Freitag, April 18

An der Berliner Schaubühne wurde über die Kunstfreiheit diskutiert, die man bedroht sieht. Dabei war viel von einem neuen Faschismus die Rede. Der Schweizer Theaterregisseur Milo Rau verteidigt den Begriff.

Man muss nicht befürchten, dass gestritten wird, wenn Carolin Emcke in den «Streitraum» an der Berliner Schaubühne einlädt. Die Publizistin und Autorin diskutiert einmal im Monat mit Gästen über ein besonderes Thema, das Publikum kommt zahlreich. Ein Merkmal der Veranstaltung ist die Einigkeit. Man denkt links.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Am vergangenen Sonntag sassen der Schweizer Regisseur Milo Rau und Gesche Joost, die Präsidentin des Goethe-Instituts, mit auf der Bühne. Dabei ging es um den «autoritären Zugriff» auf die Kunst, der immer engere Grenzen gesetzt werde, wie sich gerade überall manifestiere: Der internationale Kulturaustausch werde zwischen «Spardruck und politischen Anfechtungen» aufgerieben, so die Ankündigung.

Zu Beginn erörtert die kleine Runde die persönliche «Erschütterung» in einer Zeit der Kriege und Krisen. Es wird der Moment beschrieben, als «die Illusionen verpufften» (Rau) und man gemerkt habe, dass die Demokratie «kein Selbstläufer» sei (Joost). Die Wahrnehmung sei «entzaubert» worden, nämlich geglaubt zu haben, dass es einen gesellschaftlichen Konsens über das «Nie wieder» gebe (Emcke).

Gesche Joost berichtet von Besuchen im Goethe-Institut in Washington, wo man «in Schockstarre» sei angesichts von Trumps antiintellektueller Agenda. Milo Rau warnt vor den Angriffen der FPÖ, die den Wiener Festwochen, die er leitet, die Unterstützung kürzen wolle. Dabei gehe es den Rechten nicht um die Kürzung an sich, sondern dass die Kultur überhaupt verschwinde. «Kultur wird zerstört des Zerstörens willen.»

Es ist oft vom «Tech-Faschismus» die Rede oder vom «zweiten neuen Faschismus». Auf entsprechende Aussagen folgt Applaus. Nur zweimal gibt es eine kleine Dissonanz. Als Rau sagt, die akademischen «Nischendiskurse» – womit er die Identitätspolitik meint – hätten einen grossen Teil der Bevölkerung ausgeschlossen und abgehängt, unterbricht ihn Emcke: «Ich würde gerne widersprechen wollen.»

Das tut sie auch und verweist auf die «Rechtsintellektuellen», die von der linksliberalen Szene zu lange übersehen worden seien, weil man zu sehr auf «besoffene Rechtsradikale» fixiert gewesen sei.

Mit Andersdenkenden spricht man nicht

Am Schluss der Diskussion gehen die Meinungen von Emcke und Rau noch einmal auseinander. Rau findet es wichtig, auch die andere Seite anzuhören, «gegenteilige Positionen zusammenzubringen». Deshalb lädt er Vertreter der AfD an die Wiener Festwochen ein, die er leitet. Emcke sagt darauf: «Ich möchte meine Skepsis anbringen.»

Diese tönt so: Wenn man Streitgespräche mit politischen Gegnern organisiere, tue man so, als gäbe es zu allen Fragen ein Pro und Contra. «Aber das ist nicht der Fall.» Sie, Emcke, überlasse Kontroversen lieber den Talk-Shows, auch gebe es sie zur Genüge am Arbeitsplatz und in «dysfunktionalen Familien, wo man jeden Unsinn durchrauschen lässt». Sie ziehe Diskussionen vor, «wo nachgedacht wird».

Dann sind die zwei Stunden um, und Emcke und Rau umarmen sich. Ihre Ansichten sind doch nicht so entzweiend. Rau hat Zeit für ein Interview. Denn an diesem Tag lanciert er auch seine neue Kampagne für Kunstfreiheit.

Sie heisst «Resistance Now Together» und will Kulturschaffende vernetzen, die gemeinsam für ein neues Gesetz zum Schutz der Kultur kämpfen. Das Gesetz soll auf europäischer Ebene verankert werden und helfen, sich gegen politische Einflussnahme zu wehren. Natürlich wird auch mehr Geld zur kulturellen Förderung gefordert. Mitinitiiert haben die Kampagne die Wiener Festwochen.

Gewaltszenen lösen Ohnmachtsanfall aus

Zuerst spricht Rau aber noch über seine Inszenierung «Medeas Kinder», die am Vorabend an der Schaubühne zu sehen war. Eine Mutter ermordet ihre fünf Kinder – ein wahrer Fall aus Belgien, den bei Rau fünf Kinder nachspielen. In Nahaufnahme und quälend lang wird gezeigt, was im kleinen Haus vor sich geht. Dabei fliesst viel Kunstblut.

Es sollen Leute in Ohnmacht gefallen sein, jemand musste sich übergeben, einige Zuschauer verliessen frühzeitig den Saal. Rau, dessen Theater der Zumutung körperlich weh tut, macht das froh.

Rau kann immer noch machen, was er will. Wo spürt er denn persönlich, dass die Kunstfreiheit bedroht ist? Er verweist auf den Direktor des Slowakischen Nationaltheaters, der entlassen wurde, weil er der nationalistischen slowakischen Regierung nicht passte. «Wenn man auf solche Vorfälle nicht reagiert, ist es gut möglich, dass wir die Nächsten sind.»

Er zitiert Hannah Arendt: «Nicht der Hass der Nationalsozialisten war unser Problem, sondern dass unsere Freunde geschwiegen haben.» Man kenne das Wahlprogramm der AfD und der FPÖ und deren Angriffe auf kulturelle Institutionen. «Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass das nicht umgesetzt wird, wenn die einmal an der Macht sind.» Nur staatliche Unterstützung könne die Unabhängigkeit der Kunst garantieren, während private Sponsoren oft inhaltlich mitreden wollten.

Verwenden Linke den Faschismus-Begriff nicht zu sorglos? Auf die Frage erläutert Rau den «Tech-Faschismus»: Die Tech-Industrie, am besten verkörpert durch Elon Musk, gehe mit einer «faschistischen Ideologie» zusammen. «Eine Gruppe reicher, weisser Amerikaner bildet einen politisch-wirtschaftlichen Komplex auf Kosten aller anderen. Sie reservieren sich schon einmal den Mars, falls die Erde unbewohnbar wird.»

Für Rau ist Trump ein Faschist, er würde ihn aber nicht mit Hitler vergleichen. Hitler sei ein Nationalsozialist: «Er plante einen Genozid. Da kann man keine Vergleiche ziehen. Das war historisch einzigartig.»

Als Nächstes ein Tribut an Gisèle Pelicot

Trotz den dunklen Wolken, die sich über die Schaubühne legen, wenn man ihm zuhört: Ist eine Umbruchzeit künstlerisch nicht anregender als der saturierte Zustand, wenn alles läuft wie immer? Plötzlich ist etwas gefährdet, was man vorher für garantiert hielt. Daraus entsteht Kreativität, daraus kommt der Widerstand. Rau stimmt zu.

Nur so kann er eine «Republik der Liebe» ausrufen, wie es auf dem aufgenähten grossen Patch auf seinem blauen Arbeitsanzug heisst. Es ist das Thema der Wiener Festwochen, die im Mai und Juni stattfinden.

Es möge nach «Bibelkitsch» klingen, sagt Rau, aber er halte die Liebe für den zentralen abendländischen Wert. «Die Welt ist voller Konkurrenz, Hass, Angst und Einsamkeit. Es braucht einen Begriff der Gemeinschaft, der Solidarität. Ich glaube an eine Utopie des gewaltfreien Zusammenseins.»

Noch liegt auch für ihn in der toxischen Liebe der bessere Stoff für die Bühne. So wird Rau einen «Tribut an Gisèle Pelicot» in Form einer Lesung inszenieren. Sie findet in der Pfarrkirche St. Elisabeth in Wien statt. Es ist nicht zu erwarten, dass Rau im Gotteshaus mit seiner Darstellung der dutzendfachen Vergewaltigung für eine andächtige Stimmung sorgt. Dafür eignet sich der «Streitraum» besser.

Exit mobile version