und Gerüchten stark.

Die allgemeine Richtung ist klar: Die Aktienmärkte schmelzen dahin. Marktbeobachter sprechen von den Trump-Zöllen als grösstem Schock für das globale Handelssystem seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1971; die für Mittwoch geplante Inkraftsetzung der Importzölle entspricht de facto der grössten Steuererhöhung für amerikanische Konsumenten seit einem Erlass während des Vietnamkriegs 1968.

Beginn eines neuen Regimes

Für viele ist die heftige Börsenreaktion die «Einpreisung» höherer Produktionskosten und einer konjunkturellen Verlangsamung. Für Didier Sornette, Finanzprofessor an der Universität Sustech in Shenzhen, ist die Börsenkorrektur weit mehr als das. Sie sei eine abrupte Reaktion auf die «Exzesse» der letzten Jahre.

Damit meint er die Dominanz Amerikas an den Kapitalmärkten: Dass die USA bis anhin 70 Prozent der weltweiten Marktkapitalisierung ausmachten, sei verrückt. Eine solche Konzentration ergebe keinen Sinn und sei nicht nachhaltig, sagt Sornette, der an der ETH Zürich lehrte und das Financial Crisis Observatory gründete. Der Experte für Finanzkrisen sieht den derzeitigen Börsencrash als den Beginn eines neuen Regimes.

Nebst kurzfristigen Ausschlägen wie jetzt beschreibt er regelmässig auftretende, sich selbst verstärkende positive Bewegungen, welche die Börsen zu neuen Höhen antreiben. Eine solche ist etwa der «US-Exzeptionalismus»: die Annahme, dass die US-Börse leistungsfähiger sei als andere und deshalb eine höhere Bewertung gerechtfertigt sei. Aber auch die «KI-Revolution» sieht er als eine solche Bewegung.

Diese Schwünge sind gut für die Wirtschaft, denn sie ziehen viel Kapital an die Börse. Und sie sorgen für steigende Kurse. Doch sie können leicht in Exzesse umschlagen. Alle paar Jahre kommt es zu einem Regimewechsel. Das war zuletzt bei den «Schuldenexzessen» nach der Covid-Pandemie der Fall oder bei den staatlichen Stimulierungsmassnahmen der Finanzkrise 2008. «Die Korrekturen, die neue Regime einleiteten, waren immer sehr brutal», sagt Sornette.

Das Problem ist zusätzlich, dass das Fundament der Börsen wegen vergangener Exzesse sehr fragil ist. «Diese Fragilität kommt nun mit voller Wucht zum Vorschein. Das hat die Anleger überrascht», sagt der renommierte, interdisziplinär arbeitende Physiker, der sich in seiner Karriere auf das Studium extremer Ereignisse in komplexen Systemen spezialisiert hat und sich später den Finanzwissenschaften widmete. In Sornettes Verständnis haben sich diese Exzesse akkumuliert.

Den tieferliegenden Grund für das neue Regime sieht er indes nicht in der Finanzwelt, sondern bei der Entfremdung der Amerikaner von ihren Eliten. Als Folge der Wirtschaftspolitik nach der letzten Finanzkrise fühlten sich 90 Prozent der Bevölkerung ärmer, die Mittelklasse befinde sich im Niedergang. Gemäss Sornette findet deshalb gerade eine «Revolution» statt, bei der die alten Eliten von einer neuen abgelöst werden. Trump sieht er nicht als Anomalie, sondern als den Höhepunkt des Leidens der amerikanischen Mittelschicht.

China am besten aufgestellt

«Alle wussten, dass die US-Börsen überbewertet und fundamental fragil sind», sagt Sornette. Da habe es nur einen Auslöser für die Korrektur gebraucht – und das war Trumps Zollankündigung. Wobei die USA gar nicht über die industrielle Stärke verfügten, um das angekündigte Zollregime durchzustehen, glaubt er. Er sieht die Zölle als «schlecht umgesetzte populistische Agenda».

Dabei würden die USA selbst und Europa am meisten Schaden nehmen, glaubt Sornette. China dürfte hingegen weniger anfällig sein, weil das Land seine Exporte besser nach Ostasien, Afrika oder Lateinamerika umleiten könne. Die Chinesen waren besser auf die Zeitenwende in der Handelspolitik vorbereitet. Sie haben durch das Erschliessen neuer Absatzmärkte ihre Exportkanäle bereits früh diversifiziert.

Die Möglichkeiten, sich gegen eine von den USA auferlegte Handelsordnung zu wehren, sind zudem begrenzt. Sornette sagt, dass China und Europa dem Zollregime zwar mit einer ausgedehnten Ausgabenpolitik entgegenwirken könnten. Doch das würde das Problem nur für ein oder zwei Jahre lösen und die bereits sehr fragile Schuldensituation weiter verschärfen.

Kein Vertrauen mehr in die USA

Auch kurzfristig gibt es kein wirksames Gegenmittel. Hilfe in Form einer Notbremse ist von den Zentralbanken unmittelbar nicht zu erwarten. Zumal der Präsident der amerikanischen Zentralbank Fed, Jerome Powell, sagte, dass sich die Zölle stärker auf die US-Wirtschaft auswirken könnten als erwartet. Deshalb gebe es keine Eile, die Zinsen zu senken.

Für Anleger gibt es kaum Möglichkeiten, sich zu schützen. So kann es gemäss Sornette sogar rational sein, dem Herdentrieb zu folgen. Denn niemand sei im Besitz aller nötigen Informationen. Die Börsen preisen vor allem positive Szenarien ein. Doch jetzt gebe es eine sich selbst verstärkende Feedback-Schlaufe in den Crash hinein: «Je mehr verkauft wird, desto bewusster werden sich die Investoren der Missstände.»

Hinzu kommt, dass die Trump-Zölle auch für private Investoren eine Zeitenwende bedeuten. Bisher nahmen amerikanische Aktien oft einen beträchtlichen Teil eines Anlageportfolios ein. Das könnte sich ändern. Denn gemäss Sornette haben die Investoren das Vertrauen in die USA verloren. Auch wenn Trump Konzessionen mache, sei klargeworden, dass es in den Vereinigten Staaten ein grosses politisches Problem gebe, das für viel Unsicherheit sorge.

Märkte hassen bekanntlich Unsicherheit. «Es ist fraglich, ob man in die USA noch investieren kann», sagt Sornette. Es sei eine sich selbst erfüllende Prophezeiung nach unten. Fest stehe, dass der Einbruch an den Börsen das Ende eines Zeitalters einläute. Die Anpassung an die neue Realität könnte wiederum mehrere Jahre beanspruchen.

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