SP und GLP bemühten die Zeitenwende, die regelbasierte Ordnung und die Urenkel. Doch die bürgerliche Mehrheit lehnte Vorstösse für weitere Gelder für die Ukraine ab.
Im Frühling 2023 waren die Zeiten noch andere. Die von Joe Biden präsidierten USA sahen sich als Dreh- und Angelpunkt des transatlantischen Bündnisses, und in Europa war die Angst vor Schulden grösser als die Angst vor Wladimir Putin.
Damals beschlossen Marianne Binder (Mitte), Fabian Molina (SP) und Tiana Moser (GLP), etwas Humanitäres für die Ukraine zu tun. Die wirtschaftsstarke Schweiz zahle viel zu wenig für das Land im Krieg, fanden sie. Auf der Liste der Unterstützer gemäss dem Institut für Weltwirtschaft in Kiel lag die Schweiz nur auf Rang 33 von 40 Ländern (mittlerweile liegt sie auf Rang 26).
Also reichten Binder, Molina und Moser drei gleichnamige Vorstösse ein und forderten darin, die Ukraine-Hilfe zu erhöhen. Einen genauen Betrag nannten sie nicht, die Schweiz solle sich an der eigenen Wirtschaftskraft orientieren und dabei die Schuldenbremse mittels ausserordentlicher Ausgaben umgehen, forderten die Motionäre.
Was die Schweiz bereits unternimmt
Am Mittwoch, zwei Jahre später, hat nun der Nationalrat über die Forderungen diskutiert. Und lehnte die Motionen mit 111 zu 73 Stimmen bei 4 Enthaltungen ab. Das Hauptargument lieferte Aussenminister Ignazio Cassis (FDP): Die Motionen seien «sozusagen materiell überholt», sagte er. Seit Frühling 2023 sei viel passiert. Nicht nur geopolitisch, sondern auch in der Schweiz:
- Bis Ende 2024 gab der Bund insgesamt 4,37 Milliarden Franken für die Ukraine aus, 3,7 Milliarden Franken davon für ukrainische Flüchtlinge in der Schweiz, 630 Millionen Franken gingen an humanitäre Hilfe oder Entwicklungszusammenarbeit.
- Im Mai und im Dezember 2024 beschloss das Parlament einen Verpflichtungskredit für die Ukraine in der Höhe von 1,5 Milliarden Franken bis 2028, 500 Millionen Franken davon fliessen via Schweizer Firmen.
- Für 2029 bis 2036 will der Bundesrat weitere 3,5 Milliarden Franken ausgeben, die Finanzierungsquelle ist noch offen.
- Im März 2025 zog die Mitte Marianne Binders Motion zurück. Die grosse Mehrheit der Fraktion unterstützt die Forderung nach einer Erhöhung der Ukraine-Hilfe nicht mehr.
Ohne die Unterstützung der Mitte-Fraktion hatten die beiden übrig gebliebenen Motionäre am Mittwoch keine Chance, auch wenn sie das ganze geopolitische und demokratische Vokabular zu Hilfe nahmen. Fabian Molina schloss an Francis Fukuyamas Diktum vom (vermeintlichen) Ende der Geschichte an: «Die Geschichte wird aktuell in der Ukraine entschieden», sagte der Nationalrat. «Was wir heute tun, ist entscheidend für die internationale Ordnung der Zukunft.»
Für die mittlerweile im Ständerat politisierende Tiana Moser sprang die Parteikollegin Corina Gredig ein. Sie versuchte, die Mehrheit mit einem Verweis auf ihre dereinstigen Enkel und Urenkel in die Pflicht zu nehmen. In einigen Jahren müssten die Politiker die Frage beantworten, was sie in dieser Zeitenwende unternommen hätten: «Haben Sie gehandelt, als mitten in Europa ein freies Land angegriffen wurde? Haben Sie nur diskutiert, oder haben Sie Verantwortung übernommen?», werde man die heutigen Nationalräte dereinst fragen.
Lukas Reimann von der SVP liess sich jedoch nicht beeindrucken. «Die Schweiz tut sehr viel für die Ukraine, und das auch zu Recht», sagte er. Daher brauche es keine zusätzlichen Aufgaben, die am Budget und an der Schuldenbremse vorbeigeschleust würden. Wenn die Schweiz sich völlig überverschulde und die Jungen Geld zurückbezahlen müssten, «das wir heute verschwendet haben, dann ist das auch für die Zukunft wahrscheinlich nicht das Beste».
Wie viel Bürokratie darf es sein?
Von den Mitte-Politikern, die einst zu den Urhebern der Vorstösse gehört hatten, meldete sich niemand zu Wort.
Dafür setzte sich wenige Stunden später auch der Ständerat mit der Ukraine-Hilfe auseinander. Es ging dabei um die 500 Millionen Franken, die bis 2028 via Schweizer Privatwirtschaft in die Ukraine fliessen sollen. Bereits heute sind nach Angaben von Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) über 70 Schweizer Firmen in der Ukraine tätig. Für diese hat der Bund Ende Januar eine erste Ausschreibung publiziert. Ausserdem will der Bund neuen Unternehmen den Markteintritt in die Ukraine erleichtern und Arbeitsplätze schaffen.
Unklar ist allerdings, auf welcher rechtlichen Grundlage das Geld verteilt werden soll. Zu dieser Frage ist ein Machtkampf zwischen Bundesrat und Teilen des Parlaments im Gang. Der Bundesrat will vorwärtsmachen und die Investitionen mit einem Staatsvertrag regeln. Das sei der «schnellste, wirksamste und einfachste Weg», bekräftigte Parmelin am Mittwoch. Wenn es zu einem Waffenstillstand käme, würden viele Länder ihre Hilfe anbieten. «Wenn die Schweiz bis dahin nicht bereit ist, besteht die Gefahr, dass andere Länder und andere Unternehmen Projekte übernehmen, die den Fähigkeiten des Schweizer Privatsektors am besten entsprechen», so Parmelin. Der Bundesrat hat im Januar ein Mandat für einen Staatsvertrag gutgeheissen.
Die kleine Kammer will dagegen lieber ein Spezialgesetz. Mit 33 zu 12 Stimmen befürwortete der Ständerat eine Motion, welche die Aussenpolitischen Kommissionen in beiden Räten eingereicht haben. Den Parlamentariern geht es unter anderem um ihre Einflussmöglichkeiten, wie der Kommissionssprecher Beat Rieder (Mitte) ausführte. Ein Staatsvertrag kann vom Parlament nur genehmigt oder abgelehnt werden. Bei einem Gesetz können die Parlamentarier auf die Ausgestaltung einwirken, was die Chancen erhöht, dass es mehrheitsfähig wird.
Diese Einflussmöglichkeiten machen die Gesetzesvariante auch für Linke attraktiv. Grüne und SP kritisierten von Anfang an, dass ein Drittel der Ukraine-Hilfe Schweizer Unternehmen zugutekommt. Das sei opportunistisch und konkurrenziere ukrainische Firmen. Zum Ausgleich fordern sie daher Auflagen im Umweltschutz.
Dabei haben sie durchaus einen Hebel. Anfänglich sah es so aus, als könnten die Linken den Staatsvertrag zusammen mit der SVP zum Absturz bringen. Letztere sieht die Ukraine-Hilfe im Hinblick auf die Neutralität kritisch. Mittlerweile haben sich einige Vertreter der SVP aber für die Variante Staatsvertrag entschieden, um nicht linken Regulierungen Vorschub zu leisten.
Ohnehin sind die Fronten auf der bürgerlichen Seite unklar. In den Fraktionen von Mitte, FDP und SVP gab es überall sowohl Befürworter als auch Gegner der gesetzlichen Lösung. Spannend dürfte die Debatte im Nationalrat werden.