Sonntag, September 29

Sie haben Nationalspieler wie Fabian Rieder ausgebildet und haben dafür viel Geld zugute – doch Schweizer Amateurklubs warten seit über einem Jahr, weil eine Fifa-Grossreform stockt.

Im Oktober 2022 machte Gianni Infantino ein grosses Versprechen. Der Fifa-Präsident kündigte damals eine Reform an, die das weltweite Fussball-Transferwesen umkrempeln sollte. Und er geizte nicht mit schönen Worten. «Das wird das Leben der kleinen Klubs verändern», sagte Infantino, denn es gehe um «sehr, sehr viel Geld», das diesen Klubs zustehe.

Jetzt, fast zwei Jahre später, wird klar: Bis anhin hält die Fifa ihr Versprechen nicht. Das zeigen verschiedene Beispiele, welche diese Zeitung recherchiert hat. Es geht um Fussballer wie Zeki Amdouni, Fabian Rieder und Christian Fassnacht, Nationalspieler allesamt, derzeitige oder ehemalige. Um kleine Klubs, bei denen sie einst spielten. Um Geld, das diesen Klubs seit über einem Jahr zusteht, auf das sie angewiesen sind – und das noch immer nicht geflossen ist.

Und am Ende geht es um diese Frage: Was sagen die Geschichten aus der Schweiz, aus Meyrin, Solothurn und Thalwil, über das weltweite Vorankommen der grossen Fifa-Reform aus, die der Präsident Infantino einst so grossspurig angekündigt hat?

Es geht um gewaltige Summen

Als Fussball-Weltverband ist die Fifa die Hüterin des weltweiten Transfergeschäfts. Das ist eine grosse Aufgabe, es geht um gewaltige Geldbeträge. Allein im Sommer-Transferfenster 2024 flossen laut der Fifa Ablösesummen in der Höhe von rund 6,5 Milliarden Dollar.

Der Grossteil davon stammt aus Transfers von Topspielern, die zwischen grossen Klubs abgewickelt werden. Die Fifa-Regularien sehen indes vor, dass bei Transfers auch jene Vereine profitieren sollen, bei denen die Stars einst ausgebildet wurden.

Das soll die Kleinen in der Fussballpyramide stärken, jene Klubs, die ihr Fundament bilden, weil dort viele Karrieren beginnen. Passieren soll das über Ausbildungsentschädigungen – und vor allem über Solidaritätszahlungen in der Höhe von 5 Prozent der Transfersumme. Diese werden an jene Klubs verteilt, bei denen ein Spieler im Alter von 12 bis 23 Jahren gespielt hat.

Allerdings floss in der Vergangenheit nur ein Bruchteil der Gelder – laut dem Fifa-Präsidenten Infantino waren es in jüngster Zeit 70 statt 400 Millionen Dollar, die den Ausbildungsklubs jährlich zugestanden hätten. Oft wussten diese schlicht nicht, dass irgendwo auf der Welt einer ihrer Ex-Spieler den Klub gewechselt hatte. Und dessen neuer Klub zahlte nicht von sich aus.

Das wollte die Fifa ändern. Und schuf aus diesem Grund das Fifa Clearing House, eine Art Fussball-Bank. Sie soll sicherstellen, dass die Ausbildungsentschädigungen auch tatsächlich fliessen. Seit November 2022 müssen diese über das Clearing House abgewickelt werden. Das Versprechen: automatisierte Zahlungen für alle. Was gerade den Kleinen helfen soll.

Die Realität sieht anders aus. In Meyrin wartet Antoine Salamolard noch immer auf eine Zahlung, seit über einem Jahr jetzt schon. In Solothurn geht es Samuel Scheidegger gleich. Und in Thalwil Stefan Hug auch.

Lob für Idee, Kritik an der Umsetzung

Meyrin, Solothurn und Thalwil sind Ausbildungsvereine von Zeki Amdouni, Fabian Rieder und Christian Fassnacht. Im Sommer 2023 wechselten sie den Verein. Amdouni ging von Basel nach Burnley, geschätzte Ablöse: rund 19 Millionen. Rieder wechselte von YB zu Rennes, geschätzte Ablöse: 15 Millionen. Fassnacht verliess YB, um sich Norwich anzuschliessen, geschätzte Ablöse: 3 Millionen.

Salamolard, Scheidegger und Hug sind wichtige Funktionäre von Klubs, die laut dem Präsidenten Infantino vom Clearing House profitieren sollen. Man könnte auch sagen: für die es gebaut worden ist. Aber alle drei sind gerade ziemlich verärgert über die Fifa. «Die Idee ist super, aber es funktioniert einfach nicht», sagt Hug, und so oder ähnlich sagen diesen Satz alle drei. «Der Prozess ist unklar», sagt Salamolard. «Die Fifa hat das Clearing House offensichtlich zu früh lanciert», sagt Scheidegger.

Für die drei Klubs wären die Transfers so etwas wie ein Lottosechser. Beim FC Meyrin rechnen sie laut dem Präsidenten Salamolard mit rund 170 000 Franken Solidaritätszahlungen, eine riesige Summe für den Verein mit einem Jahresbudget zwischen 1,3 und 1,5 Millionen. Aber die Sache sei kompliziert, der Papierkrieg immens, sagt Salamolard.

Er wundert sich etwa, dass er den Handelsregister-Eintrag des FC Meyrin liefern soll, obwohl es den für Vereine, die als Non-Profit-Organisationen registriert sind, gar nicht gibt. Oder beweisen, dass sein Klub überhaupt existiert, obwohl er Mitglied des Schweizerischen Fussballverbands ist – und «somit Fifa-Mitglied». Das sei «irgendwie lächerlich», sagt Salamolard.

Dazu muss man wissen, dass die Fifa mit der Einführung des Clearing House nicht nur sicherstellen will, dass Ausbildungsentschädigungen fliessen. Sie will auch mehr Transparenz bei den Geldflüssen schaffen, etwa verhindern, dass der Fussball für Geldwäscherei missbraucht wird. In der Praxis zieht das ein kompliziertes Compliance-Verfahren – das sogenannte Onboarding – nach sich, das gerade für kleinere Klubs eine grosse Aufgabe ist. Erst nach dessen Abschluss erhalten sie ihr Geld.

Diesen Prozess kritisieren alle drei Klubs als kompliziert, undurchsichtig und langfädig. Bei Fragen dazu dauere es sehr lange, bis von der Fifa Antworten einträfen.

Bei dieser heisst es auf Anfrage, die Compliance-Prüfung sei notwendig, um Transparenz und finanzielle Integrität der Fussballbranche zu schützen und zu verbessern. Weltweit hätten diese bereits 1500 Klubs – darunter auch zahlreiche Amateurklubs – hinter sich gebracht. Und Jan Kleiner, Direktor Fussballregulierung, platziert eine kleine Spitze: Für ein erfolgreiches Verfahren sei «die vollständige Mitwirkung der Klubs erforderlich».

In Solothurn hat der Finanzchef Samuel Scheidegger immerhin den Onboarding-Prozess hinter sich gebracht. Aber Geld – Scheidegger rechnet mit rund 150 000 Franken Solidaritätszahlungen aus dem Rieder-Transfer – ist noch immer keines geflossen. Er sagt, er habe keine Ahnung, woran das liege. Aber der IT-Ingenieur, der auch im Zentralvorstand des Schweizerischen Fussballverbands sitzt, findet, dass die Fifa ihr Prestigeprojekt schlecht umsetze. «Ich habe den Eindruck, es wurde nie getestet, ob die Sache funktioniert», sagt er.

Hug, Salamolard und Scheidegger verbindet, dass sie in der Finanz- oder IT-Branche arbeiten – und für Klubs in einem mehr oder weniger digitalisierten Land tätig sind. Salamolard, der Meyrin-Präsident, ist bei der Privatbank Pictet als leitender Jurist tätig. Er sagt: «Wenn das Clearing House schon uns Schwierigkeiten bereitet – wie ergeht es dann sehr kleinen Klubs in anderen Ländern?» Und Hug vom FC Thalwil ergänzt: «Das System soll den Kleinen helfen – das tut es aber nicht, wenn es ehrenamtlich geführte Klubs überfordert.»

Die Fifa weicht aus

Bleibt die Frage, wofür die Geschichten der drei Klubs stehen. Wie gross die Clearing-House-Probleme tatsächlich sind. Wie viele Transfers noch abgearbeitet werden müssen, wenn eine Stichprobe ergibt, dass in der Schweiz alle drei angefragten Ausbildungsvereine, denen seit Sommer 2023 aus einem bedeutenden Transfer Geld zusteht, noch immer warten. Und seither zwei weitere Transferfenster mit Tausenden weiteren Wechseln auf der ganzen Welt dazugekommen sind.

Es ist nicht einfach, die Frage zu beantworten, weil Jan Kleiner von der Fifa ausweicht. Er verweist nur darauf, dass in den letzten zwölf Monaten mehr Ausbildungsentschädigungen als je zuvor geflossen sind, insgesamt 125 Millionen Dollar. Auf die Frage, wie viele Transferdossiers sich in Paris, wo das Clearing House sitzt, derzeit stapeln, geht er nicht ein.

Und so bleiben nur Indizien. Meyrin, Thalwil, Solothurn. Grosse Super-League-Klubs, die laut Informationen dieser Zeitung erst einen kleinen Teil ihrer Gelder bekommen haben. Generell ist in der Branche eine gewisse Zurückhaltung zu spüren, sich zum Thema zu äussern; die mächtige Fifa will man lieber nicht verärgern.

Dennis Gudasic ist Generalsekretär der Union of European Clubs. In ihr haben sich 140 europäische Klubs organisiert. Gudasic traf sich schon im Frühling mit der Fifa wegen der Missstände beim Clearing House. Er weiss, dass viele Klubs auf ihr Geld warten – und darum auch mit finanziellen Schwierigkeiten kämpfen. Gudasic sagt, die Situation sei nicht wirklich besser geworden. Informationen der Fifa liessen ihn aber hoffen, dass sich das bald ändere.

In finanzielle Schieflage sind Meyrin, Thalwil und Solothurn nicht geraten. Aber alle drei Klubs haben schon Ideen, was sie mit dem Geld machen würden, auf das sie immer noch warten. Zum Beispiel: in die Nachwuchsarbeit investieren. Damit wieder einmal ein Amdouni, Fassnacht oder Rieder herauskommt.

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