Donnerstag, November 28

Während der Schacholympiade in Budapest drängen Russland und Weissrussland zurück auf die internationale Bühne. Eine Abstimmung im Weltverband verhindert die Aufhebung sämtlicher Sanktionen.

Die Sanktionen gegen russische und weissrussische Schachspieler haben weiterhin Bestand. In Ungarns Hauptstadt fand vergangenes Wochenende die Schacholympiade statt, ein Teamwettkampf mit Nationalteams. Russland und Weissrussland fehlten an den Brettern; seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine dürfen sie keine Equipe stellen.

An Einzelturnieren sind Spielerinnen und Spieler aus den beiden Ländern hingegen startberechtigt – unter neutraler Flagge, die Nationalhymnen werden nicht abgespielt. Eine «aktive Unterstützung des Krieges» sei ausserdem verboten, heisst es in den Sanktionen. Das Vorgehen des Weltschachverbandes (Fide) entspricht damit weitgehend den Empfehlungen des Internationalen Olympischen Komitees (IOK) zum Umgang mit russischen und weissrussischen Sportlern.

Während der Schacholympiade tagte auch die Generalversammlung der Fide. Das Gremium behandelte dabei ein brisantes Geschäft. Der Verband Kirgistans hatte den Antrag gestellt, sämtliche Sanktionen gegen Russland und Weissrussland mit sofortiger Wirkung aufzuheben. Kirgistan ist eine ehemalige Sowjetrepublik und noch immer eng mit Russland verbandelt.

Der Weltverbandspräsident ist Putins Mann

Schach ist in Russland hochpolitisch, war schon zur Zeit der Sowjetunion der Nationalsport und wird vom Kreml beeinflusst. Wladimir Putins Regierungssprecher Dmitri Peskow sitzt beispielsweise im Vorstand des nationalen Schachverbandes. Die Fide rügte den russischen Verband jüngst, weil er in den besetzten ukrainischen Gebieten Turniere veranstaltet hatte.

Seit die Sanktionen gelten, versucht Russland immer wieder, auf die internationale Bühne zurückkehren. 2023 wechselten die Russen vom europäischen in den asiatischen Verband – in der Hoffnung, dass Athletinnen und Athleten dort unter russischer Flagge antreten dürften. Russland dürfte also auch im Fall des kirgisischen Antrags im Hintergrund die Fäden gezogen haben.

Brisant ist, dass der Fide-Präsident Arkadi Dworkowitsch aus Russland stammt und eng mit dem Machthaber Putin verbandelt ist. Dworkowitsch war von 2008 bis 2012 Putins persönlicher Wirtschaftsberater, danach bis 2018 stellvertretender Ministerpräsident. Ausserdem war er der Leiter der Organisation der Fussball-WM 2018. Den Ukraine-Krieg unterstützt er zwar nicht offen. Aber er verzichtet auch darauf, ihn zu verurteilen. Im Fide-Statement über die Sanktionen gegen Russland und Weissrussland fehlt beispielsweise das Wort «Krieg».

Eine Annahme des Antrags aus Kirgistan, die Aufhebung aller Sanktionen, hätte Signalwirkung gehabt. Die Fide wäre der erste vom IOK anerkannte Sportverband gewesen, der russische Athletinnen und Athleten wieder zulässt. Eigentlich hätten die Fide und der Präsident Dworkowitsch an der Schacholympiade in Budapest das 100-Jahr-Jubiläum des Weltverbandes zelebrieren wollen. Stattdessen entbrannten heftige Diskussionen.

Carlsen wird ausgezeichnet, würdigt aber Kasparow

Sogar der fünfmalige Weltmeister Magnus Carlsen aus Norwegen wurde angesichts der brisanten Abstimmung politisch. Er wurde von der Fide mit einem Preis für die beste Karriere in der Geschichte des Schachsports ausgezeichnet. Carlsen liess sich jedoch nur kurz mit dem Präsidenten Dworkowitsch fotografieren und sagte in seiner Dankesrede: «Es ist ein seltsames Gefühl, diese Auszeichnung zu bekommen, während ich noch spiele.»

Carlsen fand, der Preis hätte eher Garri Kasparow gebührt. Kasparow gewann zwischen 1985 und 2000 sechsmal den WM-Titel. Heute ist er ein bekannter Putin-Gegner und lebt in den USA im Exil. Carlsen sagte in Budapest: «Stünde Garri hier, würde er jetzt die Gelegenheit ergreifen, Ihnen von einer Aufhebung der Sanktionen gegen die Schachverbände Russlands und Weissrusslands abzuraten. Und das würde ich auch.» Auch von westlichen Verbänden gab es Kritik am Antrag.

Der Fide-Präsident Dworkowitsch dürfte sich vor der Abstimmung vom Sonntag in einer Zwickmühle befunden haben. Einerseits drohte das IOK der Fide mit dem Rauswurf, andererseits stand Dworkowitsch vom Kreml unter Druck. In der Szene machte das Gerücht die Runde, wonach der Antrag zurückgezogen würde, sollten russische Athleten zumindest unter der eigenen Flagge starten dürfen. Auch dieser Vorschlag fand keine Mehrheit.

Die Fide zimmert einen Kompromiss

In der Abstimmung in der Generalversammlung der Fide erlitt Russland eine «krachende Niederlage». So drückte es der Präsident des englischen Verbandes, Malcolm Pein, gegenüber der BBC aus. Pein sagte: «Viele Delegierte fürchteten eine Verschlechterung der Beziehungen der Fide zum IOK und haben den Antrag deshalb abgelehnt.»

Von den 128 anwesenden Verbänden stimmten lediglich 21 für die Aufhebung der Sanktionen, darunter ehemalige Sowjetrepubliken wie Armenien und Staaten wie Mali, wo Russland grossen Einfluss ausübt. Die meisten westlichen Staaten, darunter die Schweiz, Deutschland, Frankreich sowie die USA und England, lehnten den Antrag hingegen vollumfänglich ab.

Der Fide-Kongress einigte sich trotzdem auf einen Kompromiss. Die Mehrheit der Delegierten, 66 an der Zahl, votierten für Verhandlungen mit dem IOK. In diesen wird es darum gehen, dass Restriktionen zumindest für Juniorinnen und Junioren sowie Para-Athleten gelockert werden.

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